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EU-Richtlinie zu Luftqualität 20.12.2023, 09:55 Uhr

Krank durch Feinstaub: Schadensersatzanspruch im Gespräch

In Kürze soll ein Trilog der EU-Institutionen zu neuen Grenzwerten in der Lufthygiene starten. Dabei könnten auch Vorgaben für die Schadstoffbelastung in Innenräumen zum Thema werden – mit weitreichenden Haftungsfolgen für Hersteller und Betreiber.

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Die EU will zu schärferen Grenzwerten für Emissionen verpflichten.

Foto: Genath

Die Novelle der bestehenden EU-Regelung sieht teilweise massive Absenkungen der aktuell gültigen Vorgaben vor. So liegt der empfohlene Grenzwert für die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) künftig bei nur noch 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (bisher 40 Mikrogramm). Auch für Feinstaub PM 2.5 (enthält zu 50 Prozent Partikel mit einem Durchmesser um 2,5 µm) soll das Limit stark abgesenkt werden: auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft statt bisher 25 Mikrogramm. Feinstaub PM 10 begrenzt die Vorlage auf maximal 20 statt bisher 40 Mikrogramm und Schwefeldioxid (SO2) auf 50 statt bisher 125 Mikrogramm. Die Frachten nähern sich damit den noch niedrigeren Grenzwerten der Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Annahme des Kommissions-Entwurfs hätte große Auswirkungen auf Maßnahmen zur Luftreinhaltung – wie etwa innerstädtische Fahrverbote. In Deutschland zum Beispiel übersteigen an knapp der Hälfte der Messstationen die NO2-Werte den Kommissions-Vorschlag.

EU-Parlament folgt den Empfehlungen – Mitgliedsstaaten ab 2030 in der Pflicht

Unter der Bezeichnung Trilog laufen bei der EU informelle Verhandlungstreffen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission mit dem Ziel, eine Übereinstimmung zwischen den beiden Ko-Gesetzgebern EU-Parlament und Rat zu erreichen. Die Europäische Kommission hat dabei eine vermittelnde Rolle. Ohne diese Einigung kommt es nicht zu einer neuen Richtlinie. Sollten die Grenzwerte in der vorgeschlagenen Form in Kraft treten, müssen die Mitgliedsstaaten sie bis spätestens 2030 einhalten. Dieser Schritt ist Teil des „Zero Pollution Action Plan“ [II], den die EU als Teil ihres „Green Deals“ veröffentlicht hat.

Das EU-Parlament hat die Kommissionsempfehlungen im September angenommen. Nach der Abstimmung sagte der Berichterstatter Javi López: „Die Bekämpfung der Luftverschmutzung in Europa erfordert sofortiges Handeln. Diese in Zeitlupe ablaufende Pandemie fordert einen verheerenden Tribut von unserer Gesellschaft und führt zu vorzeitigen Todesfällen und einer Vielzahl von Herz-Kreislauf- und Lungenkrankheiten. Wir müssen den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen, unsere Luftqualitätsnormen an die WHO-Leitlinien anpassen und einige der Bestimmungen dieser Richtlinie verstärken. Wir müssen ehrgeizig sein, um das Wohlergehen unserer Bürger zu schützen und eine sauberere und gesündere Umwelt zu schaffen.“ Die Zustimmung des EU-Rats steht noch aus, die soll der Trilog herbeiführen.

Europäische Umweltagentur: 417 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr

Luftverschmutzung zählt global zu den großen Gefahren für die menschliche Gesundheit. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn sich an der Oberfläche von Stäuben gefährliche Stoffe wie Schwermetalle oder Krebs erzeugende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) anlagern. Auch die Staubpartikel selbst stellen ein Gesundheitsrisiko dar. Je kleiner die Teilchen sind, desto tiefer dringen sie in die Lunge ein, bis in die Lungenbläschen. Die Europäische Umweltagentur (EEA) spricht aufgrund einer Überlast von Feinstäuben und Stickstoffdioxid von 417 000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in 41 europäischen Staaten. Ein Todesfall gilt als vorzeitig, wenn er vor der statistischen Lebenserwartung der Person eintritt. Etwa acht Prozent der städtischen Bevölkerung in der EU sind laut EEA-Konzentrationen von Feinstaub PM 2.5 ausgesetzt, die die jetzigen Grenzwerte der EU überschreiten. Die noch schärferen WHO-Richtwerte hält die Atemluft bei 77 Prozent der Bürger nicht ein. Die WHO betont: Wenn die Luftqualität ihren Richtwerten entsprechen würde, könnten etwa 80 Prozent der auf PM 2.5 zurückzuführenden vorzeitigen Todesfälle vermieden werden.

