Zum E-Paper
Anhörung im Bundestag 17.11.2023, 13:18 Uhr

Experten kritisieren neue Vorlage zum Klimaschutzgesetz

Mit einer Anhörung im Parlament wollte die Bundesregierung die Novellierung des Klimaschutzgesetzes (KSG) voranbringen. Die geladenen Sachverständigen übten an dem vorgestellten Reformvorschlag jedoch massive Kritik. Wann das überarbeitete KSG nun schlussendlich in Kraft tritt, ist somit fraglicher denn je.

imago images 0306083864

Foto: Imago-images/Political-Moments

Nach Auffassung der befragten Experten und des im Parlament zuständigen gemeinsamen Ausschusses für Klimaschutz und Energie sei der Regierungsentwurf mit dem Titel „Zweites Gesetz zur Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes“ keine Nachbesserung der ersten Vorlage, sondern vielmehr eine deutliche Verschlechterung. Die Teilnehmenden aus Wissenschaft, Organisationen und Politik übten bei der Sitzung am 8. November vorwiegend Kritik an dem vorgelegten Reformvorschlag. Das seit 2019 geltende Klimaschutzgesetz (KSG) schwäche der Entwurf massiv ab.

Was kritisieren die Experten am neuen Vorschlag zur Reform des Klimaschutzgesetzes?

Vor allem diese Punkte stießen auf Ablehnung: Die strengen jährlichen Sektorziele für die Bereiche Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft sollen abgeschafft werden. Zielverfehlungen in einem Bereich sollen zukünftig mit Fortschritten in anderen Sektoren verrechnet werden. Das Einhalten der Sektorziele kann dann auch nicht mehr eingeklagt werden. Ebenso entfällt die Pflicht für betroffene Ministerien, bei Zielverfehlungen Sofortprogramme für mehr Klimaschutz vorzulegen. Ein Nachsteuern bei projizierten Verfehlungen der Emissionsziele insgesamt ist künftig nur noch alle zwei Jahre erforderlich.

Die Kritik kam nicht nur aus der Reihe jener Sachverständigen, die die Opposition eingeladen hatte. Selbst Parteienvertreter aus der Ampel-Koalition stellten sich gegen den Entwurf. SPD-Vertreter Miersch versicherte: „Ein Aufweichen der Klimaziele wird es mit der SPD-Fraktion nicht geben.“ Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Sprecher der Unionsfraktion für Klimaschutz und Energie, Andreas Jung, beklagte: „Die Sofortpflicht zur Nachsteuerung bei Zielverfehlung ist Herzstück für verlässlichen Klimaschutz. Dieses Herz reißt die Ampel dem Klimaschutzgesetz jetzt aus der Brust.“

Heike Vesper von der Umweltschutzorganisation WWF: „Sollte die Rettung ausbleiben, bleibt eventuell nur wieder der Weg vors Gericht.“ Da habe man aber wohl gute Karten, waren sich anwesende Rechts-Sachverständige einig. Ausgerechnet sie griffen besonders heftig den präsentierten Gesetzentwurf an. Er sei nach Rechtsanwältin Roda Verheyen, Vorstand von Green Legal Impact und Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts, „verfassungsrechtlich ausgesprochen problematisch“ und widerspreche der Auflage des Bundesverfassungsgerichts: „Keine Verschiebung von Reduktionslasten in die Zukunft und damit auf die nachfolgenden Generationen“, das sei die Vorgabe des Verfassungsgerichts gewesen, doch genau das passiere mit der geplanten Novelle.

„Klimaschutzprogramm klar rechtswidrig“

Ein Auszug aus der schriftlichen Stellungnahme der Richterin erläutert ihre Position zu Klimaschutzgesetz und Klimaschutzprogramm (KSP): „Die derzeitige Klimapolitik des Bundes auf Maßnahmenebene, unter Einbeziehung der im KSP 2023 angekündigten Maßnahmen, wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen insgesamt nicht gerecht. Die gegenwärtige und absehbare Klimapolitik des Bundes ist unzureichend, um den Reduktionspfad des KSG einzuhalten. Dieser Befund ist eindeutig. Er wird nicht nur durch den jüngsten Projektionsbericht nach § 10 Abs. 2 KSG bestätigt, der je nach Szenario bis 2030 eine kumulierte Erfüllungslücke von 331 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent bei Zugrundelegung der bereits verabschiedeten Maßnahmen (MMS) und immer noch 194 Millionen Tonnen CO2 unter Einbeziehung der im KSP 2023 lediglich angekündigten Maßnahmen (MWMS) projiziert (…), sogar die Bundesregierung selbst räumt im KSP 2023 ein, dass auch bei vollständiger Umsetzung der dort vorgesehenen Maßnahmen bis 2030 eine kumulierte Erfüllungslücke von circa 200 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent verbleiben würde (…). Damit ist das KSP 2023 zunächst einmal klar rechtswidrig. Es verstößt gegen die Vorgaben der §§ 8 und 9 KSG in bisheriger und in neuer Fassung, weil diese Vorschriften eine Einhaltung der (kumulierten) Emissionsmengen verlangen.“

