Medizintechnik 26.04.2019, 07:00 Uhr

Aufblasbare Magenkapsel gegen Übergewicht

Um Patienten mit Adipositas zu behandeln, sind derzeit chirurgische oder endoskopische Eingriffe notwendig. Forscher aus Singapur entwickeln eine aufblasbare Kapsel als Alternative. Jetzt müssen Studien mit Menschen folgen.

Aufblasbare Magenkapsel

Die aufblasbare Magenkapsel wird im Labor getestet.

Foto: NTU Singapur

Weltweit leiden laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO über 300 Millionen Menschen an starkem Übergewicht, also Adipositas, davon 115 Millionen in den Entwicklungsländern. Zwischen 1975 und 2018 hat sich die Zahl an Patienten verdreifacht. Betroffene entwickeln häufig Stoffwechsel- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In schweren Fällen verkleinern Ärzte den Magen. Alternativ kommen Magenbänder oder Ballons als physikalische Methoden zum Einsatz. Zu den unerwünschten Effekten zählen Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen.

Forscher der Nanyang Technological University und des National University Health System Singapur arbeiten seit längerer Zeit an besseren Möglichkeiten. Jetzt stellen sie EndoPil, eine größere Kapsel, vor. Ihr Medizinprodukt kann ohne medizinische Hilfe verwendet werden und verringert den Appetit.

Wie funktioniert die neue Magenkapsel?

Die EndoPil sieht wie eine normale Tablette aus. Sie ist etwa drei Zentimeter lang und misst einen Zentimeter im Durchmesser. Im äußeren Gehäuse aus Gelatine befindet sich ein aufblasbarer Ballon mit Magnetventil. Weitere Kammern enthalten ein Hydrogencarbonat als Quelle für Kohlendioxid sowie eine schwache organische Säure. Alle Chemikalien seien harmlos, schreiben die Entwickler. Die Stoffe kenne man aus klassischem Backpulver.

Ihre Kapsel soll mit einem Glas Wasser geschluckt werden. Ob sie an der richtigen Stelle ist, zeigt ein Magnetsensor an. Ärztliche Hilfe ist hier nicht erforderlich, was sich als Vorteil speziell für Entwicklungsländer erweist. Vor Ort verdaut der Magensaft die äußere Hülle. Patienten lösen jetzt den Mechanismus aus, indem sie einen starken Magneten von außen an ihren Magen halten. Säure und Hydrogencarbonat werden zu Kohlendioxid; maximal 120 Milliliter entstehen. Ein inerter Ballon bläst sich auf und füllt Teile des Magens. Dieser mehrstufige Mechanismus soll verhindern, dass sich die Magenpillen bereits in der Speiseröhre öffnen, was zum kompletten Verschluss dieser Struktur führen könnte.

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Erste Tests im Tierversuch

Kohlendioxid hat eine geringere Dichte als unser Mageninhalt. Der Ballon schwimmt im oberen Teil des Magens und stimuliert verschiedene Dehnungssensoren des Organs. Patienten fühlen sich schneller satt, sie essen weniger. Jede Kapsel sollte innerhalb eines Monats entfernt werden, um zu vermeiden, dass sich der Magen an die Dehnung gewöhnt. Das geht so: Per Magnetventil entfernen sie das gesamte Kohlendioxid. Anschließend ist ihre EndoPil wieder klein und kompakt, wie zur Einnahme. Über den Darm geht es auf natürlichem Wege nach außen. Zum Vergleich: Klassische Magenballons, wie sie Ärzte schon länger verwenden, müssen per Endoskop geborgen werden. Jeder Eingriff ist ein Risiko.

Wissenschaftler testeten den Effekt von EndoPil im Rahmen einer präklinischen Studie. Sie brachten die Tablette in den Magen eines Schweins und starteten anschließend den Mechanismus zum Aufblasen. Nach einer Woche hatte das Versuchstier 1,5 Kilogramm abgenommen, während eine Kontrollgruppe mit fünf Schweinen bei gleicher Fütterung etwas an Gewicht zunahm. Auch ein gesunder Mensch konnte die Magentablette testen. Er fühlte sich nach dem Aufblasen nicht unwohl. Experimente zum Gewichtsverlust stehen noch aus.

Zahlreiche Verbesserungen der Prototypen geplant

Zuvor optimieren die Entwickler ihre EndoPil. Ziel ist, die Kapsel so zu gestalten, dass sie nach einem festgelegten Zeitraum biologisch abgebaut wird. Hier eignen sich bekannte Kunststoffe wie Polymilchsäure, Polycaprolacton oder Polymere auf Stärkebasis. Die Materialien werden in der Medizin schon heute eingesetzt. Im Notfall bleibt ein magnetisch auslösbares Ventil als Option, um Kohlendioxid zu entfernen.

Nach diversen Verbesserungen am Prototypen hofft das Team, im nächsten Jahr Untersuchungen mit Menschen durchzuführen. Anfangs wird es um die Sicherheit gehen: Verlassen Reste der Kapsel unser Verdauungssystem problemlos oder kommt es vielleicht zu Verstopfungen im Darm? Erst danach planen die Entwickler, Studien zur Wirksamkeit durchzuführen. Was ihnen dabei entgegenkommt: Die EndoPil enthält keine Wirkstoffe. Sie ist als Medizinprodukt einzustufen. Das erleichtert weitere Untersuchungen immens. Eine Herausforderung wird sein, Patienten langfristig zu begleiten und ihren Gewichtsverlust zu erfassen.

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Ein Beitrag von:

  • Michael van den Heuvel

    Michael van den Heuvel hat Chemie studiert. Unter anderem arbeitet er für Medscape, DocCheck, für die Universität München und für pharmazeutische Fachmagazine. Seit 2017 ist er selbstständiger Journalist und Gesellschafter von Content Qualitäten. Seine Themen: Chemie/physikalische Chemie, Energie, Umwelt, KI, Medizin/Medizintechnik.

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