Die deutsche Medizintechnik schlägt Alarm: Branche fordert Kurswechsel
Die deutsche Medizintechnik warnt: Bürokratie, Fachkräftemangel und Kosten bremsen Innovation. Jetzt fordert die Branche politischen Kurswechsel.
Trotz Boom wächst der Druck: Deutschlands Medizintechnik kämpft mit Bürokratie und Fachkräftemangel – und verlangt Reformen von der Politik.
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Die deutsche Medizintechnik steht an einem Wendepunkt. Während die Branche mit Hightech-Produkten weltweit Erfolge feiert, wächst im eigenen Land die Sorge um die Zukunft. Steigende Bürokratiekosten, fehlende Fachkräfte und immer strengere Vorgaben bremsen die Innovationskraft – und gefährden den Standort Deutschland. Jetzt schlagen Unternehmen und Verbände Alarm: Ohne politische Kehrtwende droht einer der wichtigsten Industriezweige des Landes an Dynamik zu verlieren.
Inhaltsverzeichnis
- Die Medizintechnik-Branche als Schlüsselindustrie
- Wirtschaftliche Lage der Medizintechnik: Umsatzwachstum bei sinkenden Gewinnen
- MDR und Bürokratie als Hemmschuh in der Medizintechnik
- Fachkräftemangel und Innovationsdruck
- Forderungen der Medizintechnik-Branche: Strategische Neuausrichtung
- Chancen für die Medizintechnik durch politische Unterstützung?
Die Medizintechnik-Branche als Schlüsselindustrie
Deutschland gilt als einer der weltweit führenden Standorte der Medizintechnik. Nur die USA liegen noch vor dem hiesigen Markt, wenn es um Produktion, Export und technologische Neuerungen geht. Von hochpräzisen Implantaten über bildgebende Diagnostiksysteme bis hin zu intelligenten Geräten für die häusliche Pflege – die Medizintechnik ist allgegenwärtig und sichert die Qualität der Gesundheitsversorgung in Kliniken, Arztpraxen und bei Patientinnen und Patienten zu Hause. Die Branche zählt mehr als 212.000 Beschäftigte. Betrachtet man die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungswirkung, sind es 450.000 Menschen.
Trotz dieser zentralen Rolle sieht sich die Branche zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert. Internationale Wettbewerber investieren in Forschung und Digitalisierung, regulatorische Anforderungen werden komplexer, und die Ressourcenkosten steigen. Die Unternehmen warnen davor, dass ohne gezielte politische Unterstützung die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hersteller mittelfristig gefährdet sein könnte.
Vor diesem Hintergrund fordert die Branche eine eigenständige Medizintechnik-Strategie der Bundesregierung. Ziel sei es, Innovationskraft, Produktion und Fachkräfteentwicklung gezielt zu fördern und den Standort Deutschland langfristig zu sichern. Expertinnen und Experten argumentieren, dass eine solche Strategie nicht nur den Unternehmen zugutekommen, sondern die Versorgungssicherheit der Bevölkerung stärken und die Gesundheitswirtschaft insgesamt resilienter machen würde.
Wirtschaftliche Lage der Medizintechnik: Umsatzwachstum bei sinkenden Gewinnen
Die Medizintechnikbranche in Deutschland blickt auf ein ambivalentes Bild: Einer aktuellen Herbstumfrage des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) zufolge rechnen rund 70 Prozent der Unternehmen für das Jahr 2025 mit steigenden Umsätzen (Gesamtumsatz 2024: Rund 41 Milliarden Euro). Vor allem die Nachfrage nach neuen Diagnostik- und Therapielösungen sowie der wachsende Export in internationale Märkte treiben die Geschäfte an. Die Branche bleibt damit ein zentraler Wirtschaftsfaktor, der nicht nur Arbeitsplätze sichert, sondern auch die Innovationsführerschaft Deutschlands unterstreicht.
Trotz dieser positiven Umsatzprognosen stehen viele Unternehmen unter erheblichem Druck. 51 Prozent der Befragten erwarten sinkende Gewinne. Die Gründe dafür sind vielfältig: steigende Personalkosten, aufwendige Zertifizierungsprozesse nach der Medizinprodukteverordnung (MDR) und ein immer dichter werdendes Netz an regulatorischen Anforderungen belasten die Bilanz. Aber auch der Preisdruck durch Einkaufsgemeinschaften und Klinikketten, neue umweltrechtliche Auflagen und Berichtspflichten sowie Zölle und andere Handelshemmnisse stellen die Medizintechnik-Hersteller vor Schwierigkeiten. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen spüren die Folgen, da Bürokratie und Zertifizierungskosten einen unverhältnismäßig großen Anteil ihres Budgets beanspruchen.
Die wirtschaftliche Situation verdeutlicht eine paradoxe Realität: Die Branche wächst, doch die Profitabilität gerät zunehmend unter Druck. Expertinnen und Experten sehen darin ein Warnsignal für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und betonen, dass gezielte politische Maßnahmen notwendig wären, um Wachstum und Ertrag in Einklang zu bringen.
MDR und Bürokratie als Hemmschuh in der Medizintechnik
Die Einführung der Medical Device Regulation (MDR) hat die Medizintechnikbranche vor große Herausforderungen gestellt. Während die neuen Vorschriften ursprünglich die Sicherheit und Transparenz von Medizinprodukten erhöhen sollten, sehen viele Hersteller, darunter vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die bürokratischen Belastungen des Ganzen. Die KMU machen 93 Prozent der Medizintechnik-Branche aus. Die aufwendigen Zertifizierungsverfahren, umfangreiche Dokumentationspflichten und komplexe Fristen erfordern nicht nur erhebliche finanzielle Ressourcen, sondern binden auch Fachpersonal, das andernorts in Forschung und Entwicklung fehlt.
