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Digitaler Zwilling 22.09.2023, 09:40 Uhr

Mercedes-Benz setzt bei der MMA-Plattform auf „Digital-First“

Bei der Produktion der neuen MMA-Plattform steht der digitale Zwilling im Fokus. KI und virtuelle Inbetriebnahmen erhöhen die Effizienz und die Geschwindigkeit.

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Die Mercedes-Benz Werke Rastatt (Deutschland), Kecskemét (Ungarn) und Peking (China) produzieren ab Mitte der Dekade neue MMA-Modelle (Mercedes Modular Architecture). Innerhalb des digitalen Ökosystems MO360 wurden neue Produktionstechniken eingeführt.

Foto: Mercedes-Benz

Die Einführung der Mercedes Modular Architecture (MMA), die im September auf der IAA Mobility in München mit dem Concept CLA Class vorgestellt wurde, markiert laut Mercedes-Benz den nächsten Schritt, um das Ökosystem der digitalen Produktion intelligenter zu machen. Mit seinem flexiblen Produktionssystem auf Basis von Echtzeitdaten vernetze Mercedes-Benz seine weltweit rund 30 Werke. Durch MO360 sei Mercedes-Benz in der Lage, Elektro-, Hybrid- und Verbrenner-Modelle auf einer Linie zu produzieren und somit die Produktion von Elektrofahrzeugen entsprechend der Marktnachfrage flexibel zu skalieren.

„Mercedes-Benz läutet mit der Integration von Künstlicher Intelligenz, MB.OS und dem digitalen Zwilling auf Basis von NVIDIA Omniverse in das MO360-Ökosystem eine neue Ära des Automobilbaus ein. Mit unserem neuen ‚Digital First‘ Ansatz können wir bereits vor dem Start unserer MMA-Modelle im weltweiten Produktionsnetzwerk Effizienzpotenziale heben und den Anlauf signifikant beschleunigen.“

Jörg Burzer, Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz Group AG, Produktion, Qualität und Supply Chain Management

Virtuelle Inbetriebnahme einer Montagehalle: Mercedes-Benz Werk Rastatt senkt Bauzeit und -kosten

Das Mercedes-Benz Werk Rastatt nutzt, wie es weiter heißt, den digitalen Zwilling, um den Anlauf von Fahrzeugen der nächsten Generation vorzubereiten, sodass die Montage in den bestehenden Hallen minimal unterbrochen wird. Mit dem „Digital First“-Ansatz sorge Mercedes-Benz dafür, dass die neue Produktionslinie für Modelle auf der MMA-Plattform im bestehenden Werk mit hochpräzisen digitalen Simulationstechniken modifiziert, konfiguriert und optimiert werden könnten. Die exakte Position von Maschinen, Versorgungswegen und Produktionslinien könne vorab bestimmt und simuliert werden, ohne die Produktion der aktuellen Kompaktwagen A- und B-Klasse, GLA und EQA zu unterbrechen. Darüber hinaus könne die Produktion im Vergleich zu einem herkömmlichen Planungsprozess deutlich schneller hochgefahren werden. Mercedes-Benz investiert nach eigenen Angaben einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag, um das Werk Rastatt auf Fahrzeuge der nächsten Generation vorzubereiten. Die virtuelle Inbetriebnahme in Rastatt diene als Blaupause für das globale Produktionsnetzwerk und soll auch im Kooperationswerk in Peking entsprechend ausgerollt werden.

Digitaler Zwilling in der Produktion: Virtuelle Fabriken mit dem NVIDIA Omniverse

Mercedes-Benz entwickelt neue Produktionstechniken mit NVIDIA. Das Unternehmen bringt seine Kompetenzen in den Bereichen Softwareplattformen, Daten und Künstliche Intelligenz (KI) ein. Für die Werkserweiterung am ungarischen Standort Kecskemét hat Mercedes-Benz demnach erstmals eine vollständig digitale Abbildung der gesamten Halle erstellt. Dabei setzt das Unternehmen auf NVIDIA Omniverse, eine Plattform zur Entwicklung von Universal Scene Description (OpenUSD)-Anwendungen für die industrielle Digitalisierung, beispielsweise den digitalen Zwilling. Wie das Unternehmen ausführt, umfasst der digitale Zwilling das gesamte Gebäude und die darin befindlichen Infrastruktur inklusive der Pausenbereiche und Umkleidekabinen für die Mitarbeitenden. Mit dem digitalen Zwilling für die Produktion lassen sich Montagebereiche virtuell planen, umbauen und prüfen. Dabei können unter anderem auch die Bedarfe nach kurzen Wegen, ausreichend breiten Gängen und einem entsprechenden Brandschutz berücksichtigt werden. Die virtuelle Inbetriebnahme ermögliche eine höhere Geschwindigkeit, Transparenz und Flexibilität der Produktionsprozesse, ohne dass kostenintensive Hardware eingesetzt werden muss. Durch die Simulationen können weitere Kosteneinsparungen identifiziert werden. Durch die Nutzung von Omniverse könne Mercedes-Benz direkt mit seinen Lieferanten interagieren und die Koordinationsprozesse halbieren. Der Einsatz eines digitalen Zwillings verdoppele die Geschwindigkeit beim Umbau oder Bau einer Montagehalle und verbessere gleichzeitig die Prozessqualität. Mit den in der virtuellen Welt gesammelten Daten lassen sich Montageprozesse noch schneller optimieren und potenzielle Fehler und Mängel frühzeitig erkennen – ohne Auswirkungen auf die „reale Welt“.

