Zum E-Paper
Vertragsrecht auf der Baustelle 05.06.2023, 12:43 Uhr

Was ist unter „tatsächlichen Mehrkosten“ zu verstehen?

Für Mehrmengen und Nachtragsleistungen kann ein Auftragnehmer eine Erstattung der ihm entstandenen „tatsächlichen Mehrkosten“ beanspruchen. Allerdings ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, was darunter zu verstehen ist.

Foto: panthermedia/discovery (YAYMicro)

Foto: panthermedia/discovery (YAYMicro)

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind – soweit die Parteien sich nicht anders geeinigt haben – für Mehrmengen über zehn Prozent nach Paragraf 2 Abs. 3 VOB/B die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten und Gewinn anzusetzen. Dasselbe gilt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung auch für die Nachtragspreise bei geänderten Leistungen (Paragraf 2 Abs. 5 VOB/B, vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.2019 – 5 U 52/19) und zusätzliche Leistungen (Paragraf 2 Abs. 6 VOB/B, vergleiche OLG Brandenburg, Urteil vom 22.4.2020 – 11 U 153/18). Auch Paragraf 650 c BGB sieht, wenn die VOB/B nicht vereinbart ist, eine Nachtragsvergütung in Höhe der tatsächlichen Kosten vor. Jedoch: Wie sind die tatsächlichen Kosten zu ermitteln?

Konsequente Dokumentation vereinfacht den Nachweis

Dazu hat sich das Oberlandesgericht Koblenz (Beschluss vom 21.4.2022 – 1 U 2211/21) geäußert. Der Beklagte hatte den Kläger unter anderem mit der Erstellung von 13 Kopflöchern beauftragt. Tatsächlich musste der Kläger auf Wunsch des Beklagten 35 Kopflöcher ausführen. Die Arbeiten wurden 2014/2015 ausgeführt. Für die zusätzlichen Kopflöcher beansprucht der Kläger eine Zusatzvergütung nach Paragraf 2 Abs. 5 VOB/B.

Der Auftragnehmer muss die tatsächlich angefallenen Kosten und die angemessenen Zuschläge nachvollziehbar darlegen. Zwar sind Gerichte befugt, hinsichtlich der Höhe der Vergütung eine Schätzung nach Paragraf 287 ZPO vorzunehmen, wenn es dem Auftragnehmer nicht bis ins Letzte gelingt, seinen Anspruch darzulegen. Dafür benötigen die Gerichte aber eine geeignete Schätzgrundlage, die wiederum entsprechenden Vortrag des Auftragnehmers erfordert.

Der Kläger bildet einen neuen Einheitspreis für die zusätzlichen Kopflöcher. Dieser setzt sich aus Preisbestandteilen für den Zeitansatz, Geräte und Arbeit zusammen. Der Kläger legt einen Leistungsansatz von 1,100 m³/h zugrunde, den er einerseits als „üblichen“ Ansatz bezeichnet, andererseits verweist er auf „zuvor erläuterte kalkulatorische Ansätze“. Insgesamt bezieht er sich auf die Bautagesberichte. „Kalkulatorische Ansätze“ geben keine Auskünfte über die tatsächlichen Kosten. Aus der Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden in Verbindung mit den Bautagesberichten ließe sich der tatsächliche Zeitaufwand ermitteln. Den Bautagesberichten des Klägers konnte das Gericht aber die Werte gerade im Bezug auf die Kopflöcher nicht entnehmen. Auftragnehmer müssen also im Hinblick auf etwaige Preisanpassungen für eine hinreichende Dokumentation sorgen.

Welche Kosten können geltend gemacht werden?

Hinsichtlich der Gerätekosten trägt die Klägerin vor, dass sie die Kosten im Einzelnen nicht nachweisen könne. Sie bezieht sich stattdessen auf Marktpreise, die bei der Erstellung des Schriftsatzes 2020 durch Internet-Recherche ermittelt worden sind. Der Auftragnehmer kann sich für die Darlegung der tatsächlichen Kosten auf Marktpreise beziehen, muss jedoch den Preisstand zum Zeitpunkt der Ausführung zugrunde legen. Bei den Arbeitskosten setzt der Kläger den Mittellohn an. In der Literatur ist streitig, ob das zulässig ist. Das Gericht lässt die Frage offen, da schon der Zeitansatz nicht nachvollziehbar dargelegt sei (vgl. vorstehend). Es sprechen gute Gründe dafür, den Mittellohn anzusetzen, weil ein konkreter Nachweis praktisch kaum zu führen ist und auch sonst zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen führt.

Im vorliegenden Fall spielten Materialkosten keine Rolle. Für Materialkosten sind die tatsächlichen Einkaufspreise nachzuweisen, wobei der Auftragnehmer auch (gegebenenfalls durch Vorlage von Vergleichsangeboten) zu belegen hat, dass die von ihm bezahlten Preise marktkonform sind. Die vom Kläger als prozentualen Zuschlag geltend gemachten Baustellengemeinkosten hat das Gericht nicht akzeptiert. Diese Kosten müssen ebenfalls als direkte Kosten und damit über die tatsächlichen Kosten in Ansatz gebracht werden.

Es kann ferner ein angemessener Zuschlag für Allgemeine Geschäftskosten geltend gemacht werden. Der Kläger hat die Allgemeinen Geschäftskosten unter Verweis auf seine Kalkulation berechnet. Das ist unzulässig. Unter angemessenen Zuschlägen sind in der Regel branchenübliche Zuschläge zu verstehen.

Zudem hat der Kläger Kosten für die Nachtragsbearbeitung geltend gemacht. Ein Erstattungsanspruch gegen den Auftraggeber besteht nicht. Über Paragraf 2 Abs. 3, 5, 6 VOB/B sollen Mehrkosten erstattet werden, die bei der Ausführung der Änderungs- oder Zusatzleistungen anfallen. Die Nachtragsbearbeitungskosten gehören nicht dazu. Diese sind vielmehr in den Allgemeinen Geschäftskosten enthalten. Dabei ist zu beachten, dass der Auftragnehmer nicht verpflichtet ist, das Nachtragsleistungsverzeichnis aufzustellen, was Sache des Auftraggebers ist, sondern er muss es lediglich bepreisen.

Die Ermittlung der tatsächlichen Kosten stellt an den Auftragnehmer hohe Anforderungen. Er ist darlegungs- und beweispflichtig. Jede Bezugnahme auf kalkulierte Kosten verbietet sich. Der Auftragnehmer muss durch hinreichende Dokumentation und eine zeitnahe Ermittlung von Marktpreisen die Basis für seine Abrechnung schaffen.

Von Dr. Reinhard Voppel, Rechtsanwaltskanzlei Osenbrück, Bubert, Kirsten, Voppel, Köln