KI ohne Mut? Wie Bürokratie die deutsche Innovation bremst
Am 29. Oktober 2025 startet die Hightech Agenda Deutschland in Berlin. Eines der Ziele der Initiative: Deutschland soll zu einem souveränen Standort für künstliche Intelligenz werden.
Deutschland setzt auf KI-Souveränität: Chancen bei Edge AI und vertrauenswürdiger KI, doch Bürokratie und Regulierung bremsen Innovation
Foto: Smarterpix/Gorodenkoff
Während Tech-Giganten in den USA und China KI-Modelle, Chips und Robotik rasant vorantreiben, droht Deutschland ein wenig ins Hintertreffen zu geraten. Besonders bei generativer KI – also Systemen wie ChatGPT oder Claude – sowie bei KI-Hardware und Robotik scheinen andere Länder mittlerweile uneinholbar voraus zu sein.
„Wir sind nicht abgehängt“ – Forschung als Fundament
„Deutschland hat in der KI-Forschung und Ausbildung eine gute Ausgangslage“, betont Prof. Dr. Patrick Glauner, KI-Professor an der Technischen Hochschule Deggendorf.
Laut Angabe des Experten liegt Deutschland weltweit auf Platz fünf bis sechs in Forschung und Lehre sowie auf Platz sieben bei der Zahl der KI-Unternehmen.
Er verweist auf die Hightech Agenda Bayern, die 1000 neue Professuren geschaffen hat. Eine bundesweite Ausweitung solcher Programme könne die Innovationskraft erheblich stärken.
Auch Prof. Dr. Katharina Morik vom Lamarr-Institut für Maschinelles Lernen und KI sieht Deutschland nicht als abgehängt: „Die Max-Planck-, Fraunhofer- und Helmholtz-Institute betreiben exzellente Spitzenforschung. Start-ups haben in den letzten Jahren stark zugelegt – über 30 Unicorns sprechen eine klare Sprache.“
Edge AI als strategische Chance
Besonderes Potenzial sehen die Fachleute in Edge AI – also KI-Systemen, die direkt auf Geräten wie Sensoren, Maschinen oder Smartphones laufen. „Ich sehe für Deutschland und Europa kurz- und mittelfristig den größten Hebel bei Edge AI, also der Verarbeitung direkt auf einem Endgerät“, sagt Glauner. So ließen sich Latenzzeiten und Kosten senken sowie die Abhängigkeit von US-amerikanischen Cloud-Anbietern reduzieren. Zudem sei Edge AI aus Sicht des Datenschutzes attraktiv, weil sensible Informationen lokal gespeichert werden.
Auch Katharina Morik betont die Chancen: „Eingebettete Systeme und Edge AI sind Themen, in denen Deutschland und Europa punkten können.“ Besonders in der Industrie könne die Kombination aus Sensorik und maschinellem Lernen Produktionsprozesse effizienter und ressourcenschonender machen. Wenn Maschinen in Echtzeit aus Daten lernen, ließen sich Produktionsfehler frühzeitig erkennen, Ausschuss verringern und Energieverbrauch senken.
Die deutsche Bürokratie
Ein entscheidender Schwachpunkt bleibt der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Wirtschaft. Zwar verfügt Deutschland über eine hervorragende Forschungslandschaft, doch der Weg von der Idee zum marktfähigen Produkt ist oft steinig. Die Gründungskultur an Hochschulen gilt als träge, der Verwaltungsaufwand als hoch, und viele Forschende scheitern an langen Entscheidungswegen und komplexen Zuständigkeiten.
„Ausgründungen aus den meisten Hochschulen sind noch viel zu bürokratisch, dauern zu lange und sind von Misstrauen geprägt. Hier ist eine Deregulierung überfällig“, kritisiert Glauner.
Hinzu kommt ein regulatorisches Umfeld, das nach der Einschätzung der Fachleute Innovationen generell ausbremst. „Der AI Act ist eine von vielen Ursachen dafür, warum Innovationen verlangsamt, verteuert und verhindert werden oder nach außerhalb der EU abwandern“, sagt Glauner. Deutsche Start-ups weichen vermehrt ins Ausland aus, da beispielsweise institutionelle Investoren wie Versicherungen kaum in Risikokapital investieren dürfen.
Auch Morik sieht im Umgang mit Innovation ein Mentalitätsproblem: Deutschland handele „zu kurzfristig und zu mutlos“, sowohl in der Unternehmensförderung als auch in der Forschungspolitik. Statt kurzfristige Programme aufzulegen, fordert sie langfristige deutsche KI-Strategien, eine stärkere Grundfinanzierung der Hochschulen und Informatikunterricht an allen Schulen.
Europa muss zusammenarbeiten
Beide Experten sehen die Zukunft in einer europäischen Zusammenarbeit. „Deutschland muss bei solchen Kooperationen eine Führungsrolle einnehmen und den Fokus klar auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit legen“, so Glauner. Allerdings gebe es derzeit „zu viele verschiedene kleine Förderinitiativen“, die gegeneinander konkurrierten. Eine Vereinheitlichung ist dringend nötig.
Morik betont: „Die EU ist das Ökosystem, in dem Deutschland besonders aktiv sein sollte, damit es seinen Platz zwischen den USA und China einnehmen kann.“ Die jahrzehntelange Abhängigkeit von US-Systemen habe die Entwicklung verteuert. „Dass wir uns jahrzehntelang auf US-amerikanische Produkte verlassen haben, macht es jetzt sehr teuer, das Ökosystem aufzubauen. Es ist aber für die Zukunft nötig.“
Vertrauenswürdige KI als europäischer Vorteil
Europa hat im internationalen Vergleich nicht die größten Datenmengen, die größten Konzerne oder die risikofreudigsten Investoren, dafür aber einen besonderen Trumpf: Vertrauen.
„Wir sollten vertrauenswürdige KI, Zertifizierungen nach Robustheit, Verlässlichkeit und Energieverbrauch unbedingt weiter ausbauen. Hier ist Europa führend und die Nachfrage wird sich einstellen“, erklärt Morik.
Dieses Konzept könnte sich als strategische Nische erweisen. Während die USA auf kommerzielle Plattformmodelle und China auf staatlich gelenkte Massenanwendungen setzen, könnte Europa mit sicheren, energieeffizienten und zertifizierten KI-Systemen weltweit Vertrauen gewinnen. Gerade im industriellen Umfeld, im Gesundheitswesen oder bei Behördenanwendungen zählt Verlässlichkeit oft mehr als Rechenleistung.
Ein Beitrag von: