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Kreislaufverbundsystem 01.02.2016, 00:00 Uhr

Modellierung von drei verschiedenen KVS-Ausführungen für eine gekoppelte Anlagen- und Gebäudesimulation

In diesem Beitrag wird das Kreislaufverbundsystem (KVS) behandelt. Bei einem KVS können die beiden Luftströme (Zuluft / Abluft) örtlich voneinander getrennt werden, der Energietransport wird mit einem Rohrleitungssystem hergestellt. Dadurch wird sichergestellt, dass diese beiden Luftströme vollständig getrennt sind, was eine Anwendung der Technik bei kritischen Anwendungen (Krankenhaus) erlaubt.

Bild: panthermedia.net/franckito

Bild: panthermedia.net/franckito

Lüftungs- und Klimaanlagen benötigen Wärme und Kälte zur Aufbereitung der Außenluft. Eine wesentliche Verringerung der dafür bereitzustellenden Leistungen sowie des jährlichen Energieverbrauchs lässt sich durch eine Rückgewinnung des Energieinhalts der Abluft erreichen [1]. Für die Wärmerückgewinnung existieren verschiedene gerätetechnische Verfahren, wie folgend dargestellt.

Übersicht verschiedener Wärmerückgewinnungsverfahren nach Recknagel, Kapitel Wärmerückgewinnung. Bild: Azem

Übersicht verschiedener Wärmerückgewinnungsverfahren nach Recknagel, Kapitel Wärmerückgewinnung. Bild: Azem

Heute erfolgt die Auslegung aller im Bild vorgestellten Wärmerückgewinnungssysteme üblicherweise nur nach einem Betriebspunkt, wobei dieser Betriebspunkt meist den Extremfall für die Dimensionierung darstellt und somit für eine Berechnung des jährlichen Energiebedarfs nur bedingt geeignet ist. Als Berechnungsmethode für den jährlichen Energiebedarf wird in diesem Beitrag ein dynamisches Simulationsmodell gewählt, welches das instationäre und gekoppelte Verhalten der Gebäudestruktur und Anlagentechnik berücksichtigt. Hierbei werden drei Systemvarianten eines KVS detailliert auf ihr Systemverhalten untersucht und in Hinblick auf einen möglichst geringen Primärenergiebedarf verglichen. Des Weiteren wird analysiert, welchen Einfluss die Anpassung des Primärenergiefaktors für den deutschen Strom-Mix ab 2016 auf den Primärenergiebedarf der betrachteten Varianten für Kreislaufverbundsysteme haben wird. Abschließend wird das dynamische Betriebsverhalten von Kreislaufverbundsystemen betrachtet. Insbesondere wird der Einfluss der thermischen Trägheit des Wärmeübertragers (Wärmeübertragermaterial, Rohrleitungen sowie Wärmeträgerflüssigkeit) bei wechselnd stationären und instationären Betriebszuständen ausgewertet.

Simulationswerkzeug

Für die Simulation der Bauphysik und der Anlagentechnik wird die objektorientierte Programmiersprache Modelica eingesetzt, in der alle Komponenten eines Versorgungssystems abgebildet werden können. Modelica ist eine physikalische, gleichungsbasierte Beschreibungssprache. Die Stärken der Sprache liegen besonders im Umgang mit mathematischen Gleichungen, Gleichungssystemen und deren automatischer Umwandlung in ausführbaren Programmcode. Während herkömmliche Hochsprachen keine echten mathematischen Gleichungen verarbeiten können, sondern nur Zuweisungen kennen, die einen festgelegten Programmablauf erfordern, ist es in Modelica möglich, Gleichungen zu formulieren, die erst bei der Erstellung des Rechenprogramms umgeformt und mathematisch optimiert werden. Für die Berechnung eines komplexen Versorgungssystems wird ein Berechnungsmodell aufgebaut, in dem folgende Effekte und Randbedingungen berücksichtigt sind:

  • die Anlagentechnik und das Regelungskonzept
  • das bauphysikalische Verhalten des Gebäudes
  • die Wettereinflüsse

Modellbildung

Wärmeübertrager-Modell

In diesem Abschnitt wird ein Wärmeübertrager-Modell eines Lamellenrohr-Wärmeübertragers mit flachen Lamellen vorgestellt. Es wird in der vorliegenden Arbeit zur Modellierung der Wärmeübertrager (WÜ) eines Kreislaufverbundsystems verwendet. Zur Berechnung des Wärmeübergangs wird ein Ansatz aus dem VDI-Wärmeatlas [2], Abschnitt Ca, Ea, Ga und La, genutzt. Das folgende Bild zeigt die schematische Darstellung des Wärmeübertragermodells in Modelica.

