Wenn KI an Grenzen stößt – Materialvorhersagen auf dem Prüfstand
Eine internationale Studie unter Federführung der Universität Bayreuth zeigt, dass Computersimulationen und KI-Modelle bei der Vorhersage von Materialeigenschaften häufig gravierende Fehler machen. Die Forschenden stellen Werkzeuge vor, die das Problem adressieren und eine verlässlichere rechnergestützte Materialsuche ermöglichen sollen.
Computersimulationen und künstliche Intelligenz machen bei der Suche nach neuen, leistungsfähigen Materialien häufig erhebliche Fehler bei der Vorhersage der Eigenschaften. Dies ist das Ergebnis einer internationalen Studie unter Federführung der Universität Bayreuth.
Foto: Smarterpix / kentoh
Ob Akkus im Smartphone oder Solarmodule auf dem Dach – viele Technologien basieren auf präzise entwickelten Funktionsmaterialien. Da gesellschaftliche Herausforderungen wie der Klimawandel neue Lösungen erfordern, wächst der Bedarf an leistungsfähigen und nachhaltigen Materialsystemen. Gleichzeitig bleibt deren Entdeckung schwierig, weil Synthese und Analyse experimentell aufwendig und kostenintensiv sind.
In den vergangenen Jahren rückten daher Computersimulationen und KI-gestützte Methoden in den Fokus. Sie können enorme Materialräume durchsuchen und vielversprechende Kandidaten identifizieren. Die nun vorgelegte Studie, erschienen in Advanced Materials, zeigt jedoch, dass diese Ansätze in zahlreichen Fällen fehlerhafte Vorhersagen liefern – mit potenziell deutlichen Auswirkungen auf spätere Anwendungen. Die Forschenden stellen deshalb Werkzeuge bereit, die die Effizienz und Verlässlichkeit rechnerischer Materialsuche verbessern.
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Die Herausforderung ungeordneter Strukturen
Materialwissenschaftliche Entdeckungen bewegen sich in einem nahezu unüberschaubaren Raum möglicher Elementkombinationen und Strukturvarianten. Experimentelle Einschränkungen führen dazu, dass nur begrenzte Teile dieses Raums tatsächlich untersucht werden können. Simulationsgestützte Methoden versprechen Abhilfe, besonders bei kristallinen Materialien mit ihren regelmäßig angeordneten Atomen.
Doch genau hier zeigt sich ein systematisches Problem: Viele Modelle gehen von idealisierten Kristallstrukturen aus und berücksichtigen nicht die kristallographische Unordnung, die in realen Materialien häufig vorkommt. Substitutionsunordnung – das „Vermischen“ ähnlicher Elemente auf Gitterplätzen – kann zentrale Materialeigenschaften beeinflussen. Werden diese Effekte nicht einbezogen, produzieren KI-Modelle oder Simulationen unzuverlässige Vorhersagen.
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Ein neues Werkzeug für ungeordnete Kristalle
Ein internationales Forschungsteam aus der Theorieabteilung des Fritz-Haber-Instituts, dem Imperial College London und der Universität Bayreuth entwickelte unter der Leitung von Prof. Dr. Johannes T. Margraf, Lehrstuhl Physikalische Chemie V der Universität Bayreuth, ein maschinelles Lernverfahren, das ungeordnete Materialien zuverlässig erkennen kann.
Der Erstautor der Studie, Konstantin Jakob, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz-Haber-Institut, beschreibt das Ziel des Ansatzes so: „Mit diesem Werkzeug können wir vorhersagen, ob ein Kristall von solcher Unordnung betroffen ist oder nicht, und die Materialentdeckung in rechnerisch gut darstellbare Bereiche lenken.“ Das Modell wurde anschließend auf umfangreiche Materialdatenbanken angewendet, deren Einträge zuvor durch Simulationen als vielversprechend eingestuft worden waren. Die Forschenden stellten fest, dass in allen untersuchten Fällen ein erheblicher Teil dieser Materialien voraussichtlich strukturelle Unordnung aufweist. In einem Beispiel lag der Anteil sogar bei über 80 %. Damit könnte die Mehrzahl der vorgeschlagenen Materialien im Experiment andere Eigenschaften zeigen als theoretisch vorhergesagt.
Stolpersteine erkennen und adressieren
Für die rechnergestützte Materialwissenschaft ist dies ein entscheidender Hinweis: Werden ungeordnete Strukturen in Modellen nicht berücksichtigt, entstehen systematische Fehler, die die Aussagekraft von Simulationen einschränken. Dies betont Prof. Dr. Johannes T. Margraf, der die Studie leitete: „Unsere Studie zeigt, dass Unordnung in der rechnergestützten Materialwissenschaft ein entscheidender Stolperstein sein kann, wenn sie von der Simulation nicht berücksichtig wird. Glücklicherweise können mit den bereitgestellten Werkzeugen ungeordnete Materialien auch in groß angelegten Workflows erkannt und mit den richtigen rechnerischen Methoden adressiert werden.“
Die Autorinnen und Autoren sehen in dem neuen Verfahren einen Weg, sowohl die Zuverlässigkeit als auch die Effizienz computergestützter Materialsuche künftig deutlich zu verbessern.




