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Bauvertrag: Ordentliche Kündigung 24.08.2023, 15:08 Uhr

Was versteht man unter „Anderweitigem Erwerb“?

Wird ein Bauvertrag ohne wichtigen Grund gekündigt, muss sich der Auftragnehmer auf die Vergütung für die kündigungsbedingt nicht erbrachten Leistungen anrechnen lassen, was er durch „anderweitige Verwendung“ seiner Arbeitskraft erwirbt. Was bedeutet das?

PantherMedia D5856404

Foto: panthermedia/discovery (YAYMicro)

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 15. März 2023 (– VII ZR 150/22 –) knapp aber unter Hervorhebung der wesentlichen Gesichtspunkte zusammengefasst, in welchem Umfang der Auftragnehmer zu dem anderweitigen Erwerb vortragen muss. Die Klägerin war vom Beklagten mit Bauleistungen beauftragt worden; die VOB/B war vereinbart. Nach Streitigkeiten über die Ausführung der Leistung kündigte die Beklagte. Die Klägerin berechnete unter anderem 22 000 Euro als Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen. Nach ihrem Vortrag hat sie nach der Kündigung ihr Personal auf anderen Baustellen eingesetzt; sie hat weder Personal entlassen noch in Kurzarbeit versetzt. Sie hat ferner vorgetragen, dass sie sich ständig auf nahezu alle ausgeschriebenen Aufträge aus ihrem Gewerk bewerbe und über ihre Leistungskapazität hinaus Aufträge annehme; sie verschiebe das Personal regelmäßig zwischen den verschiedenen Aufträgen. Das Berufungsgericht, das von einer ordentlichen Kündigung ausgeht, hat der Klägerin nur 1 500 Euro nach Paragraf 648 Satz 3 BGB zugesprochen. Mit der Revision vor dem BGH begehrt die Klägerin den vollen geltend gemachten Betrag.

Sekundäre Darlegungslast

Der Auftraggeber kann einen Bauvertrag nach Paragraf 8 Absatz 1 Nr. 1 VOB/B (ebenso nach Paragraf 648 Satz 1 BGB) jederzeit kündigen. Der Auftragnehmer behält in diesem Fall grundsätzlich den vollen Vergütungsanspruch für die gekündigten Leistungen, muss sich aber anrechnen lassen, was er aufgrund der Kündigung erspart und was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erworben hat (Paragraf 8 Absatz 1 Nr. 2 VOB/B, Paragraf 648 Satz 2 BGB), wobei aber nur der Erwerb aus sogenannten „echten“ Füllaufträgen, Aufträgen, die der Auftragnehmer gerade wegen der Kündigung annehmen konnte, anzurechnen ist.

Die Beweislast für die Höhe der ersparten Aufwendungen und des anderweitigen Erwerbs trägt der Auftraggeber. Da dieser aber keine Kenntnisse darüber hat, was der Auftragnehmer konkret erspart oder anderweitig erworben hat, trifft den Auftragnehmer eine sogenannte sekundäre Darlegungslast: Er muss schlüssig und nachvollziehbar vortragen, was er sich als Ersparnis beziehungsweise anderweitigen Erwerb anrechnen lässt.

Auftragsbezogene Darlegung

Hinsichtlich der ersparten Aufwendungen ist eine konkrete vertragsbezogene Darlegung erforderlich; die Ersparnisse müssen sich aus dem Vertrag ableiten lassen. Im Hinblick auf den anderweitigen Erwerb kann nicht schematisch festgelegt werden, was vom Auftragnehmer vorzutragen ist. Vielmehr richtet sich der erforderliche Vortrag danach, inwieweit für den konkreten Streitfall Darlegungen erforderlich sind, damit der Auftraggeber seine Rechte sachgerecht wahren kann. Es kommt in erster Linie darauf an, ob der Auftragnehmer einen Füllauftrag erhalten oder böswillig unterlassen hat, einen solchen zu bekommen. Es genügt, wenn der Auftragnehmer wahrheitsgemäß, nachvollziehbar und ohne Widerspruch zu den Vertragsumständen darlegt, ob und in welchem Umfang er anderweitige Aufträge akquirieren konnte. Dazu kann der Vortrag ausreichen, dass der Auftragnehmer keine anderweitigen Aufträge bekommen konnte.

Je wahrscheinlicher es aber nach den Umständen ist, dass der Auftragnehmer Füllaufträge erlangt hat, desto ausführlicher und konkreter muss der Vortrag des Auftragnehmers ausfallen. Er muss dann in erhöhtem Maße seine Akquisitionsbemühungen und deren Erfolg darstellen. Allerdings kann der Auftraggeber regelmäßig nicht verlangen, dass der Auftragnehmer von vorneherein seine gesamte Geschäftsstruktur offenlegt, um dem Auftraggeber die Beurteilung zu ermöglichen, welche Aufträge auch ohne die Kündigung erlangt worden wären. Wenn nahe liegt, dass der Auftragnehmer das Personal nach der Kündigung anderweitig eingesetzt hat – was etwa aus dem Umfang der gekündigten Leistung oder dem Zeitraum, den der Auftragnehmer ohne Kündigung noch gebunden gewesen wäre, abgeleitet werden kann – sind erhöhte Anforderungen an die Darlegung des Auftragnehmers zu stellen.

Schätzung wegen mangelnder Darlegung

Nach dem Vortrag des Auftragnehmers hat dieser sein Personal durchgehend beschäftigen können. Zwar könnte sich aus der Praxis, Aufträge über die Leistungsfähigkeit hinaus anzunehmen, ergeben, dass das freigewordene Personal nur zur „Lückenfüllung“ auf anderen Baustellen eingesetzt worden ist – dann läge kein Füllauftrag vor –, aber nach diesem Vortrag ist auch nicht auszuschließen, dass es echte Ersatzaufträge gab. Dazu hätte der Auftragnehmer konkret vortragen und darlegen müssen, dass tatsächlich aufgrund der Kündigung keine zusätzlichen Aufträge angenommen worden sind und angenommen werden konnten. Das ist nicht geschehen. Mangels hinreichender Darlegung kommt es nicht zu einer Schätzung durch das Gericht; vielmehr greift Paragraf 648 Satz 3 BGB ein, der auch im VOB-Vertrag Anwendung findet. Danach wird vermutet, dass dem Auftragnehmer fünf Prozent des Vergütungsanteils, der auf die gekündigten Leistungen entfällt, geltend machen kann. Die dargestellten Grundsätze gelten auch im Fall der ordentlichen Kündigung eines Ingenieurvertrags.

Von Dr. Reinhard Voppel, Rechtsanwaltskanzlei Osenbrück, Bubert, Kirsten, Voppel, Köln