Schematische Darstellung eines Wärmeübertrager Modells unter Modelica. Bild: Azem

Schematische Darstellung eines Wärmeübertrager Modells unter Modelica. Bild: Azem

In der oberen Hälfte ist die Zustandsänderung des Luftmassenstroms, bestehend aus zwei FluidPorts1) und einem Volumen dargestellt. Der untere Teil der Abbildung zeigt die Zustandsänderung des Solemassenstroms des Wärmeübertragers, welche ebenfalls aus zwei FluidPorts und einem Kotrollvolumen besteht. Die Kopplung der Luft- und Solemassenströme erfolgt durch ein Wandmodell. Dieses Wandmodell besitzt eine thermische Kapazität c und überträgt den Wärmestrom von einer Seite zur anderen Seite. Die dazwischen liegenden Modelle dienen der Berechnung der Wärmeübergänge des Wärmedurchgangs (K-Wert) und der Druckverluste. Der sich einstellende Wärmestrom ist von den Massenströmen, den Stoffeigenschaften der Fluide sowie den Temperaturen abhängig. Aus den Zustandsgrößen der Fluide sowie den geometrischen Daten des Wärmeübertragers werden die Nusselt-Zahlen (Nu-Luft, Nu-Sole), deren Korrekturen für die spezielle Geometrie und daraus die Wärmeübergangszahlen auf Luft- und Soleseite (a-Luft, a-Sole) berechnet. Entsprechend der Temperaturverhältnisse und der Wärmekapazitätsströme ergibt sich ein Wärmestrom, der dem System aufgeprägt wird und wiederum die Temperaturen festlegt. Für die beiden Medien Luft und Sole wird ein Rechenmodell aus der Modelica-Standard-Bibliothek verwendet. In dem Luftmodell wird die Kondensation berücksichtigt. Die Stoffgrößen können aus der spezifischen Enthalpie, dem Druck und der Temperatur berechnet werden. Der Reibungsdruckverlust wirkt sich auf den berechneten Energiebedarf der Pumpen aus.

Kreislaufverbundsystem-Modell

Ein Kreislaufverbundsystem besteht aus mindestens zwei Sole-Luft-Wärmeübertragern, die im Außenluft- und Abluftmassenstrom einer Raumlufttechnischen Anlage angeordnet sind. Hierfür werden Lamellenrohr-Wärmeübertrager benutzt, die durch ein Rohrsystem mit einer Pumpe verbunden sind. Im Kreislauf wird die Sole verwendet. Es handelt sich um ein System, das eine drehzahlvariable Pumpe zur Regelung des Solemassenstroms nutzt. Die Regelung des Kreislaufverbundsystems sieht vor, dass die übertragene Wärmemenge herabgesetzt werden kann, falls die Energie der Abluft nicht vollständig auf die Zuluft übertragen werden soll.

Im nächsten Bild ist das neu entwickelte Modelica-Modell eines Kreislaufverbundsystems dargestellt.

Modelica-Modell des Kreislaufverbundsystems. Bild: Azem

Modelica-Modell des Kreislaufverbundsystems. Bild: Azem

Das Kreislaufverbundsystem besteht aus insgesamt fünf Wärmeübertragern. Der Aufbau dieses Modells ist einem realen Kreislaufverbundsystem nachempfunden, das am E.ON Energy Research Center der RWTH Aachen University untersucht wurde und für das Messwerte zur Validierung vorliegen. Hierbei sind zwei Wärmeübertrager auf der Abluftseite und drei Wärmeübertrager auf der Zuluftseite angeordnet. Für die Wärmeübertrager wird das im oberen Abschnitt vorgestellte Wärmeübertrager-Modell verwendet.

Die eintretenden Luftmassenströme, Außenluft und Abluft sowie die austretenden Ströme Fortluft und Zuluft werden in diesem Modell über Konnektoren (Datenschnittstellen) weitergegeben. An diese Schnittstellen können alle passenden Modelle wie Rohre oder Pumpen angeschlossen werden. Auf der Sole-Seite ist zur Umwälzung des Arbeitsmittels eine Pumpe vorgesehen.

Die zur Parametrisierung notwendigen geometrischen Daten sind in folgender Tabelle zusammengefasst.

Parameter der eingesetzten Wärmeübertrager.

Parameter der eingesetzten Wärmeübertrager.

Modell-Validierung

Kennzahlen zur Modell-Validierung

Zur Bewertung eines gesamten Kreislaufverbundsystems kann die Rückwärmzahl F herangezogen werden. Die Rückwärmzahl F ist eine einfache Kennzahl zur energetischen Bewertung von Wärmerückgewinnungssystemen. Die Rückwärmzahl wird gemäß Gl. (1) und (2) [3] definiert.

 

  (1)

 

 

 

  (2)

 

Gemäß der hier verwendeten Notation steht F1 für die auf die Abluftseite und F2 für die auf die Außenluftseite bezogene Rückwärmzahl. Für konstante Stoffwerte und gleiche Massenströme gilt F1 = F2. Die Temperatur der austretenden Abluft JAbl und die Temperatur der eintretenden Außenluft JAul werden als Bezugsgrößen für Rückwärmzahlen F1 und F2 verwendet. JFol und JZul bezeichnen die Austrittstemperaturen der Abluft- und Außenluftseite.