Die defizitäre Klimapolitik verstoße auf Maßnahmenebene aber auch gegen verfassungsrechtliche Anforderungen. „Konkret verletzt die gegenwärtige (unterlassene) Klimapolitik das vom Bundesverfassungsgericht im Klimabeschluss entwickelte Gebot intertemporaler Freiheitssicherung. Danach dürfen die zur Einhaltung des Klimaschutzgebots notwendigen Reduktionslasten nicht einseitig in die Zukunft und damit auf nachfolgende Generationen (…) verlagert werden. (…) Darin liegt ein Eingriff in die intertemporale Freiheit. Zwar ist der Reduktionspfad des KSG(-E) nicht mit dem verfassungsrechtlichen Maßstab für einen freiheitsschonenden Reduktionspfad unmittelbar gleichzusetzen, dennoch ist die auf den KSG-Reduktionspfad bezogene Erfüllungslücke ein wesentlicher Indikator für die Verletzung intertemporaler Freiheit auf der Maßnahmenebene. (…) Das KSP 2023 legt nicht dar, wie die bis 2030 kumulierte Erfüllungslücke in der Folgezeit geschlossen werden soll.“

„Jedenfalls kann für eine grundrechtsschonende Bewältigung der absehbaren Erfüllungslücke nach 2030 nicht allein auf den europäischen Emissionshandel (EUETS) gesetzt werden. Zwar soll im Jahr 2027 (ggf. 2028) der EU-ETS II eingeführt werden, der insbesondere den Verkehrs- und Gebäudebereich abdeckt. Allerdings ist der ETS II allein nicht zur Sicherung intertemporaler Freiheit geeignet. Im Gegenteil: nach der Konzeption des Mechanismus werden zu Beginn, also 2027, zusätzliche 30 Prozent an Emissionszuteilungen aus späteren Jahren vorgezogen („Frontloading“), ferner werden zu Beginn zusätzliche Zertifikate ausgegeben, wenn die Preise besonders schnell oder über 45 Euro steigen.“

300 Euro für eine Tonne Kohlendioxid

Damit berge der ETS II „isoliert erhebliche Gefahren für die intertemporale Freiheit, weil die Preise nach den anfänglichen Dämpfungen später nur umso schneller ansteigen werden. Ohne flankierende Instrumente wird ein CO2-Preis von bis zu 300 Euro/Tonne vorausgesagt. Zum Vergleich: Das BEHG sieht für 2026 einen Preiskorridor von 55 bis 65 Euro pro Tonne vor. Dass der damit drohende, plötzliche Preissprung erhebliche Konsequenzen für die Freiheitsausübung des überwiegenden Teils der Bevölkerung hätte und zu enormen sozialen Verwerfungen führen würde, liegt auf der Hand.“

„Kerninhalt des KSG-E ist die Aufgabe der verbindlichen Sektorziele zugunsten einer „sektorübergreifenden mehrjährigen Gesamtrechnung“ (§ 4 Abs. 1 KSG-E). Dies schwächt die Steuerungsstruktur des Gesetzes, weil eine klare Verantwortungszuweisung für Emissionsreduktionen in den einzelnen Sektoren nicht mehr gegeben ist, wenn an die Stelle der Ressortverantwortung die Gesamtverantwortung der Bundesregierung tritt.“ Die auf Vorschlag der SPD geladene Fachfrau appellierte an die Abgeordneten: „Es ist zwingend erforderlich, dieses Gesetz so nicht anzunehmen.“ Zu dem gleichen Ergebnis kam Thorsten Müller, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht, der ebenfalls auf Vorschlag der SPD vor dem parlamentarischen Ausschuss Stellung bezog.