Bisher nicht beachtet: Emissionen in Innenräumen

(Noch) nicht Thema einer EU-Richtlinie sind Maßnahmen für das Innenraumklima. Das bemängelte in der Anhörung des Umweltausschusses Christoph Hüglin vom Labor für Luftfremdstoffe und Umwelttechnik der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in Dübendorf/Schweiz. Für eine Einhaltung der vorgeschlagenen Grenzwerte müssten die Emissionen in allen relevanten Sektoren reduziert werden, also auch „bei privaten Haushalten. Dies bedingt zum Beispiel den Verzicht auf kleine und ineffiziente Feststofffeuerungen in Haushalten.“ Des Weiteren trage die Elektrifizierung nur dann zur allgemeinen Verbesserung der Luftqualität bei, wenn der entsprechende Strom emissionsfrei produziert werde. Das heißt, Feinstaub strömt indirekt aus Wärmepumpen, die den Verdichter mit fossilem Strom antreiben.

Nach einer früheren Messreihe des Umweltbundesamtes emittieren Hausheizungen je nach Brennstoff folgende Volumina: Erdgaskessel: 6 mg/kWh, Luftwärmepumpe: 20 mg/kWh, Heizölkessel: 22 mg/kWh, Fernwärme: 59 mg/kWh, Kessel für Pellets: 71 mg/kWh, Hackschnitzelkessel: 85 mg/kWh, Kaminofen für Pellets (ohne Warmwasserbereitung): 107 mg/kWh, Scheitholzkessel: 123 mg/kWh und Scheitholzkaminöfen (ohne Warmwasserbereitung): 382 mg/kWh.

Gefahr in Innenräumen: Feinstaub in der Wohnung durch Kaminöfen.

Foto: Genath

Die gesundheitlichen Risiken benannte Professor Barbara Hoffmann, Leiterin der Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Luftverschmutzung ist nach wie vor der größte umweltbezogene Risikofaktor für Krankheiten und vorzeitige Sterbefälle in Europa. Alle profitieren gesundheitlich von einer besseren Luftqualität, besonders Kinder, Schwangere, Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen und ältere Menschen. Eingeatmeter Feinstaub führt nicht nur zu schweren Herz- und Lungenerkrankungen, löst Krebs aus und schädigt – ähnlich wie Tabakrauch – ungeborene Kinder, sondern kann bis in das Gehirn vordringen und Demenz auslösen beziehungsweise die geistige Entwicklung von Kindern bremsen.“

Schadenersatz im Gespräch

Spannend in diesem Zusammenhang: Eine Neuerung des Richtlinienentwurfs sieht vor, dass ein wirksamer Anspruch auf Schadenersatz für Menschen geschaffen werden soll, wenn die Gesundheit ganz oder teilweise aufgrund eines Verstoßes gegen Vorschriften zu Grenzwerten oder Luftqualitätsplänen litt oder leidet. Diese geplante Passage schließt die Möglichkeit von Sammelklagen ein. Da es sich um einen neu eingeführten Artikel in dem Entwurf handelt, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, ob dieser von allen Mitgliedsstaaten Zuspruch findet und wie eine nationale Umsetzung aussehen könnte: Müssen die Hersteller von Feuerungen auf das Risiko einer Grenzwertüberschreitung hinweisen oder Betreiber von Kaminöfen ihre eingeladenen Gäste auf die Erkrankungsgefahr?

Von Dipl.-Ing. Bernd Genath, TGA-Fachjournalist