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Forschende fordern konsequenten PV-Ausbau 14.04.2023, 16:32 Uhr

Klimaneutrales Energiesystem: Pro Jahr ein Photovoltaik-Plus von 25 Prozent nötig

Expertinnen und Experten weltweit setzen sich für einen forcierten Ausbau der Sonnenergie ein: In einem Anfang April in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten Artikel fordern sie einen stringenten globalen Ausbau der Photovoltaik über die nächsten zehn Jahre.

Den Autorinnen und Autoren des Science-Artikels zufolge muss die PV-Industrie in den nächsten zehn Jahren weiterhin mit jährlichen Raten von etwa 25 Prozent wachsen, um zu einem globalen klimaneutralen Energiesystem beizutragen (im Bild: PV-Anlage auf dem Obsthof Bernhard in Kressbronn am Bodensee. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird hier das Konzept einer Agri-Photovoltaik-Anlage mit Schwerpunkt auf Kern- und Beerenobst untersucht). Foto: Fraunhofer ISE

Den Autorinnen und Autoren des Science-Artikels zufolge muss die PV-Industrie in den nächsten zehn Jahren weiterhin mit jährlichen Raten von etwa 25 Prozent wachsen, um zu einem globalen klimaneutralen Energiesystem beizutragen (im Bild: PV-Anlage auf dem Obsthof Bernhard in Kressbronn am Bodensee. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird hier das Konzept einer Agri-Photovoltaik-Anlage mit Schwerpunkt auf Kern- und Beerenobst untersucht).

Foto: Fraunhofer ISE

Um den globalen Energiebedarf 2050 klimaneutral decken zu können, sei ein kontinuierlicher PV-Ausbau unumgänglich. Dies hatten Forschende bereits anlässlich des dritten „Terawatt-Workshops“ im vergangenen Jahr in Freiburg attestiert. An der Veranstaltung, die von Vertretenden des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, des National Renewable Energy Laboratory (NREL) und des National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST) geleitet wurde, nahmen PV-Expertinnen und Experten von 41 Institutionen aus 15 Ländern teil. Mit einer Fachveröffentlichung haben sie ihrem Anliegen nun nochmals Nachdruck verliehen. Es sei keine Option mehr, Wachstumsprognosen für PV abzusenken und stattdessen auf andere Energiequellen oder das Eintreten technologischer Wunder in letzter Minute zu warten, heißt es darin. Ein weltweiter Ausbau der Photovoltaik von 25 % pro Jahr über die nächsten zehn Jahre sei zwingende Voraussetzung für ein global klimaneutrales Energiesystem bis 2050, so die Fachleute.

75 Terawattstunden für das Erreichen der Dekarbonisierungsziele

Unter der Annahme einer zukünftigen Bevölkerung von zehn Milliarden Menschen, weiter sinkender PV-Kosten und eines steigenden Energieverbrauchs im globalen Süden gehen die Forschenden davon aus, dass bis 2050 etwa 75 Terawatt an weltweit installierter PV benötigt werden, um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen. „Die Ermittlung eines Zielbereichs für den erforderlichen PV-Ausbau, der mit einem realistisch erreichbaren Pfad zu den Klimazielen und einem möglichen PV-Produktionsaufbau in Einklang steht, ist entscheidend, um wirtschaftliche und politische Ziele festlegen zu können“, so Professor Dr. Andreas Bett, Institutsleiter des Fraunhofer ISE. „Wir haben große Fortschritte gemacht, aber die Ziele müssen weiterverfolgt und beschleunigt werden“, fordert Nancy Haegel, Direktorin des National Center for Photovoltaics am NREL. Dr. Keiichiro Sakurai, leitender Forscher am AIST, ergänzt: „Technologische Entwicklungen haben eine große Rolle bei der Steigerung des Wirkungsgrads und der Senkung der PV-Modulkosten gespielt und werden dies auch in Zukunft tun.“

Die kommenden Jahre werden nach Meinung der Forschenden entscheidend sein, um das angestrebte Installationsziel von 75 Terawatt erreichen zu können. Die benötigten Wachstumsraten von jährlich 25 % stünden im Einklang mit dem, was die PV in den vergangenen Jahrzehnten erreicht habe. Tatsächlich hat die PV-Industrie bisher weltweit alle drei Jahre eine Verdoppelung der jährlichen Produktion und der kumulativen Kapazität verzeichnet. Bei dieser Rate wird das nächste Terawatt an installierter Leistung voraussichtlich 2024 erreicht, der geplante Ausbau der Polysiliciumkapazität lässt vermuten, dass eine Produktionsrate von einem Terawatt pro Jahr bis 2028 oder früher erreicht werden könnte. Zusätzlich positiv: Die Kosten für den Bau einer neuen PV-Produktionslinie sind in den vergangenen zehn Jahren alle drei Jahre um 50 % gesunken.

Effizientere Solarzellen eröffnen neue Chancen

Maßgeblich für das Erreichen der PV-Ausbauziele ist nach Meinung der Forschenden auch eine Steigerung der Effizienz. In den vergangenen 20 Jahren ist der Wirkungsgrad von Solarzellen im Durchschnitt um 0,5 % absolut pro Jahr gestiegen. Immer größere Zellgrößen ermöglichten in dieser Zeitspanne einen Anstieg der Leistung pro Zelle von etwa 2,5 auf zehn Watt. TOPCon, die neueste Tunneloxid-passivierte Silicium-PV-Technologie, die ursprünglich am Fraunhofer ISE entwickelt wurde, bietet heute ein höheres Potenzial für Effizienz und Stabilität. Die Technologie schaffte es innerhalb von fünf Jahren von einem relevanten Labor-Design zur Kommerzialisierung und Massenproduktion. Jüngste Analysen zeigen, dass es etwa drei Jahre dauert, bis die durchschnittliche Zelleffizienz in der Massenproduktion die Effizienz der im Industrielabor hergestellten Spitzen-Zelle erreicht.

Eine Herausforderung bei der Erreichung der ambitionierten Ziele könnten nach Meinung der Autorinnen und Autoren Probleme in der Versorgungskette bilden. Sie resultieren aus einer hohen Nachfrage nach Komponenten oder der Knappheit von Materialien. Der Silberverbrauch für PV macht bereits zehn Prozent der weltweiten Produktion aus und werde damit absehbar das Hauptproblem bei der Materialverfügbarkeit. Die Forschung zum Ersatz von Silber durch Kupfer oder Aluminium schreite jedoch voran und werde bald für TOPCon und Heterojunction-Silicium-Solarzellen verfügbar sein. Um die Kreislauffähigkeit von Materialien in der Zukunft bei zunehmender Massenproduktion zu erhöhen, müssten Forschung und Entwicklung für Ökodesign und Recycling bereits jetzt intensiviert werden. Darüber hinaus müsse die PV-Lieferkette verlagert werden, nicht nur um die Logistikkosten und die damit verbundenen Emissionen zu senken, sondern auch um eine ununterbrochene Versorgung mit Komponenten zu gewährleisten, so die Forschenden.

Von Fraunhofer ISE / Marc Daniel Schmelzer