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Wasserstoffwirtschaft 26.11.2020, 14:30 Uhr

Chile auf dem Weg zum Wasserstoff-Weltmeister

Das wind- und sonnenreiche Land will zum Großexporteur von grünem Wasserstoff werden. Zu den Abnehmern soll Deutschland gehören.

Einer der besten Ort für Sonnenenergie ist die Atacama-Wüste im Norden Chiles. Foto: PantherMedia / abriendomundo

Einer der besten Ort für Sonnenenergie ist die Atacama-Wüste im Norden Chiles.

Foto: PantherMedia / abriendomundo

„Grüner Wasserstoff, also Wasserstoff, der durch Sonne und Wind erzeugt wird, ist der Energieträger der Zukunft“, bekannte vor rund einem Jahr Bundesforschungsministerin Anja Karliczek in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“. Wasserstoff sei der Schlüsselbaustein für eine globale Energiewende. Als „Transmissionsriemen“ bringe er erneuerbare Energien in alle Lebensbereiche. Stahl- und Chemieindustrie, Schiffs- und Flugverkehr sowie der Wärmesektor erhielten durch ihn eine neue Möglichkeit zur Erreichung von Klimaneutralität.

In Deutschland wird es nicht möglich sein, auch nur annähernd genügend Wasserstoff herzustellen, selbst dann nicht, wenn die Windkapazitäten in Nord- und Ostsee massiv ausgebaut werden und alle Dächer Solarstrom erzeugen. Andreas Feicht, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, kennt die Lösung. Beim virtuellen Wasserstoff-Gipfel in Chile (Green H2 Summit Chile) am 3. und 4. November 2020 sagte er, Deutschland werde auf Wasserstoffimporte angewiesen sein und arbeite daher daran, internationale Lieferketten und Partnerschaften mit Ländern mit hohem Exportpotential wie Chile aufzubauen.

2000 Kilowattstunden pro Quadratmeter

Das ist Wasser auf die Mühlen der chilenischen Politik. „Die grüne Wasserstoffindustrie in Chile hat das Potenzial, die gleiche Bedeutung wie der Kupferbergbau zu erlangen“, betont Chiles Energieminister Juan Carlos Jobet. Das südamerikanische Land, das sich über 4300 km entlang der Anden und der Pazifikküste erstreckt, hat Tatsächlich ein hohes Potenzial zur Erzeugung von Wasserstoff aus Wind, Wasser und Sonne. Das Land betreibt bereits den mit 273 MW größten Windpark Südamerikas. Insgesamt sind rund 2 GW an Windenergie installiert. Zudem ist in Chile das erste südamerikanische Solarturmkraftwerk beheimatet, das der spanische Konzern Abengoa für das chilenische Unternehmen Cerro Dominador gebaut hat. Das Turmkraftwerk liefert rund um die Uhr Strom. Das liegt daran, dass Konzentrator-Spiegel Salz auf mehr als 600°C erhitzen. Teile davon werden gelagert, um auch in sonnenfreien Zeiten Dampf für einen Turbogenerator zu erzeugen. Um grünen Wasserstoff zu erzeugen reicht dagegen die Stromproduktion zu Sonnenzeiten aus. Das Kraftwerk hat eine Leistung von 110 MW. Dazu kommen 100 MW Fotovoltaik. Der solar erzeugte Strom versorgt eine der größten Kupferminen der Welt in der Atacama-Wüste. Die Sonneneinstrahlung liegt hier bei 2000 kWh pro Quadratmeter und Jahr, das ist mehr als doppelt so viel wie in Deutschland. Entsprechend günstig lässt sich dort Strom erzeugen. Bisher sind dort Fotovoltaikanlagen mit mehr als 3 GW installiert.

Bei einer Fläche von mehr als 100 000 km2 hat die Atacama-Wüste ein Potenzial von 1800 GW allein an Sonnenstrom. Zum Vergleich: In Deutschland sind derzeit Fotovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 50 GW installiert.

Chile setzt trotz Protesten der Ureinwohner, dem Volk der Mapuche im Süden des Landes, seine Energiewende fort, hier mit Wasserkraftwerken und Windenergieanlagen. Die Ziele: Eine emissionsfreie Energieversorgung für den Eigenbedarf und weltweit größter Exporteur von Wasserstoff. Der lässt sich, auf -253°C heruntergekühlt, in gut isolierten so genannten Kryotanks per Schiff transportieren. Auch Drucktanks, die 600 bar aushalten, lassen sich einsetzen. Die Schiffe könnten elektrisch betrieben werden und ihren Strom aus Brennstoffzellen beziehen, die aus den Tanks an Bord mit Wasserstoff versorgt werden.

Chile könnte auch synthetische Treibstoffe herstellen

Wasserstoff könnte in Chile auch weiter veredelt werden. Mit Kohlendioxid, das aus der Luft gewonnen wird, könnten synthetische Treibstoffe hergestellt werden, also Diesel, Benzin und Kerosin. Diese lassen sich deutlich einfacher transportieren als Wasserstoff. Für Deutschland hatten sie den Vorteil, dass die Infrastruktur weiter genutzt werden kann, Tankstellen etwa. Autos, Schiffe, Schienenfahrzeuge und Flugzeuge mit Verbrennungsmotoren wären ohne Investitionen plötzlich nahezu umweltneutral.

Mit der Initiative „Energiewende im Verkehr“ fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) insgesamt 16 Forschungsverbünde, die sich mit der Herstellung und Nutzung strombasierter Kraftstoffe befassen. Sie sind als Ergänzung zur aktuellen Politik gedacht, die Elektroautos den Vorrang gibt. Doch diese sorgen zuerst einmal für einen beängstigenden Kohlendioxid-Fußabdruck. Die Batterieherstellung verursacht so viel Treibhausgas, dass Elektrofahrzeuge viele 10.000 Kilometer fahren müssen, um in die umweltneutrale Zone zu kommen.

Deutsche sind in Chile bereits aktiv

Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Bonn ist bereits in Chile aktiv, ebenso die bundeseigene KfW-Bankengruppe, die unter anderem das Solarturmkraftwerk mitfinanziert hat. Das Ingolstädter Unternehmen Anumar hat in Chile bereits eine Solarpark gebaut. Weitere stehen in den Startlöchern Beim Wasserstoffgipfel zeigte sich, dass die deutsche Industrie, die bereits große Erfahrungen mit Produktion, Verteilung und Nutzung von Wasserstoff hat, an einer Zusammenarbeit mit Chile sehr interessiert ist. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Chile braucht erklärtermaßen Wasserstoff-Know-how und -Technik aus Deutschland.

Von Wolfgang Kempkens