Das KI-Paradox: Wie Rechenzentren vom Klimakiller zum Klimaretter werden
KI verbraucht riesige Mengen an Energie – und optimiert gleichzeitig den Energieverbrauch. Braucht das Klima also mehr KI, oder weniger?
Google-Rechenzentrum in den Niederlanden.
Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT
Rechenzentren sind wahre Klimakiller: Schon heute verbrauchen sie etwa 3 % des weltweiten Stroms und verursachen rund 2 % aller CO₂-Emissionen. Die wachsende KI-Nachfrage dürfte diese Trends verstärken: Greenpeace erwartet bis 2030 eine Verfünffachung der Emissionen aus Rechenzentren gegenüber 2023.
Trotzdem konnte der IT-Dienstleister Kyndryl die Emissionen seiner 260 Rechenzentren seit 2023 um 18 % senken – und zwar ausgerechnet dank KI. Ist die digitale Intelligenz also Lösung und Problem zugleich? Das haben wir Faith Taylor gefragt. Als Chief Sustainability Officer des US-Konzerns verantwortet sie dessen Klimastrategie.
Dass Kyndryl dabei Teil eines wachsenden Trends ist, zeigt der gerade erschienene Global Sustainability Barometer 2025: Bereits 22 % der befragten Unternehmen weltweit nutzen KI für Nachhaltigkeitsziele. Wie sieht das in der Praxis aus?
Inhaltsverzeichnis
Wie Rechenzentren Energie verbrauchen…
18 % weniger CO₂-Ausstoß seit 2023: Damit liegt Kyndryl auf Klimakurs. Bis 2030 will der IT-Konzern – mit 87.000 Mitarbeitern einer der größten Player weltweit – seine Emissionen sogar um 50 % senken, 2040 sollen sie bei Netto-Null liegen. Ein ambitioniertes Ziel für ein Unternehmen, das Rechenzentren betreut. Denn die gehören mit 3 % des weltweiten Stromverbrauchs zu den größten Energiefressern überhaupt.
Und der Hunger wächst: Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) stieg der globale Stromverbrauch im Jahr 2024 um 1.100 TWh – mehr als das Doppelte des üblichen Jahreszuwachses. Neben der Elektrifizierung von Industrie, Gebäuden und Verkehr sind Rechenzentren der größte Treiber dieser Entwicklung. 2024 wurden 250 gebaut, so viele wie nie zuvor. Und dank des KI-Booms beschleunigt sich der Trend.
Für das Klima ist das erstmal keine gute Nachricht: Rechenzentren sind für rund 2 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – etwa so viel wie die gesamte Luftfahrtindustrie. Ein einzelnes Rechenzentrum kann dabei so viel Strom verbrauchen wie 50.000 Haushalte. Hinzu kommt der exorbitante Wasserverbrauch: bis zu einer Mio. l pro Tag, wie Forschende der University of California ermittelt haben.
Und doch führt Kyndryl seine Emissionsreduktion auf den Einsatz von KI zurück. KI, die in denselben Rechenzentren betrieben wird, die den CO2-Ausstoß verursachen. Wie kann das sein?

Der Global Sustainability Barometer 2025 zeigt: Unternehmen halten an ihren Nachhaltigkeitszielen fest. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein für den CO₂-Fußabdruck von KI.
Foto: Kyndryl
… und ihren Energieverbrauch durch KI optimieren
Kyndryl setzt auf „Agentic AI“ – Systeme, die Aufgaben eigenständig planen und durchführen. „Einzelne KI-Agenten operieren zunächst unabhängig voneinander, wirken dann aber zusammen und präsentieren eine optimierte Gesamtlösung“, sagt Faith Taylor. „Es ist eine systematische KI, die Prozesse kontinuierlich überwacht und Verbesserungen automatisch durchführt.“
Im Betriebsalltag eines Rechenzentrums bedeutet Agentic AI: Ein Agent überwacht die Chip-Temperaturen, ein anderer die Server-Auslastung, ein dritter steuert die Kühlung. Die Agenten arbeiten parallel zueinander, tauschen aber fortlaufend Daten aus und koordinieren ihre Aktionen. So drosseln sie bei niedrigerer Auslastung selbstständig die Kühlung oder verschieben Workloads auf effizientere Server. Das Ergebnis: eine kontinuierliche Optimierung sämtlicher Prozesse in Echtzeit, rund um die Uhr.
Kyndryl hat diesen Ansatz in seiner kommerziellen Software-Plattform „Sustainability Advisor“ implementiert. Sie bündelt Prozessdaten aus verschiedenen Quellen – vom Energieverbrauch bis zur Server-Auslastung – und lässt KI-Agenten diese kontinuierlich optimieren. „Nachhaltigkeit muss bereits im Design verankert sein“, betont Taylor, „Sustainability by Design.“
Weitere Hebel zur Emissionsreduktion
Allerdings ist die Emissionsreduktion von Kyndryl kein reines KI-Projekt. „Eine wirkliche Dekarbonisierung gelingt nur mithilfe einer digitalen Transformation des gesamten Geschäfts“, unterstreicht Taylor. Bei den direkten Emissionen (Scope 1 und 2) setzt das Unternehmen auf klassische Maßnahmen: Es modernisiert Rechenzentren, virtualisiert Server und verlagert Systeme in die Cloud. Zudem schließt Kyndryl langfristige Stromverträge mit Betreibern erneuerbarer Energieparks, um die Rechenzentren mit einem höheren Anteil an Grünstrom zu versorgen.
Bei den Emissionen aus der Lieferkette (Scope 3) wendet Kyndryl die 80/20-Regel an. „20 % der Lieferanten eines Unternehmens verursachen 80 % seiner Gesamtemissionen“, erklärt Taylor. „Deshalb konzentrieren wir uns darauf, dass unsere größten Lieferanten ihre Emissionen reduzieren.“
Die New Yorker prüfen dazu die Ecovadis-Nachhaltigkeitsratings ihrer Tier-1-Zulieferer und fordern die Einhaltung sogenannter Science Based Targets, also von Dritten validierter Klimaziele. „Wir sind selbst Mitglied der Science Based Targets Initiative und lassen unsere Ziele ebenfalls extern prüfen“, betont Taylor.

