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Neubaugebiet mit kalter Nahwärme 12.04.2024, 09:46 Uhr

Erdwärme: Die klimaneutrale Alternative als Paketangebot

Im münsterländischen Warendorf entsteht ein Baugebiet, das 100 Prozent CO2-neutral mit einem kalten Nahwärmenetz versorgt wird. Der lokale Versorger bietet Bauinteressierten ein Komplettpaket inklusive Wärmepumpe und Warmwasserspeicher. Mehr als 100 Wärmeerzeuger wurden bereits verkauft.

Im Neubaugebiet „In de Brinke“ im Norden von ­Warendorf entstehen auf rund 200 Baufeldern Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser. Foto: André Auer

Im Neubaugebiet „In de Brinke“ im Norden von ­Warendorf entstehen auf rund 200 Baufeldern Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser.

Foto: André Auer

Angesichts noch immer hoher CO2-Emissionen für die herkömmliche Wärmeerzeugung lassen sich die hochgesteckten Klimaschutzziele hierzulande nur mit einer regenerativen Wärmeversorgung erreichen. Eine Alternative, die in diesem Zusammenhang immer häufiger zum Einsatz kommt, sind kalte Nahwärmenetze. Dabei wird die relativ konstante Erdwärme über Sonden oder Grabenkollektoren gewonnen und als Sole für die Wärmeerzeugung mit Erd-Wärmepumpen bereitgestellt – wie bei dem Projekt „In de Brinke“ im münsterländischen Warendorf. Das Neubaugebiet im Norden der Stadt ist mit rund 200 Baufeldern für etwa 500 Wohneinheiten ausgelegt. Seit 2021 entstehen hier Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser mit bis zu neun Wohneinheiten.

Das Nahwärmenetz umfasst fünf Sondenfelder mit bis zu 116 Erdsonden, die in 150 Meter Tiefe ­reichen. Grafik: WEV

Die Stadt Warendorf verfolgt zusammen mit den Stadtwerken Warendorf den Willen einer nachhaltigen Klimastrategie durch eine umweltfreundliche, regionale Wärmeversorgung von Gebäuden mit erneuerbaren Energien. Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Verantwortlichen bei der Erschließung des neuen Stadtteils für ein kaltes Nahwärmenetz. Der Startschuss fiel im Sommer 2020 nach einem Fördermittelbescheid des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Als erstes kaltes Wärmenetz dieser Größenordnung wird das Projekt im Rahmen des BWMI-Förderprogramms „Wärmenetzsysteme 4.0“ in einer Höhe von bis zu 1,95 Millionen Euro gefördert. Die Gesamtinvestition liegt bei 5,5 Millionen Euro.

Beinahe 120 Erdwärme­sonden geplant

Das Nahwärmenetz „In de Brinke“ ist als Ringnetz mit mehreren Verzweigungen angelegt und hat eine Gesamtlänge von 5,5 Kilometern. Die Erdwärme wird in fünf Feldern über 150 Meter tiefe Erdsonden gewonnen. 83 der insgesamt 116 geplanten Erdsonden sind (Stand Herbst 2023) bereits gebohrt, die restlichen sollen entsprechend dem Baufortschritt im Baugebiet folgen.

Sondenbohrung im Herbst 2020.

Foto: iNeG Daniel Friss

Die Wärmepumpen eignen sich bei Bedarf auch zur Kühlung, das heißt im Sommer kann Wärme aus den Gebäuden wieder ins Erdreich ab­gegeben werden, um das Feld zu regenerieren.

Die Sole aus den Erdsonden wird in jedem der fünf Bohrfelder in einem Sammelschacht zusammengeführt und über eine Pumpe zur Druckhaltung in das Ringnetz eingespeist. Die PE-Leitungen des Netzes sind 1,50 Meter tief im Erdreich verlegt und fungieren zusätzlich als Grabenkollektor. Auf diese Weise tragen die Leitungen bis zu 20 Prozent zum Wärmeeintrag bei.

Die Sole wird in Sammelschächten zusammengeführt und über eine Pumpe zur Druckhaltung in das Ringnetz eingespeist.

Foto: WEV

Die Leitungen des Verteilnetzes fungieren auch als Grabenkollektor und tragen bis zu 20 Prozent zum Wärmeeintrag bei.

Foto: iNeG Daniel Friss

Das Netz ist für einen Gesamtenergiebedarf von 2 600 MWh/a ausgelegt. Für den Fall starker, langandauernder Kälteperioden, in denen die gewonnene Erdwärme nicht ausreicht, kann die Sole über Power-to-heat-Heizstäbe erwärmt werden. Wie alle anderen elektrischen Komponenten werden auch die Heizstäbe mit Ökostrom betrieben, der Betrieb des Netzes ist somit zu 100 Prozent CO2-neutral. Die energetische Bewertung der Plandaten bescheinigt dem Netz einen Primärenergiefaktor von 0,47, der Anteil der Wärme aus Umweltenergien liegt bei 75,2 Prozent.

