Mehr Dezibel, mehr Leberfett 09.06.2025, 11:04 Uhr

Straßenlärm macht nicht nur krank – er macht auch dick

Straßenlärm kann den Appetit beeinflussen und die Fetteinlagerung fördern – selbst bei schlanken Menschen.

Autos in Paris

Dauerhafter Straßenlärm beeinflusst den Körper wie Dauerstress – mit Folgen für Leber, Herz und Taille.

Foto: PantherMedia / Givaga (YAYMicro)

Wer in der Nähe vielbefahrener Straßen lebt, kennt es: ein ständiges Grundrauschen aus Motoren, Hupen und Reifen. Was viele nicht wissen – diese Geräuschkulisse wirkt sich nicht nur auf die Nerven oder den Schlaf aus, sondern auch auf den Stoffwechsel. Eine neue Auswertung von MRT-Daten belegt nun, dass Menschen in lärmbelasteten Wohngebieten mehr Fett im Körper einlagern – insbesondere in der Leber.

Mehr als 11.000 Teilnehmende der NAKO-Gesundheitsstudie wurden dafür per Ganzkörper-MRT untersucht. Die Forschenden des Helmholtz Zentrums München und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) kombinierten diese Bilddaten mit Lärmkarten aus dem Jahr 2017. Das Ergebnis: Je höher der Straßenlärm im Wohnumfeld, desto stärker die Fettdepots. Besonders auffällig war dabei das sogenannte viszerale Fett – also das Fett, das sich um die inneren Organe ansammelt – sowie ein erhöhter Fettanteil in der Leber.

Lärmpegel unter 53 Dezibel reichen schon aus

Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft Lärm bereits ab 53 Dezibel (dB(A)) als gesundheitsschädlich ein. Die deutsche Studie zeigt nun: Selbst Werte knapp darunter beeinflussen bereits messbar die Fettverteilung im Körper. Ein Beispiel: Wer in einer Umgebung lebt, die um 10 Dezibel lauter ist, hat im Schnitt deutlich mehr Leberfett.

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Dabei liegt der alltägliche Straßenlärm oft zwischen 50 und 70 dB(A) – genau in dem Bereich, in dem sich gesundheitliche Effekte zeigen. Ein Vergleich: Flüstern entspricht etwa 30 Dezibel, eine belebte Hauptstraße kommt schnell auf 80 Dezibel. Und obwohl viele Menschen den Lärm kaum noch bewusst wahrnehmen, reagiert der Körper dennoch darauf.

Lärm aktiviert Stressreaktionen und verändert den Hormonhaushalt

Doch wie genau kann ein Geräusch dick machen? Die Erklärung liegt in der Reaktion unseres Körpers auf chronischen Stress. Straßenlärm – insbesondere in der Nacht – kann den Schlaf stören und den Körper in Alarmbereitschaft versetzen. In dieser Phase werden Stresshormone wie Cortisol ausgeschüttet, die evolutionär dazu dienten, den Körper auf Flucht oder Kampf vorzubereiten.

Cortisol wiederum beeinflusst die Art und Weise, wie der Körper Energie speichert: Er legt Reserven in Form von Fett an – eine Reaktion, die in Zeiten von Nahrungsknappheit einst überlebenswichtig war. Heute aber führt diese Speicherstrategie zur schleichenden Zunahme – vor allem, wenn gleichzeitig Bewegung und gesunde Ernährung zu kurz kommen.

Leberfett als unterschätztes Risiko

Besonders kritisch: die Zunahme des Leberfetts. Es gilt als wichtiger Risikofaktor für Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Selbst Menschen mit normalem Körpergewicht können davon betroffen sein. „Eine Zunahme der Fettgewebedepots und des Leberfettgehalts zeigt, dass Lärm Stoffwechselprozesse initiiert, die das Risiko für Typ-2-Diabetes und Herzkreislauferkrankungen erhöhen“, erklärt Prof. Dr. Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum München.

Die Forschenden konnten sogar geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen: Frauen ohne Vorerkrankungen zeigten besonders starke Anstiege beim Leberfett. Männer mit bereits bestehendem Bluthochdruck oder Übergewicht reagierten hingegen besonders empfindlich auf Lärm in Bezug auf die Zunahme des Unterhautfetts.

Stadtlärm trifft Millionen – auch unterhalb der Warnschwelle

Etwa 20 % der Menschen in der EU leben dauerhaft in Umgebungen mit Lärmwerten über 55 Dezibel. Doch laut Studie könnten selbst deutlich niedrigere Werte problematisch sein. Und das betrifft längst nicht nur Großstädte. Denn bisher erfassen die EU-Richtlinien zur Lärmkartierung nur urbane Räume und Hauptverkehrsadern. Viele ländliche oder suburbane Gebiete bleiben unberücksichtigt – obwohl dort zum Teil ähnlich hohe Belastungen auftreten.

Ein Blick auf eine schwedische Langzeitstudie mit über 5000 Teilnehmenden ergänzt das Bild. Sie zeigt, dass nicht nur Straßenlärm, sondern auch Flug- und Zugverkehr zur Gewichtszunahme beitragen. Wer dauerhaft einer Kombination dieser Lärmquellen ausgesetzt war, hatte ein doppelt so hohes Risiko, übergewichtig zu werden. Auch hier lag die Erklärung im chronischen Stressmechanismus.

Konsequenzen für Stadtplanung und Umweltpolitik

Die Autor*innen der Studien fordern Konsequenzen: Lärmreduktion müsse stärker in präventive Gesundheitsstrategien eingebunden werden. Neben dem Schutz des Gehörs und der Psyche sollte auch der Einfluss auf den Stoffwechsel stärker berücksichtigt werden. Vorgeschlagen werden unter anderem:

  • niedrigere Lärm-Grenzwerte
  • feinere Lärmkartierungen mit höherer Auflösung
  • Monitoring-Infrastrukturen auch außerhalb großer Städte

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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