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Supply Chain Management 25.09.2022, 08:29 Uhr

So lassen sich Lieferengpässe vermeiden

Corona-Pandemie, die havarierte „Ever Given“ mit Suez-Kanal-Blockade und nun der Ukraine-Krieg: Lieferketten sind weltweit massiv gestört, viele Waren nicht verfügbar und Unternehmen sehen sich mit massiven Lieferengpässen und Verfügbarkeitsproblemen konfrontiert. Wer sich früh breit aufgestellt hat, verfügt nun über mehr Handlungsspielraum. Denn Engpässen kann mit verschiedenen Strategien gezielt vorgebeugt werden.

Lieferketten sind aktuell weltweit massiv gestört. Wer sich früh breit aufgestellt hat, verfügt nun über mehr Handlungsspielraum. Denn Engpässen kann mit verschiedenen Strategien gezielt vorgebeugt werden. Foto; panthermedia.net/Ivan Tykhyi

Lieferketten sind aktuell weltweit massiv gestört. Wer sich früh breit aufgestellt hat, verfügt nun über mehr Handlungsspielraum. Denn Engpässen kann mit verschiedenen Strategien gezielt vorgebeugt werden. Foto; panthermedia.net/Ivan Tykhyi

Die Welt ist im Krisenmodus: Der Corona-Pandemie ist der Ukraine-Krieg gefolgt – international sind die Auswirkungen auf Produktion und Lieferketten massiv. Unternehmen brechen Partner im Liefernetzwerk weg, sie müssen Waren kurzfristig und zu einem akzeptablen Preis von anderer Stelle beziehen. Damit das gelingt, sollten Betriebe die folgenden sieben Strategien berücksichtigen.

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Die Risiko-Teile kennen und wissen, worin das Risiko besteht

Risikofaktoren für Einkauf und Produktion stellen steigende Kosten, Ausfälle und Verzögerungen dar. Unternehmen sollten also wissen, welche Teile bzw. Produktgruppen aktuell in der Beschaffung problematisch sind, lange Lieferzeiten benötigen oder schlecht verfügbar sind. Das müssen nicht immer die teuersten Teile sein, manchmal sind auch einfache und günstige Komponenten betroffen. Darüber hinaus ist es wichtig, in die Zukunft zu schauen und einzuschätzen, ob künftig ein Ausfall droht. Gerade das stellt für Unternehmen oft eine Herausforderung dar. Maschinenbauer haben zurzeit zum Beispiel Schwierigkeiten mit Fertigungsteilen, die nach Zeichnungen etwa in Asien oder der Türkei hergestellt werden. Gehen die Schiffe mit den Lieferungen nicht raus, wird die Lieferkette strapaziert. Unternehmen brauchen hier Klarheit über ihre konkreten Schmerzpunkte.

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Ziele kurzfristig und langfristig definieren

Unternehmen müssen den Feuerwehrmodus verlassen. Es ist wichtig, im Tagesgeschäft Klarheit zu gewinnen, wo man steht und wo man hin will, sowohl kurzfristig als auch perspektivisch. Der strategische Gedanke muss in den Mittelpunkt, denn von ihm hängen die geeigneten Maßnahmen ab. So kann ein kurzfristiges Ziel darin bestehen, die Versorgungssicherheit zu erhalten, und ein langfristiges darin, den Einkauf auf eine breitere Basis zu stellen. Das Ziel der Kostensenkung ist aktuell etwas in den Hintergrund gerückt, da Unternehmen höhere Preise durchsetzen können. Viele streben dagegen eine Risikominimierung an, andere wollen verstärkt internationalisieren. Gerade kleinere und mittlere Maschinenbauer sind oft noch nicht sehr global aufgestellt. Wollen sie internationaler kaufen, stellt hier die Sprache eine Hürde dar.

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Bereits jetzt mit der Suche nach Alternativlieferanten und Second Sources beginnen

Auch, wenn Lieferengpässe noch nicht akut sind, ist es sinnvoll, sich breiter aufzustellen und nach Alternativen umzusehen. So gestaltet sich die Suche entspannter, man kann Testaufträge vereinbaren und deren Bewertung leisten. Gespräche und Verträge sind dann bereits abgeschlossen, wenn es darauf ankommt. In einer bestehenden Partnerschaft den Lieferumfang auszuweiten, ist deutlich einfacher, als mit einem komplett neuen Lieferanten zu starten. Auch bei Teuerungen hat man die Möglichkeit, auf alternative Lieferanten auszuweichen, die bei gleichen Konditionen einen günstigeren Preis anbieten können. Der Aufbau eines neuen Lieferanten in einer Engpasssituation ist dagegen denkbar ungünstig: Schnell gehen zwischen der Vertragsunterschrift und dem ersten Angebot vier Wochen ins Land – Zeit, die man dann nicht hat. Hinzu kommt: Nicht aus jedem Gespräch entwickelt sich eine erfolgreiche Beziehung, nicht jeder Lieferant erweist sich als flexibel, offen und schnell. Man muss die passenden finden, und das erfährt man erst im Austausch. Viele Lieferanten arbeiten aktuell in Überlast oder sind auf Monate hinaus ausgebucht – aber eben nicht alle. Manchen sind abhängig von der Branche Kunden weggebrochen und sie haben freie Kapazitäten. Es lohnt sich deswegen, seine Fühler auszustrecken und in Kontakt zu sein.