Eine aktuelle Studie verdeutlicht die Folgen: Die Komplexität der regulatorischen Anforderungen verlangsamt den Marktzugang neuer Produkte und kann damit auch die Patientenversorgung beeinträchtigen. Insbesondere technisch anspruchsvolle Lösungen geraten durch lange Prüf- und Zertifizierungsprozesse ins Stocken, wodurch der technologische Vorsprung deutscher Hersteller gefährdet ist.
Branchenvertreterinnen und -vertreter fordern deshalb pragmatische Anpassungen und gezielte Unterstützungsmaßnahmen für KMU. Nur so ließe sich ein Gleichgewicht zwischen Produktsicherheit und Innovationsfähigkeit herstellen. Andernfalls droht, dass die Medizintechnik in Deutschland trotz ihrer wirtschaftlichen Stärke an Agilität verliert und die Versorgung der Patienten mittel- bis langfristig eingeschränkt wird.
Fachkräftemangel und Innovationsdruck
Die Medizintechnikbranche sieht sich zudem einem akuten Fachkräftemangel gegenüber. Ingenieure und Ingenieurinnen, IT-Fachleute und regulierungserfahrenes Personal sind besonders gefragt, gleichzeitig aber nur begrenzt verfügbar. Diese Engpässe wirken sich direkt auf die Innovationskraft der Unternehmen aus: Projekte verzögern sich und neue Produkte kommen langsamer auf den Markt. Auch dieser Punkt wirkt sich also auf die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen aus.
Trotz dieser Herausforderungen halten viele Unternehmen an ihrer Forschungsoffensive fest. Hohe Investitionen in Entwicklung und Digitalisierung sollen sicherstellen, dass Deutschland seine Position als Innovationsführer in der Medizintechnik behauptet. Von intelligenten Implantaten über KI-gestützte Diagnosesysteme bis hin zu vernetzten Gesundheitslösungen – die Branche arbeitet daran, medizinische Versorgung effizienter, sicherer und patientenfreundlicher zu gestalten.
Expertinnen und Experten betonen jedoch, dass langfristige Erfolge nur gelingen, wenn Politik und Wirtschaft gemeinsam Lösungen für den Fachkräftemangel entwickeln. Maßnahmen wie gezielte Aus- und Weiterbildungsprogramme, attraktivere Arbeitsbedingungen und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Forschung könnten helfen, die dringend benötigten Spezialisten zu gewinnen und die Innovationsdynamik aufrechtzuerhalten.
Forderungen der Medizintechnik-Branche: Strategische Neuausrichtung
Angesichts der Herausforderungen in Regulierung, Fachkräftesituation und Wettbewerbsdruck richtet sich der Blick der Medizintechnikbranche zunehmend auf die Politik. Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) fordert eine eigenständige MedTech-Strategie der Bundesregierung. Ziel sei es, Bürokratie abzubauen, Investitionen zu sichern und die Gewinnung hoch qualifizierter Fachkräfte gezielt zu fördern. Eine solche Strategie solle den Standort Deutschland langfristig stärken und die Innovationskraft der Branche sichern.
Darüber hinaus drängt die Branche auf konkrete Maßnahmen zur Versorgungssicherheit. Ein zentrales Anliegen ist beispielsweise die Einführung einer nationalen Wundstrategie. Diese soll gewährleisten, dass Patientinnen und Patienten mit chronischen Wunden oder komplexen Verletzungen optimal versorgt werden und der Zugang zu modernen Medizintechniklösungen jederzeit gewährleistet bleibt. Mit einer solchen Strategie sollen zudem verbindliche Versorgungspfade festgelegt, eine frühzeitige Diagnostik sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit sichergestellt werden.
Experten sehen in einer strategischen Neuausrichtung nicht nur eine Chance für die Branche selbst, sondern auch für das Gesundheitssystem insgesamt: Durch gezielte Förderung, klare regulatorische Rahmenbedingungen und Investitionen in Forschung und Personal könnten Deutschland und seine MedTech-Unternehmen ihre führende Rolle im internationalen Wettbewerb behaupten und zugleich die medizinische Versorgung der Bevölkerung sichern.
Chancen für die Medizintechnik durch politische Unterstützung?
Die Anerkennung der Medizintechnik als Leitwirtschaft im aktuellen Koalitionsvertrag eröffnet der Branche neue Perspektiven. Sie signalisiert, dass Politik und Wirtschaft die zentrale Bedeutung deutscher MedTech-Unternehmen für Innovation, Gesundheitsversorgung und Arbeitsplätze anerkennen. Expertinnen und Experten sehen darin eine Chance, die Weichen für eine zukunftsfähige Branche zu stellen und die Wettbewerbsfähigkeit auf globalem Niveau zu sichern.
Branchenvertreterinnen und -vertreter betonen, dass eine enge Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft notwendig ist, um das volle Potenzial der Medizintechnik auszuschöpfen. Mit gezielter Förderung, klaren Rahmenbedingungen und Innovationsanreizen könnte Deutschland nicht nur seine Position als Medizintechnik-Standort sichern, sondern zugleich die medizinische Versorgung der Bevölkerung weiter verbessern.
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