Gesamtpaket vom lokalen Versorger

Der Betrieb des Netzes und die Versorgung der angeschlossenen Verbraucher erfolgt über die WEV Warendorfer Energieversorgung GmbH, eine 100 prozentige Tochtergesellschaft der Stadtwerke Warendorf. Die WEV bietet Bauherren ein Gesamtpaket an, das alle erforderlichen Leistungen umfasst: Wärmepumpe einschließlich Installation, Anschluss an das Nahwärmenetz, optionale Kühlfunktion, Energieversorgung für den Wärmepumpenbetrieb sowie Wartung, Service und Reparatur mit Monitoring der Anlage, 24-Stunden-Stördienst und kostenlosem Ersatz bei Defekt von Wärmepumpe oder anderen Komponenten. Hausbesitzer zahlen für das Wärmepaket der WEV einen einmaligen Anschlusspreis einschließlich Wärmepumpe und einen laufenden Wärmepreis.

Wärmepumpe und Warmwasserspeicher in der Technikzentrale, die auch zur Beratung von ­Bauherren dient.

Foto: WEV / Tobias Ahlers

Bei der Wärmepumpentechnik hat sich die WEV für Waterkotte als Partner entschieden. „Wir haben in der Planungsphase zahlreiche Gespräche mit Herstellern geführt und uns vergleichbare Projekte angesehen“, berichtet Tobias Ahlers, Leiter Innovationsentwicklung und Energiedienstleistungen, der das Projekt federführend betreut. „Wir haben uns für Waterkotte entschieden, weil das Gesamtpaket auch mit Blick auf die Förderung passte und andere Kommunen von sehr positiven Erfahrungen berichteten.“

Im Jahr 2020 wurde ein Rahmenvertrag über die Lieferung von Erdwärmepumpen und Warmwasserspeichern abgeschlossen. Das erste Gerät lieferte der Hersteller im Frühjahr 2021 für die Technikzentrale, die auch für die Bauherrenberatung genutzt wird. Im September 2021 ging die erste Anlage in einem Wohnobjekt in Betrieb, inzwischen sind in „In de Brinke“ über 100 Wärmepumpen verkauft.

Beim Wärmepaket der WEV haben Bauherren die Wahl zwischen verschiedenen Modellen. Die Basic Line Ai 1 Geo ist mit einem Leistungsbereich von fünf bis 13 kW vor allem für Einfamilienhäuser konzipiert und besitzt einen integrierten Warmwasserspeicher mit 170 Litern Volumen. Für höheren Leistungsbedarf bis hin zum Mehrfamilienhaus steht das Modell Eco Touch 5029 Ai mit zwei bis 29 kW zur Verfügung, ebenso ein Trinkwarmwasserspeicher der Baureihe EcoStock. Die Eco Touch-Modelle bieten zudem die Möglichkeit, die Anlage über die EasyCon Mobile App komfortabel per Smartphone oder Tablet zu überwachen und zu bedienen.

Positive Resonanz bei Bauherren und Kommunen

Die Vorteile der kalten Nahwärme kommen bei den Bauherren gut an. „Der Anschluss an unser Wärmenetz ist selbstverständlich freiwillig“, erklärt Björn Güldenarm, technischer Leiter der WEV. „Die Mehrheit entscheidet sich dafür. Manchmal müssen wir zusätzliche Gründe liefern, insbesondere wenn der Bauträger ursprünglich eine Luft-Wärmepumpe vorgesehen hatte. Trotzdem erleben wir eine große Aufgeschlossenheit für die kalte Nahwärme. Unsere Kunden schätzen es, eine 100 Prozent CO2-freie Lösung mit einem lokalen Versorger vor Ort zu bekommen. Viele hängen stolz unser Schild ‚Klimaneutrale Nahwärme‘ an ihren Zaun.“

Auch andere Städte zeigen großes Interesse an dem erfolgreichen Projekt. „Viele Kommunen informieren sich bei uns über kalte Nahwärme und unsere Erfahrungen damit“, so Ahlers. „Ich kenne mehrere Beispiele, in denen Kommunen nach unserem Gespräch in die Nutzung der kalten Nahwärme eingestiegen sind.“ Die Vorteile liegen nicht allein in der Verbesserung der kommunalen CO2-Bilanz. Die innovative Quartiersversorgung steigert mit ihrem Vorbildcharakter zudem das Image der Kommune, erfährt eine hohe Akzeptanz bei Bürgern und bietet sehr gute Vermarktungschancen.

Sammelleitung der einzelnen Erdsonden in der Technikzentrale.

Foto: WEV

Von Waterkotte / Marc Daniel Schmelzer