Zur Schonung der Ministerien

Nach Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, gehe es mit dem Gesetz offenbar darum, „säumige Ministerien vor schlechter Presse zu schonen und Klimablockadepolitik in Schlüsselsektoren wie dem Verkehr in einer mehrjährigen Gesamtrechnung“ zu verstecken. Müller-Kraenner, der auf Einladung der Linken-Fraktion Stellung nahm, sprach von drohender „Verantwortungsdiffusion“. Ähnlich urteilte Tobias Pforte-von Randow vom Deutschen Naturschutzring. Der vorliegende Gesetzentwurf diene lediglich der Verschleierung ungenügender Klimaschutzbemühungen, so der Experte, den die Grünen-Fraktion das Angebot gemacht hatte, vor dem Ausschuss zu sprechen.

Verkehr und Gebäude seien die Sektoren, die schon in der Vergangenheit ihre Ziele nicht erreicht hätten, sodass man nach europäischen Regeln Emissionszertifikate mit deutschem Steuerzahlergeld zukaufen musste, erklärte Christoph Bals von Germanwatch, der einer Anfrage der Unionsfraktion sprachnachgekommen war. Das werde zukünftig aber viel teurer, sagte Bals. Abschätzungen gingen von bis zu zweistelligen Milliardenbeträgen aus. Eventuell drohten EU-Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen. Eine fehlende Strategie im Verkehrs- und Gebäudebereich wäre daher „grob fahrlässig“, so Bals.

Auf Bitte der Grünen-Fraktion war auch Kerstin Andreae vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) nach Berlin gekommen. Sie wendete sich ebenfalls entschieden gegen eine Aufweichung der Sektorziele.

Begrenzte Zustimmung

Die Aufweichung der Sektorziele fand aber auch einige Befürworter. Gerald Haug, Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina/Nationale Akademie der Wissenschaften, nannte die neue Klimaschutzpolitik genauso richtig wie die daraus folgende gemeinsame Verantwortung der Regierung. Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagte, der Reformbedarf für das Klimaschutzgesetz bestehe, weil dessen Steuerungsmechanismen zwar hohe Verbindlichkeit und Flexibilität aufwiesen, „aber an den jeweils falschen Stellen“. Jahresscharfe sektorale Emissionsminderungsziele und die Zuweisung von sektoraler ministerieller Verantwortlichkeit schafften eine Vielzahl von politischen Interventionspunkten – vor allem bei der Ausgestaltung der Sofortprogramme, die bisher das zentrale Instrument der Nachsteuerung seien. Es sei jedoch mehr als fraglich, ob dies auch zu höherer langfristiger Glaubwürdigkeit führe. „Denn Sofortprogramme schließen Lücken, die in der Regel überhaupt erst entstehen, weil die langfristigen und strukturellen Maßnahmen unzureichend sind“, meinte Pahle, der auf Einladung der FDP sprach.

Erklärung der Regierung zur Gesetzesänderung

Die Bundesregierung hatte in der Bundestags-Drucksache 20/8290 unter anderem die Umstellung auf sektorübergreifende Jahresgesamtemissionen begründet: „Im Projektionsbericht von 2021 wurden für die bis 2030 kumulierten Jahresemissionsmengen in allen Sektoren (Ausnahme ist der Sektor Landwirtschaft, bedingt durch methodische Anpassungen im Treibhausgasinventar) erhebliche Überschreitungen festgestellt. Der größte Anteil entfiel auf den Energiesektor (500 Millionen Tonnen), es folgten der Verkehrssektor (271 Millionen Tonnen), der Industriesektor (178 Millionen Tonnen) und der Gebäudesektor (152 Millionen Tonnen). In der Überschrift (Anmerk. Redaktion: zu § 5 KSG-E) werden ‚Zulässige Jahresemissionsmengen und jährliche Minderungsziele‘ durch Jahresemissionsgesamtmengen ersetzt. Dies ändert nichts an der grundsätzlichen Verbindlichkeit der Jahresemissionsgesamtmengen für die Erreichung der nationalen Klimaschutzziele. Die Änderung ist erforderlich für den neuen Mechanismus des § 8, der eine mehrjährige und sektorübergreifende Gesamtbetrachtung vorsieht, und für die Umstellung auf Prognosedaten in § 5a. Zukünftig sind die Gesamtemissionsmengen entscheidend. Nur wenn diese in der Vorausschau überschritten werden, muss nachgesteuert werden. Damit werden die Gesamtverantwortung der Bundesregierung gestärkt und Klimaschutz zu einer echten Querschnittsaufgabe der Bundesregierung.“

Von Dipl.-Ing. Bernd Genath, TGA-Fachjournalist