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Erfolgreiches Revitalisierungsprojekt 26.08.2021, 11:20 Uhr

Hochbunker nutzt erneuerbare Energien zur Eigenversorgung

In Düsseldorf hat der Architekt David Wodtke einen Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg zu einem nachhaltigen Gebäudekomplex mit Wohnungen und Gewerbeflächen umgebaut. Dank Photovoltaikanlage, Stromspeicher und Blockheizkraftwerk können rund 95 % des Strombedarfs, heute unabhängig vom Energieversorger gedeckt werden.

Neues Nutzungskonzept für eine historische Landmarke: Der Hochbunker im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim (im Vordergrund der neu entstandene Anbau). Foto: David Wodtke

Neues Nutzungskonzept für eine historische Landmarke: Der Hochbunker im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim (im Vordergrund der neu entstandene Anbau).

Foto: David Wodtke

Es braucht schon viel Phantasie, um sich einen heruntergekommenen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg als nachhaltiges Nutzgebäude für preisgünstiges und gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten vorzustellen. David Wodtke hatte diese Vision schon als Student in Berlin, wo ihn ein Hochbunker in der Friedrichstraße auf die Idee brachte. Auch als er 2018 in seine Heimat Nordrhein-Westfalen zurückging, ließ ihn der Gedanke nicht los. Im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim fand er einen 1942 gebauten Hochbunker. Drei Jahre später war der sanierte Gebäudekomplex mit zwei aufgestockten Etagen und einem neuen Anbau bezugsfertig.

Bezahlbaren Wohnraum im Ballungsraum schaffen

Der Hochbunker gegenüber der Arbeitersiedlung „Neustadt“ gehörte zur Gerresheimer Glashütte. Da der Abriss des Luftschutzgebäudes zu teuer gewesen wäre, stand der Betonkomplex jahrzehntelang ungenutzt da – inmitten einer stark wachsenden Großstadt mit geringem Wohnungsangebot. „Ich wollte Wohnraum für mich und andere schaffen, nachhaltig bauen und die Energie sollte so weit wie möglich vor Ort erzeugt werden“, erläutert Wodtke seine Ziele bei dem ambitionierten Bauvorhaben. Die meisten Bunker in Deutschland gehören dem Bund. Wodtkes Objekt hingegen befand sich in Privatbesitz. Ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr kaufte der Architekt den Hochbunker. Bei den Genehmigungen für das Bauprojekt gab es keine Probleme. Die erste große Aufgabe bestand darin, Licht in den Innenraum zu bringen. Fenster sind in Bunkern nicht vorgesehen, also mussten mit viel Aufwand Löcher in die dicken Wände geschlagen werden.

Auf den unterschiedlichen Etagen des historischen Bunkers sind insgesamt 28 Wohneinheiten entstanden.

Foto: Congy Concepts for energy, E3/DC

Breites Nutzungskonzept

Während Wodtke den Um- und Neubau plante, entwickelte Matthias Henkel, Geschäftsführer der Firma Congy – Concepts for Energy aus dem nordrhein-westfälischen Kevelaer, das Energiekonzept für die Wärme- und Stromversorgung. Die geplante Nutzung war die Basis für ein regeneratives Energiekonzept. Und so sieht die Verteilung der Flächen heute aus: Im Erdgeschoss befinden sich eine Kindertagesstätte und ein Bio-Imbiss. Eine Fläche für kollaboratives Arbeiten kann wegen der Pandemie derzeit noch nicht wie geplant genutzt werden. Im zweiten, dritten und vierten Stock ist Raum für sogenanntes Geschwister-Wohnen. Hier können Kinder und Jugendliche, die aus ihren Familien genommen wurden, gemeinsam wohnen. In diesen Stockwerken sind außerdem noch große Wohneinheiten für Familien entstanden. Im fünften und sechsten Stock sind hochpreisigere Wohnungen angesiedelt. Die siebte Etage bewohnt der Bauherr selbst, im achten Stock hat er sein Büro eingerichtet. Die beiden obersten Etagen wurden auf dem alten Bunker aufgestockt. Im Bunker-Keller hat Wodtke einen Indoor-Spielplatz eingerichtet. Auf insgesamt 300 Quadratmeter Fläche können hier die Jugendlichen aus dem Haus Sport treiben. Inklusive eines zusätzlich errichteten Anbaus umfasst das Objekt rund 4.500 Quadratmeter beheizte Fläche. 28 Wohneinheiten für etwa 90 Personen sind in der Summe entstanden.

Eigene Stromversorgung: Die Photovoltaikanlage mit 60 Kilowatt Leistung fand auf dem Dach des Neubaus ihren Platz.

