Fluch des Pharaos 23.06.2025, 13:30 Uhr

Pilz aus Tutanchamuns Grab soll gegen Leukämie helfen

Ausgerechnet ein gefährlicher Grabpilz liefert einen Wirkstoff gegen Leukämie – Forschende entschlüsseln sein medizinisches Potenzial.

Pilzkulturen

Tödlicher Pilz als Lebensretter? Neue Wirkstoffe aus Aspergillus flavus wirken gezielt gegen Leukämiezellen.

Foto: Smarterpix / stevanovicigor

Ein Pilz, der einst mit dem sagenumwobenen „Fluch des Pharaos“ in Verbindung gebracht wurde, könnte bald Leben retten. Forschende der University of Pennsylvania haben im Erbgut von Aspergillus flavus eine neuartige Klasse von Wirkstoffen entdeckt – mit erstaunlicher Wirkung gegen Leukämie. Was bisher als Gefahr aus alten Gräbern galt, entpuppt sich nun als wertvolle Ressource für die Medizin.

Todesfälle im Umfeld von Ausgrabungen

Aspergillus flavus ist kein Unbekannter. Der Pilz kommt weltweit in Getreide vor und produziert sogenannte Aflatoxine – hochgiftige Stoffe, die Leberkrebs auslösen können. Bekannt wurde der Schimmel vor allem durch mysteriöse Todesfälle im Umfeld von Ausgrabungen.

Nach der Öffnung des Grabes von Tutanchamun in den 1920er-Jahren starben mehrere Mitglieder des Ausgrabungsteams. Auch beim Öffnen der Gruft von König Kasimir IV. in Krakau 1973 verloren zehn der zwölf beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihr Leben – offenbar durch Sporen von A. flavus, die Lungeninfektionen verursachen können, insbesondere bei geschwächtem Immunsystem.

Stellenangebote im Bereich Medizintechnik, Biotechnik

Medizintechnik, Biotechnik Jobs
B. Braun Melsungen AG-Firmenlogo
R&D Manager (w/m/d) B. Braun Melsungen AG
Melsungen Zum Job 

Doch nun kehrt der Pilz zurück – nicht als Bedrohung, sondern als Hoffnungsträger.

Die Suche nach neuen Wirkstoffen beginnt im Labor

Unter der Leitung von Sherry Gao, Professorin für Chemie- und Biomolekulartechnik, analysierten Forschende verschiedene Stämme des Pilzes. Dabei stießen sie auf eine Gruppe seltener Moleküle, die bisher kaum beachtet wurde: sogenannte RiPPs – ribosomal synthetisierte und nachträglich modifizierte Peptide. Sie entstehen in der Zelle, werden später verändert und besitzen häufig biologische Aktivität.

Während man RiPPs schon aus Bakterien kennt, war ihre Existenz in Pilzen lange Zeit unklar. „Die Synthese dieser Verbindungen ist kompliziert“, sagt Qiuyue Nie, Erstautor der Studie. „Aber genau das verleiht ihnen auch ihre biologische Wirkung.“

Asperigimycine – vier neue Moleküle mit Potenzial

Die Forschungsgruppe isolierte vier neue Substanzen aus A. flavus und gab ihnen einen Namen: Asperigimycine. Zwei der vier zeigten bereits in ihrer natürlichen Form eine starke Wirkung gegen Leukämiezellen.

Besonders vielversprechend war eine dritte Variante, bei der die Forschenden zusätzlich ein Lipid anhängten – ein Fettmolekül, wie es auch in Gelée Royale vorkommt, dem Futtersaft der Bienenkönigin. Mit dieser Modifikation war die Wirkung vergleichbar mit etablierten Medikamenten wie Cytarabin und Daunorubicin, die zur Standardtherapie bei Leukämie gehören.

Ein Gen als Türöffner

Doch wie gelangen diese Substanzen in die Krebszellen? Um das zu klären, untersuchte das Team gezielt, welche Gene den Eintritt steuern. Dabei identifizierte es das Gen SLC46A3 als Schlüssel. Dieses Gen hilft bestimmten Stoffen, aus sogenannten Lysosomen – winzigen Zellbläschen – wieder in das Zellinnere zu gelangen.

„Dieses Gen wirkt wie ein Tor“, erklärt Nie. „Es hilft nicht nur Asperigimycinen, in die Zellen zu gelangen, sondern möglicherweise auch anderen zyklischen Peptiden.“

Da viele dieser Peptide ein ähnliches Problem haben – sie wirken im Reagenzglas, dringen aber nicht gut in Zellen ein –, könnte das Wissen um SLC46A3 künftig auch anderen Wirkstoffen den Weg ebnen.

Auch interessant:

Angriff auf die Zellteilung

Der Wirkmechanismus ist ebenfalls bekannt: Asperigimycine stören die Ausbildung von Mikrotubuli. Diese röhrenförmigen Strukturen sind für die Zellteilung essenziell. Krebszellen teilen sich unkontrolliert – wird dieser Prozess blockiert, können sie sich nicht mehr vermehren.

„Diese Verbindungen blockieren die Bildung von Mikrotubuli“, sagt Gao. Das Besondere: Die Moleküle wirkten in den Versuchen fast ausschließlich auf Leukämiezellen – andere Zelllinien wie Brust-, Leber- oder Lungenkrebszellen blieben weitgehend unbeeinflusst. Das lässt hoffen, dass sie künftig gezielter eingesetzt werden können.

Ein neues Kapitel für die Pilzmedizin?

Der Fund ist nicht nur medizinisch, sondern auch wissenschaftlich bedeutsam. Die Forschenden konnten zeigen, dass in Pilzen eine ganze Klasse von bisher übersehenen Molekülen schlummert. Durch genetische Analysen und Stoffwechselvergleiche lassen sich RiPPs nun gezielter aufspüren.

„Dies ist ein unerforschtes Gebiet mit großem Potenzial“, sagt Nie. Ähnliche Gencluster wie bei A. flavus fanden sich auch in anderen Pilzarten. Der nächste Schritt besteht nun darin, die Asperigimycine in Tierversuchen zu testen – ein notwendiger Zwischenschritt, bevor erste klinische Studien möglich werden.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

Zu unseren Newslettern anmelden

Das Wichtigste immer im Blick: Mit unseren beiden Newslettern verpassen Sie keine News mehr aus der schönen neuen Technikwelt und erhalten Karrieretipps rund um Jobsuche & Bewerbung. Sie begeistert ein Thema mehr als das andere? Dann wählen Sie einfach Ihren kostenfreien Favoriten.