Validierung des Simulationsmodells

Um das erstellte Modelica-Modell zu validieren, werden zwei Simulationen durchgeführt. Die Ergebnisse der Simulationen werden gemessenen Werten gegenübergestellt und bewertet. Verglichen wird das Verhalten mit und ohne Kondensation auf der Abluftseite. Bei den Simulationen wird über Quellen auf der Zu- und Abluftseite ein konstanter Luftmassenstrom mit gleichbleibender Temperatur, Druck und Feuchte vorgegeben. Diese Vorgaben entsprechen den gemessenen Werten, die in den Laborversuchen ermittelt worden sind. Damit in den Wärmeübertragern auf der Abluftseite bei der ersten Simulation keine Kondensation auftritt, wird eine geringe absolute Feuchte für den Abluftmassenstrom gewählt. Um das Verhalten des KVS-Modells mit Kondensation zu untersuchen, wird in der zweiten Simulation der Abluftmassenstrom mit einer höheren absoluten Feuchte vorgegeben. Die genauen Parameter der Massenströme sind in der nächsten Tabelle dargestellt.

Parameter der Zuluftmassenströme für Konfiguration 1 und 2.

Parameter der Zuluftmassenströme für Konfiguration 1 und 2.

Eine Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass die Rückwärmzahl der ersten Simulation ca. 5,7 % vom gemessenen Wert abweicht.

Vergleich von Simulation und Messung der ersten Simulation. Bild: Azem

Vergleich von Simulation und Messung der ersten Simulation. Bild: Azem

Die Differenz der Temperaturen beträgt weniger als 1 K. Da die simulierte Zulufttemperatur geringer und die Fortlufttemperatur höher als die Vergleichswerte ausfallen, lässt sich schlussfolgern, dass im Modell weniger Energie als in der Realität übertragen wird.

Die Abbildung zeigt den Vergleich der zweiten Simulation, in der es durch die hohe Feuchte der Abluft zur Kondensation kommt.

Vergleich von Simulation und Messung der zweiten Konfiguration. Bild: Azem

Vergleich von Simulation und Messung der zweiten Konfiguration. Bild: Azem

Auffällig ist, dass der Kondensatmassenstrom in der Simulation deutlich unter dem gemessenen Wert liegt. Die prozentuale Abweichung beträgt ca. 15 %. Da in der Simulation weniger Wasser auskondensiert, wird folglich weniger latente Wärme und dementsprechend insgesamt ein geringerer Energiestrom übertragen. Jedoch ist die Abweichung bei der Rückwärmzahl mit 4 % geringer als im Falle der ersten Simulation. Die Differenz der Zulufttemperatur beträgt 0,7 K. Überlagerte Effekte wie Keimbildung, keimbildende Partikel und Staub werden wegen der hohen Komplexität im Simulationsmodell nicht berücksichtigt.

Auf Grundlage der Messgenauigkeit der experimentellen Untersuchungen und den bei der Modellierung gewählten Näherungen, sowie dem Umstand, dass die Formeln im VDI-Wärmeatlas ein typisches und nicht explizit den hier verwendeten Wärmeübertrager beschreiben, wird das bestehende Berechnungsmodell als ausreichend genau betrachtet. Alle vergleichenden Untersuchungen werden auf Basis dieser Modelle durchgeführt.

1)Hydraulische Konnektoren, die Eingangs- und Ausgangssignale weitergeben

 

 

Literatur:

[1] Wald-Michelbach; Dehli, F.: Wärmerückgewinnung, Oldenbourg Industrieverlag, 2007 (Recknagel).

[2] VDI-Wärmeatlas. Springer Berlin Heidelberg, 2013.

[3] Keller, L.: Leitfaden für Lüftungs- und Klimaanlagen: Grundlagen der Thermodynamik, Komponenten einer Vollklimaanlage, Normen und Vorschriften. Oldenbourg-Industrieverlag, 2009.

Von Azem Abdul et al.

M. Eng. Azem Abdul, Jahrgang 1980, Studiengang: Maschinenbau, Fachrichtung: Produktentwicklung, TFH Bochum, heutige Position und Funktion: Wiss. Mitarbeiter am E.ON ERC EBC. Dipl.-Ing. Peter, Matthes, Jahrgang 1975, Studiengang Gebäudetechnik, TU-Berlin, heutige Position und Funktion: Wiss. Mitarbeiter am E.ON ERC EBC. Dipl.-Ing. Paul, Mathis, Jahrgang 1982, Studiengang: Maschinenbau, Fachrichtung: Luft- und Raumfahrt, RWTH Aachen University, heutige Position und Funktion: Wiss. Mitarbeiter am E.ON ERC EBC, Teamleiter Anlagentechnik. Prof. Dr.-Ing. Dirk Müller, Jahrgang 1968, Studiengang: Maschinenbau, Fachrichtung: Grundlagen des Maschinenwesens, RWTH Aachen University, heutige Position und Funktion: Universitätsprofessor, RWTH Aachen University, E.ON Energy Research Center, Institute for Energy Efficient Buildings and Indoor Climate, Direktor.Dipl.-Ing. Georg Hetzel, Jahrgang 1966, Studiengang: Maschinenbau, Fachrichtung: Wärmetechnik, RWTH Aachen University, heutige Position und Funktion: Innovationsmanager im Produktmanagement für Air Handling Units, Trox GmbH.