Effiziente Prozessoptimierung stärkt die Lieferketten

Fertigungsteile nicht nur über mehrere Lieferanten, sondern auch über verschiedene Regionen der Welt streuen und eine Risiko-Landkarte aufbauen

Damit kann das Risiko von Ausfällen erheblich reduziert werden. Auch innerhalb Europas variieren Verfügbarkeiten abhängig von Grenzen und Regionen. Ein Beispiel aus dem letzten Monat: Während der Lieferant eines Maschinenbauers in Kroatien das für ein Teil benötigte Material nicht auftun konnte, weil er keine Angaben über Lieferzeit und Preis von seinem Sublieferanten erhielt, teilte der Geschäftspartner in Spanien mit, das benötigte Material für die Fertigung des Teiles auf Lager zu haben. Eine Risiko-Landkarte kann hier schnell einen Überblick bieten, welche Risiken bei welchen Fertigungsorten für Teile bestehen. So gilt zum Beispiel die Türkei als Top-Lieferant für weiße Ware wie Waschmaschinen und Kühlschränke. Die politischen Rahmenbedingungen und die Wertentwicklung der Lira stellen aber ein Risiko dar: Kommt es dann zu Problemen etwa bei der Auslieferung, nutzen auch günstige Preise nichts mehr. Deswegen kann es sinnvoll sein, Lieferanten aus verschiedenen Ländern und Regionen zu beauftragen. Wegen der Risikostreuung kauft ein Unternehmen zum Beispiel seine geschweißten Teile und Stahlkonstruktionen nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland, Spanien und Kroatien. Mit Dualsourcing und dem Zugriff auf verschiedene Märkte in verschiedenen Ländern lässt sich das Ausfallrisiko vermindern.

Lieferanten aufbauen, die etwas teurer sind, um bei einem Ausfall die Versorgung sicherstellen zu können

Sicherheit ist das Thema, das Unternehmen umtreibt. Deswegen sollten teurere Lieferanten nicht von Anfang an verworfen werden. Stattdessen ist es sinnvoll, einen Lieferanten, der etwa fünf bis zehn Prozent mehr verlangt, mit kleineren Aufträgen zu bedienen – er muss nicht der A-Lieferant mit den meisten Teilen oder dem höchsten Volumen sein. Falls der günstigere ausfällt, hat man einen Ersatz, der zu gleicher Qualität und hoher Zuverlässigkeit liefern kann. Im Fall eines Zusammenbruchs hat nicht mehr der Preis die Priorität, sondern die Verfügbarkeit.

Alternativlieferanten mit kleinen Aufträgen bei der Stange halten

Es ist wichtig, Partnerschaften schon vor Lieferschwierigkeiten angebahnt zu haben. Denn ein bereits bestehender Lieferant kann schneller mit mehr Aufträgen hochgefahren werden, als ein komplett neuer. Gerade die Geschäftsanbahnung ist mit einem hohen Aufwand verbunden: Qualitätsdokumente werden ausgetauscht, aufwändigere Kontrollen sind notwendig, Zertifikate müssen eingereicht werden und bei Erstlieferungen sind häufig Nachbesserungen notwendig, wenn Angaben nicht richtig interpretiert wurden. Der Erstauftrag benötigt immer mehr Zeit, die man in einem Engpass eben nicht hat. Aber nur ein Erstauftrag reicht nicht aus. Ein neuer Lieferant braucht zumindest kleine Aufträge, um nicht gleich wieder das Interesse zu verlieren. Nur so steht er wirklich zur Verfügung, wenn es darauf ankommt.

Eine individuelle Strategie entwickeln, wie schnell zusätzliche Lieferanten gefunden und aktiviert werden können

In Zeiten von Lieferengpässen sind zusätzliche oder alternative Lieferanten eine Notwendigkeit. Unternehmen brauchen deswegen eine individuelle Strategie, wie sie diese auftun können. Dafür müssen sie ihre Ziele definieren. Danach geht es darum, wie diese erreicht werden können – die Strategie ist hier der Masterplan. Ist das Ziel zum Beispiel eine Streuung des Risikos bei Lieferanten, die Teile nach Zeichnungen fertigen, wird die passende Strategie das Element „Regionen“ enthalten und die Frage beantworten, wo genau eingekauft werden soll. In der Detaillierung geht es dann darum, wie in der definierten Zielregion der richtige Partner gefunden werden kann. Unternehmen müssen also wissen, welche Fähigkeiten sie benötigen – Sprache, kulturelle Kompetenz, Marktzugang – und wie sie sich diese aneignen bzw. beschaffen können, etwa indem sie eingekauft, aufgebaut oder mit einem Partner entwickelt werden. Auf dieser Basis können potenzielle Fertiger identifiziert, angesprochen, bewertet und bei Erfolg aufgebaut werden. Wichtig ist hier zum Beispiel das Wissen, wie der Kontakt zu Lieferanten in den Zielländern konkret hergestellt werden kann. Denn das variiert von Region zu Region: Italien hat zum Beispiel eine umtriebige Wirtschaftskammer, andere Ansätze sind digitale Plattformen. Hier müssen die passenden Methoden eingesetzt werden.

Fazit

Verfügbarkeit der Ressourcen ist das Thema Nummer eins von produzierenden Betrieben. Viele haben Schwierigkeiten, in Zeiten der Engpässe und beschädigten Lieferketten an Material und Teile zu gelangen. Deswegen ist es wichtig, das Thema strategisch anzugehen und sich in der Breite vorzubereiten. Damit bleiben Unternehmen reaktionsfähig und die Produktion kommt nicht zum Stillstand.

Von Arne Zühlke, Geschäftsführer von ARNESS GmbH & Co. KG