„Was wäre, wenn die physische Realität zu einem Abbild der Digitalen Welt würde, anstatt die Digitale Welt zu einem Abbild der physischen Realität? Unsere Vision ist, dass wir in Zukunft den „Digitalen Zwillingen“ genauso viel Vertrauen schenken wie der physischen Realität.“

Jan Brecht, Chief Information Officer (CIO) der Mercedes-Benz Group AG

„Die Digitalisierung wird eine ganz neue Ära der Effizienz für die Automobilindustrie ermöglichen. Mit NVIDIA Omniverse und KI entwickelt Mercedes-Benz einen vernetzten, digitalen Ansatz, um seine Fertigungsprozesse zu optimieren und letztendlich die Bauzeit und die Produktionskosten zu senken.“

Rev Lebaredian, Vize Präsident von Omniverse und Simulationstechnologie bei NVIDIA

Effizienz durch KI

Darüber hinaus eröffne die Einführung von KI neue Bereiche der Energie- und Kosteneinsparung. Angefangen mit dem Werk Rastatt werde die digitale Produktion im Bereich der Lackieranlagen eingeführt. KI trug laut Mercedes-Benz dazu bei, Effizienzsteigerungen in den Decklackkabinen zu erzielen, in denen die Fahrzeugchassis ihre Lack- und Schutzschichten erhalten. Anstelle einer konventionellen speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) übernahm KI im Pilotversuch die Überwachung der relevanten Teilprozesse, was zu einer Energieeinsparung von 20 % im Vergleich zur konventionellen SPS-Steuerung führte. Darüber hinaus habe KI den Zeitaufwand für die Einleitung der Teilprozesse enorm reduziert. Die erfolgreiche Anwendung der KI-gesteuerten Verfahrenstechnik sei ein wichtiger Schritt in der Digitalisierung der Produktion und wird nun auf weitere Mercedes-Benz Werke ausgerollt.

Im vergangenen Mai startete Mercedes-Benz ein ChatGPT-Projekt innerhalb des digitalen Ökosystems MO360, um Produktionsprozesse zu optimieren und die Identifizierung von Fehlern zu beschleunigen. Mit der „Demokratisierung von Daten“ können wichtige Produktionsdaten von vielen Mitarbeitern abgerufen werden. So können sie Prozesse und Daten in Echtzeit auswerten.

Verwendung von MB.OS zentralisiert den Softwarebetrieb der Mercedes-Benz Fahrzeugproduktion

Das Mercedes-Benz Operating System (MB.OS) – entwickelt auf einer Chip-to-Cloud-Architektur – wird den Angaben zufolge erstmals in der Serienproduktion zum Einsatz kommen. Notwendige Software wird nicht mehr durch einzelne Maßnahmen gesteuert, sondern in zyklisch getakteten Softwarepaketen in der Produktion eingesetzt, führt das Unternehmen aus. MB.OS im Fahrzeug und die daraus abgeleiteten Techniken in der Produktion ermöglichen zehnmal schnellere Software-Updates als bisher bei gleichzeitig steigender Datenmenge. Durch die direkte Anbindung der Produktion an die Mercedes Intelligent Cloud (MIC) verlassen alle Fahrzeuge die Produktion „always up-to-date“. Damit ergänzt Mercedes-Benz seine Over-the-Air-Software-Strategie für bereits ausgelieferte Fahrzeuge. Software-Optimierungen könnten innerhalb weniger Stunden global ausgerollt werden, was die Sicherheit und die Qualität der Fahrzeuge deutlich erhöhe und die Einhaltung erhöhter Zertifizierungsanforderungen sicherstelle. Die MIC ist direkt mit der MO360 Data Platform innerhalb des Entwicklungs-, Produktions- und Flottenbetriebsnetzwerks verbunden. Sie ist für Software-Update-Pakete und Installationsprozesse verantwortlich. Beide sind über eine intelligente Analyseschnittstelle miteinander verbunden, so dass jeder Mitarbeitende über die MO360 Data Platform den aktuellen Softwarestatus eines beliebigen Fahrzeugs im Netzwerk auslesen und analysieren kann. Unterstützt wird dies durch eine App zur intelligenten Fehlerdiagnose („Predictive Failure Prevention“). Die App erkennt mögliche Fehler frühzeitig und gibt mit einem intelligenten Algorithmus während des Produktionsprozesses Handlungsanweisungen zur Qualitätssicherung.

Von Mercedes-Benz/Udo Schnell