Foto: Congy Concepts for energy, E3/DC

Energiekonzept mit Photovoltaik, Speicher und BHKW

Den Strombedarf inklusive Elektromobilität hat der Architekt zusammen mit der Firma Congy mit 155.000 Kilowattstunden im Jahr berechnet (120.000 Kilowattstunden Gebäudeverbrauch und 35.000 Kilowattstunden E-Mobilität). Matthias Henkel riet zu der Kombination von Photovoltaik-Anlage, E3/DC-Hauskraftwerken und einem Blockheizkraftwerk (BHKW) für die Strom- und Wärmeversorgung. Auf dem neuen Anbau wurden Solarstrommodule mit 60 Kilowatt Leistung installiert, ausreichend, um jährlich rund 60.000 Kilowattstunden Strom zu produzieren. Henkel hat sie mit zwei E3/DC-Hauskraftwerken aus der Pro-Serie kombiniert. Sie verfügen über eine Gesamtspeicherkapazität von 52 Kilowattstunden und speichern den Solarstrom zwischen, wenn er nicht direkt verbraucht werden kann. Eine Besonderheit in dem Energiekonzept ist der Farming-Betrieb der Speichersysteme der Pro-Serie. Das heißt, dass die beiden Speicher zu einer intelligenten „Energiefarm“ parallelgeschaltet sind und nur über einen Anschluss an das öffentliche Stromnetz verfügen. Ein Speicher fungiert als „Master“ oder „Farmmanager“ und ist mit dem Netzregelpunkt verbunden. Er kommuniziert mit dem anderen Speicher, dem „Slave“, über das Netzwerk oder das Internet. Falls die Speicherkapazität zukünftig erweitert werden soll, ist auch dies problemlos möglich.

Das BHKW verfügt über rund 40 kW thermische und 20 kW elektrische Leistung.

Foto: Congy Concepts for energy, E3/DC

BHKW erzeugt Wärme und Strom

Das Blockheizkraftwerk mit rund 40 Kilowatt thermischer Leistung und 20 Kilowatt elektrischer Leistung produziert 226.000 Kilowattstunden Wärme und etwa 116.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Für den Betrieb des BHKW sind rund 355.000 Kilowattstunden Erdgas pro Jahr nötig. Erst wenn der Solarstrom aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach nicht ausreicht, wird Strom aus dem BHKW im Gebäude genutzt. Dieser kann, wie der Solarstrom, in den Hauskraftwerken zwischengespeichert werden. Der Überschuss, sowohl von der PV-Anlage als auch vom BHKW, wird in das öffentliche Netz eingespeist. Von den etwa 176.000 Kilowattstunden Strom, die insgesamt auf und in dem Hochbunker erzeugt werden, können laut Simulation 75 % direkt verbraucht werden. Von dem gesamten Stromverbrauch werden 95 % lokal und unabhängig vom Energieversorger gedeckt. Nur etwa fünf Prozent sollen aus dem Netz bezogen werden. Zusätzlich zu diesen Anlagen ist eine Adsorptionskältemaschine installiert. „Sie nutzt im Sommer überschüssige Wärme vom BHKW und wandelt sie zur Kühlung der Büros in Kälte um“, erklärt Henkel. Um den Wärmebedarf zu reduzieren, ließ Wodtke eine 160 Millimeter dicke Dämmung aus Mineralwolle auf den Außenwänden anbringen. „Es sind zwar extrem dicke Wände und viel Speichermasse, aber durch die Dämmung können wir sicher sein, dass die Temperatur im Gebäude das Jahr über konstant bleibt“, erklärt er. Den Wärmebedarf im Gebäude hat er mit 50 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr berechnet. Wenn die Wärme aus dem BHKW nicht ausreicht, schaltet sich ein gasbetriebener Spitzenlastkessel ein.

Energiekosten sparen mit Mieterstrom

Seinen privaten und gewerblichen Mietern bietet der Architekt Mieterstrom an. Hierfür musste Wodtke eine GmbH gründen. Die technische Abwicklung und Abrechnung übernimmt die Firma Congy. Der Mieterstrompreis liegt einen Cent unter dem Ökostromtarif und etwa 2,6 Cent unter dem normalen Stromtarif des örtlichen Versorgers. Die Mieter können frei entscheiden, ob sie Mieterstrom nutzen oder ob sie Strom von einem anderen Energieversorger beziehen. Der Preisvorteil überzeugte aber alle. Das gleiche gilt für die Wärmeversorgung. David Wodtke verkauft die Wärme aus dem BHKW an seine Mieter. Der Wärmepreis liegt rund fünf Prozent unter dem des örtlichen Versorgers, auch dies wieder ein überzeugendes Argument. Die Elektromobilität ist ebenfalls Teil des Energiekonzeptes. Zwölf Wallboxen sind aktuell in der Tiefgarage installiert, gegebenenfalls kommen noch öffentliche Ladestationen im Außenbereich hinzu.

Energiekonzept ermöglicht niedrigere Mieten

Das außergewöhnliche Bauvorhaben hat bereits zum Baustart Anfang 2019 für einige Schlagzeilen gesorgt, so dass Wodtke schnell zahlreiche Interessenten für die zu vermietenden Wohnungen hatte. „Innerhalb einer Woche waren sie vergeben“, erinnert sich der Architekt. Dabei durften sich die neuen Mieter nicht nur über die Möglichkeit freuen, eine ungewöhnliche Immobilie zu nutzen – auch die dafür aufgerufenen Konditionen waren überraschend niedrig. Wodtke kalkulierte durchschnittlich nur 14 Euro je Quadratmeter Wohnfläche. Das sind bis zu fünf Euro weniger als in der Nachbarschaft. Möglich wurde dies durch den Verkauf von Strom und Wärme, der zusätzliche Gewinne abwirft. „Wir zeigen, dass man alte Gebäude mit uralter Substanz erfolgreich ins 21. Jahrhundert holen kann“, freut sich der Architekt.

 

 

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Von E3DC/ Marc Daniel Schmelzer