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Wasserkraft 13.01.2023, 09:00 Uhr

Mit Künstlicher Intelligenz Schmelzwasser optimal nutzen

Umweltsatelliten und eine intelligente Software sorgen dafür, dass Schmelzwasser optimal genutzt wird. Die Wasserkraftausnutzung soll so um zehn Prozent steigen.

Der Stausee Lac d'Emosson im Westen des Kantons Wallis in der Schweiz. Foto; Panthermedia/serrnovic

Der Stausee Lac d'Emosson im Westen des Kantons Wallis in der Schweiz. Foto; Panthermedia/serrnovic

Die Schweiz scheint ein Musterland zu sein, was die Stromerzeugung angeht. Fast 98 % werden im Land emissionsfrei durch Wasser, Wind, Sonne und Kernkraft erzeugt. Der Rest stammt aus Erdgaskraftwerken. Doch die Sache hat einen Haken. Die Eidgenossen müssen Strom in großen Mengen importieren. Die wichtigsten Lieferanten sind Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien. Vor allem der Strom aus Deutschland ist zunehmend klimafeindlich, weil er in immer größerem Maße aus fossilen Kraftwerken stammt.

Schneeforschende sind mit von der Partie

Im „De-Frost4-Hydropower“-Projekt wollen 28 Partner aus mehreren europäischen Ländern, darunter eine Reihe von Stromerzeugern, die Stromproduktion aus Wasserkraft erhöhen, im Idealfall um stolze 10 %. Mit von der Partie ist das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos.

Mit KI und Maschinellem Lernen

Die Produktionsoptimierung soll mit einer Technik geschehen, die das Unternehmen Wegaw aus dem schweizerischen Trélex entwickelt hat. Es ermittelt aus den Daten von mehreren Umweltsatelliten und Google Maps die Mengen an Schnee, die vor allem in der Schweiz und in Frankreich fallen, und die daraus resultierenden Schneehöhen. Mithilfe von Software, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen (ML) basiert, ermittelt es den Wassergehalt, den das Unternehmen Schneewasseräquivalent (SWE) nennt. Dazu kommen meteorologische Daten, von denen vor allem die Schneeschmelze abhängt, die in Zeiten der Klimakrise nicht mehr auf das Frühjahr beschränkt ist.

Produktionsplanung wird optimiert

Diese Daten sind entscheidend für die Prognose, wann und wo wie viel Wasser ankommt. Danach richtet sich die Planung der Stromproduktion. Wird in einem Stausee zu einem bestimmten Zeitpunkt ein großer Zufluss erwartet, wird die Stromproduktion dort forciert, allerdings in Abhängigkeit vom Bedarf. Bei Wassermangel wird die Produktion gedrosselt. Zudem könnten Stromhändler ihre finanziellen Belastungen verringern, indem sie die volatilen Tagesmärkte meiden, was sich auch positiv auf die industriellen, gewerblichen und privaten Verbraucher auswirken könnte, so Wegaw. Durch die Integration in Niederschlags-Abfluss-Modelle für die langfristige Vorhersage könnten die Fehler um bis zu 50 % und die Anzahl der Handelsanpassungen um bis zu 20 % reduziert werden.

Auch andere Länder können profitieren

„Das De-Frost4-Hydropower-Projekt ist zum Fundament einer auf Klimaresilienz ausgerichteten Zusammenarbeit im schweizerisch-französischen Wasserkraft-Ökosystem geworden“, sagt Ion Padilla, CEO von Wegaw. „Ich bin sehr stolz auf diese Ergebnisse und fest davon überzeugt, dass das, was wir heute tun, der Schlüssel zur Entschärfung der Energiekrise ist und gleichzeitig den globalen Wandel hin zu einer nachhaltigeren erneuerbaren Energiezukunft für alle ermöglicht.“ Das Verfahren kann für andere Länder adaptiert werden.

Die Schneemengen werden auch vom SLF erfasst. Dazu sind Messungen vor Ort nötig. Mittlerweile sind Drohnen dazugekommen. Wegaw glich diese Daten mit den von Satelliten erfassten ab. Die Übereinstimmung war frappierend gut. Doch die satellitengestützte Methode hat einen großen Vorteil: Sie kann die gesamten Flächen abdecken und ist bei weitem billiger.

Verdoppelung der Wasserkraft möglich?

„Da die Energiekrise immer noch über Europa schwebt und die Versorgung mit fossilen Quellen makroökonomischen und geopolitischen Schocks ausgesetzt ist, glauben wir, dass Europa seine reichlich vorhandenen erneuerbaren Quellen, insbesondere Wasserkraft, verdoppeln wird“, so die Einschätzung des Venture-Capital-Gebers Great Stuff Ventures (Amsterdam). Um das volle Potenzial auszuschöpfen und die natürlichen Wetterschwankungen auszugleichen brauche es eine Vielzahl an Informationen und Analysen.

Von Wolfgang Kempkens