Familienunternehmen 10.10.2025, 19:00 Uhr

Tradition trifft Zukunft: Ottobock geht mit KI-Prothesen an die Börse

Seit 1919 prägt Ottobock die Prothetik. Mit Robotik, KI und sozialem Engagement geht das Familienunternehmen jetzt an die Börse.

Ottobock bei den Paris Paralympics

Ottobock bei den Paris Paralympics. Das Unternehmen bietet regelmäßig einen Reparaturservice paralympischen Spielen an.

Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tosei Kisanuki

Seit mehr als einem Jahrhundert steht Ottobock für Bewegungsfreiheit, Lebensqualität und technische Exzellenz. Was 1919 mit handgefertigten Orthesen begann, ist heute ein globales Medizintechnikunternehmen, das Millionen Menschen wieder auf die Beine hilft – im wahrsten Sinne des Wortes. Nun wagt der Prothesenpionier aus Duderstadt den Schritt an die Börse.

Der Gang auf das Parkett ist mehr als ein finanzieller Meilenstein: Er steht für den Wandel eines Familienunternehmens, das Tradition, Innovation und gesellschaftliche Verantwortung in Einklang bringt. Ein Blick auf die Geschichte, die Technologie – und die Vision hinter dem Namen Ottobock.

Blick auf die Geschichte

Ottobock wurde 1919 in Berlin von dem Orthopädietechniker Otto Bock gegründet und hat sich seitdem zu einem weltweit führenden Anbieter von Prothesen und orthopädischen Hilfsmitteln entwickelt. Ursprünglich fokussierte sich das Unternehmen auf mechanische Orthesen und Prothesen, die Patienten und Patientinnen nach Unfällen oder Krankheiten Mobilität ermöglichen sollten.

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Schon in den 1950er-Jahren setzte Ottobock Maßstäbe mit modularen Prothesensystemen, die individuelle Anpassungen erleichterten und die Funktionalität erheblich steigerten. Ein Meilenstein war die Einführung elektronisch gesteuerter Beinprothesen in den 1990er-Jahren, die das Gangbild deutlich natürlicher machten. Parallel dazu expandierte Ottobock international, mit Produktions- und Forschungsstandorten in Europa, Nordamerika und Asien, und baute ein Netzwerk aus Partnerkliniken auf.

Klassisches Beispiel für ein deutsches Familienunternehmen

Bis heute ist Ottobock überwiegend im Familienbesitz und gilt als klassisches Beispiel eines erfolgreichen deutschen Familienunternehmens: Die Familie Bock hält die Mehrheit der Anteile und lenkt strategische Entscheidungen.

Mit dem jüngsten Schritt, den Börsengang vorzubereiten, öffnet sich das Unternehmen erstmals für externe Investoren und signalisiert damit Wachstum und Modernisierung, ohne die Kernidentität zu verlieren. Für die Medizintechnikbranche ist das eher ungewöhnlich: Ein traditionsreiches Familienunternehmen tritt in den öffentlichen Kapitalmarkt ein – ein Schritt, der nicht nur finanziell, sondern auch symbolisch die Innovationskraft und den Anspruch von Ottobock zeigt.

Technologische Innovationen von Ottobock

Ottobock hat sich in der internationalen Prothetik vor allem durch technologische Innovationen einen Spitzenplatz erarbeitet. Namen wie „C-Leg“, „Genium X3“ oder die „Michelangelo-Hand“ sind längst Synonyme für Hightech-Prothesen, die Beweglichkeit, Präzision und Alltagstauglichkeit neu definieren. Zentral für diesen Vorsprung ist die Integration von Myoelektrik, Sensortechnik und Robotik. Sensoren messen kleinste Muskelimpulse oder Druckveränderungen, die Elektronik übersetzt diese Signale in flüssige Bewegungen, wodurch Arm- oder Beinprothesen erstaunlich viele Funktionen übernehmen können und dabei verhältnismäßig natürlich wirken.

Die „Michelangelo-Hand“ beispielsweise ermöglicht das Greifen unterschiedlicher Objekte, während die „Genium X3“-Beinprothese mit wasserdichtem Design und komplexen Gangprogrammen auch anspruchsvolle Aktivitäten wie Treppensteigen oder Laufen auf unebenem Gelände unterstützt. Künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine wachsende Rolle: Lernfähige Algorithmen analysieren Bewegungsmuster und passen die Prothesensteuerung in Echtzeit an individuelle Gewohnheiten und Alltagssituationen an. So wird jede Prothese nicht nur passiv getragen, sondern dient als intelligentes Assistenzsystem.

Diese Kombination aus Ingenieurskunst, Robotik und KI hebt Ottobock-Produkte deutlich von klassischen mechanischen Lösungen ab. Gleichzeitig zeigt sie, wie stark moderne Medizintechnik von interdisziplinärer Forschung profitiert: Biomechanik, Informatik und Neurophysiologie verschmelzen zu Hightech-Lösungen.

Fußball spielen mit Prothese

Fußball spielen mit Prothese – Ottobock macht es möglich.

Foto: picture alliance/dpa | Swen Pförtner

Wie und wo forscht der Prothesenhersteller?

Forschung und Entwicklung bilden das Herzstück von Ottobock. An Standorten wie Göttingen, Duderstadt, Wien oder Salt Lake City arbeiten Ingenieurinnen und Ingenieure, Medizinerinnen und Mediziner sowie Software-Entwicklende eng zusammen, um Prothesen und orthopädische Hilfsmittel kontinuierlich zu verbessern und neue Modelle auf den Markt zu bringen.

