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Elektromobilität 23.09.2022, 08:54 Uhr

E-Mobilität: Intelligentes Laden mit Grips statt Kupfer

Große Hybrid- und reine E-Fahrzeugflotten können mit einem neuen System mit Strom versorgt werden, ohne dass die Anschlussleistung ins astronomische wachsen muss und neue Kabel nötig sind.

Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Stuttgart haben erfolgreich ein neuartiges, intelligentes Lademanagement für E-Autos erprobt. Damit lassen sich in Fuhrparks und großen öffentlichen Ladestationen – bei gleicher Anschlussleistung an das Stromnetz – zusätzliche Ladesäulen aufstellen und mehr Fahrzeuge gleichzeitig laden als bisher.

Fahrzeugbatterien werden während der Fahrt geladen

Mit voller Kraft oder eher gemächlich

Gesteuert werden die Ladevorgänge von einem speziell für diesen Zweck entwickelten Algorithmus. Die Fahrer geben, wenn sie ihre Autos angeschlossen haben, den Zeitpunkt an, zu dem sie es wieder benötigen und optional, wie voll die Batterien zu diesem Zeitpunkt sein müssen beziehungsweise wie viele Kilometer sie dann zu fahren gedenken. Der Algorithmus steuert die Ladeströme dann so, dass die Fahrzeuge, die schnell viel Energie benötigen, mit voller Kraft „betankt“ werden. Bei den anderen geht es gemächlicher zu. Es können auch Pausen gemacht werden.

Die Vorteile der neuen Ladetechnik: Es müssen weniger zusätzliche Stromleitungen gelegt werden und die Spitzenbelastung sinkt – es muss also weniger Spitzenlaststrom zur Verfügung gestellt werden, der teuer ist.

Unkontrolliertes Laden gefährdet das Stromnetz

Statt fünf Fahrzeuge lassen sich 19 laden

Das DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte und das ZSW haben im Projekt Elisa-BW (elektrische Ladeinfrastruktur intelligent steuern und anbinden in Baden-Württemberg) für die Fahrzeugflotte des Regierungspräsidiums Karlsruhe ein intelligentes Lademanagement in dessen Fuhrpark erfolgreich eingerichtet und optimiert. Damit lassen sich bei gleicher Leistung des Netzanschlusses jetzt 19 E-Autos statt bisher fünf bedarfsgerecht laden. Anders ausgedrückt: Alle Elektro- und Hybridfahrzeuge lassen sich gleichzeitig anschließen. Von den 2019 noch sieben Dieselfahrzeugen ist nur noch eins übriggeblieben (2021). Die Gesamtzahl der Dienstfahrzeuge ist allerdings drastisch angestiegen.

Angepasstes Laden

Die lokale Anschlussleistung des Fuhrparks an das Stromnetz war zu gering, um zusätzliche Ladesäulen mit einer Leistung von 22 KW zu betreiben. Dafür wäre ein sehr teurer Ausbau des Netzanschlusses und der Trafoanlagen oder ein Einbau von Batteriespeichern nötig gewesen. „Statt gleichzeitigem Laden bei voller Leistung bestand die Lösung darin, die Ladeleistung individuell anzupassen – quasi Grips statt Kupfer“, erklärt Sebastian Sigle vom DLR-Institut für Fahrzeugkonzepte, der das Projekt Elisa-BW leitete. „Nicht jedes Fahrzeug benötigt immer gleich die volle Ladeleistung. Es reicht, wenn das Fahrzeug pünktlich bis zur nächsten Fahrt geladen ist.“

Wie das Lademanagement funktioniert

Das intelligente Lademanagement nutzt dazu die Buchungsdaten aller E-Autos im Fuhrpark, fragt also ab, wann welches Auto wohin unterwegs ist. Zweimal täglich vergleicht es diese Angaben mit den aktuellen Ladezuständen der Fahrzeuge und der verfügbaren Netzanschlussleistung. Damit lassen sich Ladeleistung, Ladedauer und Ladezeitpunkt an jeder Ladesäule so regeln, dass das Stromnetz nicht überlastet wird.

Wie Hybrid- und rein elektrische Autos genutzt werden

Um das Lademanagement zu optimieren, hat das Elisa-BW-Team auch Statistiken zur Nutzung der Fahrzeuge des Fuhrparks ausgewertet, zu denen rein elektrische und Hybridfahrzeuge gehören, die kurze Strecken elektrisch und längere mit Verbrennungsmotor fahren. „Die Batteriefahrzeuge werden häufiger genutzt als Hybridfahrzeuge, jedoch meist für kürzere Fahrstrecken. Daher benötigen die reinen E-Autos im Mittel höhere Ladeleistungen als die Hybridfahrzeuge“, so Sigle.

Simulierter Ladestress

Corona-bedingt gab es zeitweise deutlich weniger Dienstfahrten als im langjährigen Mittel. Daher haben die Entwickler mögliche Ladeengpässe in Stresstests künstlich erzeugt. „Daraus konnten wir so genannte Plangrößen ableiten. So werden die Fahrzeuge während der Standzeiten nicht erst ‚auf den letzten Drücker’ geladen, sondern immer dann, wenn Leistung verfügbar ist“, sagt Sigle. Der Probebetrieb im Fuhrpark des Regierungspräsidiums Karlsruhe lieferte wertvolle Erkenntnisse, mit denen sich das Konzept auf andere Ladeinfrastrukturen und Fahrzeugflotten übertragen lässt. „Wir haben gezielt Hemmnisse identifiziert, wie beispielsweise die Probleme bei der Abstimmung der Informationsschnittstellen und deren fehlende Normung.“ Daraus ist ein Leitfaden für vergleichbare Ladeinfrastrukturen entstanden, der beim DLR heruntergeladen werden kann.

Von Wolfgang Kempkens