An den Standorten wird dabei nicht nur Laborforschung betrieben, Computer-Simulationen und praktische Feldtests gehören dazu. Schließlich sollen neue Technologien nicht nur theoretisch funktionieren – die Patientinnen und Patienten müssen sich im Alltag auf sie verlassen können.

Kooperation mit Universitäten und Forschungseinrichtungen

Ottobock kooperiert zudem mit Universitäten und Forschungseinrichtungen. In erster Linie handelt es sich dabei um Institute für Biomechanik, Robotik und Neurotechnologie, die gemeinsam mit dem Unternehmen Prototypen entwickeln, Bewegungsmuster analysieren oder neue Sensor- und Steuerungstechnologien erproben.

Ziel ist es, den Transfer von Grundlagenforschung in marktfähige Produkte zu beschleunigen. In Deutschland arbeitet Ottobock zum Beispiel mit der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (Hildesheim/Holzminden/Göttingen) zusammen. Darüber hinaus bestehen Partnerschaften mit der PFH Private Hochschule Göttingen und der Universität Göttingen im Bereich Orthobionik und Healthcare Technology

Ganzheitlicher Ansatz

Ein zentrales Element der Entwicklungsarbeit ist es, Patientinnen und Patienten, Medizinfachkräfte sowie Therapeutinnen und Therapeuten einzubinden. In klinischen Tests und Pilotprojekten werden neue Prothesen erprobt, Feedback direkt aufgenommen und die Produkte daraufhin angepasst.

Die enge Verzahnung von Forschung, klinischen Tests und praktischen Tests schreibt Ottobock sich auf die Verfahren. Sie soll dazu beitragen, dass Neuheiten den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer entsprechen.

Ralf Moeller und Ottobock

Ralf Moeller bei der Präsentation der Weltneuheit ‚SUITX‘ am Stand von Ottobock auf der Hannover Messe 2025.

Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Matthias Wehnert/Geisler-Fotopress

Wie steht Ottobock zu gesellschaftlichem Engagement?

Ottobock versteht sich nicht nur als Technologieführer, sondern auch als Gestalter gesellschaftlicher Teilhabe. Die Produkte des Unternehmens ermöglichen Menschen mit Amputationen oder Mobilitätseinschränkungen eine weitgehende Selbstständigkeit und Teilnahme am beruflichen und sozialen Leben. Die Prothesen sollen den Patienten und Patientinnen einerseits Bewegungsfreiheit geben, andererseits aber auch das Selbstvertrauen stärken – um die Inklusion in Alltag und Beruf zu erleichtern.

Darüber hinaus engagiert sich Ottobock aktiv in Rehabilitations- und Sportprogrammen. So unterstützt das Unternehmen die Paralympischen Spiele, fördert lokale Sportinitiativen und kooperiert mit Organisationen wie Human Study e. V., die medizinische Projekte weltweit begleiten. Diese Programme gehen über die reine Produktbereitstellung hinaus und setzen auf Bildung, Training und medizinische Betreuung, um die langfristige Lebensqualität der Betroffenen zu sichern.

Ottobock investiert zudem in Projekte für Entwicklungsländer, bei denen Prothesen und orthopädische Hilfsmittel auch unter schwierigen Rahmenbedingungen bereitgestellt werden. Partnerorganisationen helfen, lokale Fachkräfte auszubilden, damit die Geräte auch später genutzt, gewartet und repariert werden können. Ottobock folgt als Unternehmen also dem Anspruch, technologischen Fortschritt mit sozialer Verantwortung zu verbinden und auf diese Weise die medizinische Versorgung weltweit zu verbessern.

Wirtschaftliche und ethische Aspekte der Prothesenherstellung

Ottobock bewegt sich in einem global wettbewerbsintensiven Umfeld. Mit Konkurrenten wie Össur aus Island oder dem britischen Unternehmen Blatchford konkurriert Ottobock nicht nur in Bezug auf technologische Innovationen, sondern auch, was die Qualität der Bestandsprodukte, Kundenservice und internationale Präsenz betrifft.

Gleichzeitig sieht sich Ottobock zunehmend mit ethischen und gesellschaftlichen Fragen konfrontiert. Datensicherheit steht im Fokus, da moderne Prothesen umfangreiche biometrische Daten erfassen, die vor Missbrauch geschützt werden müssen. Auch Nachhaltigkeit und transparente Lieferketten gewinnen an Bedeutung: Materialien sollen umweltfreundlich beschafft werden, Produktionsprozesse ressourcenschonend sein, und globale Partner müssen ethische Standards erfüllen.

Spagat zwischen Hightech und Menschlichkeit

Der Spagat zwischen Hightech und Menschlichkeit bleibt dabei eine ständige Herausforderung. Prothesen werden immer intelligenter und elektronisch komplexer, doch der Erfolg misst sich daran, wie gut sie den Alltag der Nutzerinnen und Nutzer erleichtern und wie sensibel das Unternehmen auf individuelle Bedürfnisse eingeht.

Die Balance zwischen wirtschaftlichem Wachstum, technologischer Spitzenleistung und ethischer Verantwortung prägt daher die strategische Ausrichtung von Ottobock – ein Familienunternehmen, das mit dem Börsengang den Weg für noch mehr Wachstum freimachen könnte.

Ein Beitrag von:

  • Julia Klinkusch

    Julia Klinkusch ist seit 2008 selbstständige Journalistin und hat sich auf Wissenschafts- und Gesundheitsthemen spezialisiert. Seit 2010 gehört sie zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Klima, KI, Technik, Umwelt, Medizin/Medizintechnik.

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