Nachhaltigkeit ist für die meisten Unternehmen eine strategische Priorität, doch nur 28 % sehen sie als Kerntreiber für Innovation und Kostenersparnis. Grafik: Kyndryl
Dekarbonisierung durch KI: Wer vorne liegt
Der am 20. November veröffentlichte „Global Sustainability Barometer 2025″ von Kyndryl und Microsoft zeigt: Der Einsatz von Agentic AI für Nachhaltigkeit nimmt zu. Befragt wurden 1.286 Unternehmensführer in 20 Ländern und neun Branchen zwischen August und September 2025. Das Ergebnis: 22 % der Unternehmen testen oder führen Agentic AI für Nachhaltigkeitsziele ein, weitere 9 % nutzen sie bereits produktiv.
In Deutschland sehen 73 % der Befragten die Technologie als zentrales Werkzeug zur Erreichung ihrer Klimaziele – ein Spitzenwert in Europa. 28 % der hiesigen Unternehmen haben das Tempo ihrer Maßnahmen im vergangenen Jahr erhöht. Auch andere europäische Länder wie Großbritannien, Belgien und Schweden schneiden in der Erhebung gut ab. Taylor bestätigt: „Europa ist weltweit führend. Das gilt sowohl für die Umsetzung konkreter Lösungen als auch für die Einsicht in die Notwendigkeit, zu handeln.“
Bei den Branchen führen Energie- und Versorgungswirtschaft, Banken sowie Transport und Logistik. Kein Zufall: Gerade in diesen Sektoren lohnt sich KI-Optimierung, denn sie verfügen über komplexe Systeme mit großen Datenmengen, in denen Effizienzgewinne direkt messbar sind.
Warum sich Nachhaltigkeit auszahlt
Doch der Weg zur KI-gestützten Nachhaltigkeit ist steinig. Laut der Studie nennen 55 % der Befragten die Sammlung relevanter Daten aus ihren eigenen Systemen als größte Hürde. 47 % kämpfen mit der Integration von Nachhaltigkeitsdaten in bestehende Unternehmenssysteme – oft bleiben Klimadaten in separaten Tools, statt in ERP- oder Finanzprozesse einzufließen. Weiteren 48 % fehlt ein klares ROI-Modell – sie können den wirtschaftlichen Nutzen ihrer Nachhaltigkeitsinvestitionen schlicht nicht beziffern.
Die Frage scheint berechtigt: Lohnen sich Investitionen in KI für Nachhaltigkeit, wenn vor allem in den USA unter Donald Trump der Druck zur Transformation nachlässt?
Faith Taylor ist davon überzeugt: „Die Kundennachfrage ist gewachsen, nicht gesunken – in Europa, Asien, Lateinamerika, den USA und über alle Branchen hinweg.“ Denn Investoren bewerten Unternehmen weiterhin nach ESG-Kriterien. Und jenseits der USA lässt der Druck auf Unternehmen nicht nach: „Australien, Kanada, Mexiko – überall gibt es Berichtspflichten. Deshalb brauche ich nachprüfbare Systeme und Prozesse, die ich über alle Regionen hinweg steuern kann.“
Der Global Sustainability Barometer bestätigt das: 59 % der Unternehmen sehen schon jetzt finanzielle Gewinne durch ihre Nachhaltigkeitsbemühungen – vor allem durch Kostensenkung (47 %) und die Gewinnung neuer Kunden (33 %). 52 % erwarten zudem, dass KI-gestützte Dekarbonisierung ihre Produktion und Lieferketten effizienter macht.

IT und Nachhaltigkeit arbeiten in den meisten Unternehmen zwar zusammen, doch nur 37 % der Nachhaltigkeitsmanager sitzen bei IT-Entscheidungen mit am Tisch. Grafik: Kyndryl
Die Zukunft: Der Mensch als Dirigent im KI-Orchester
Werden Menschen dabei irgendwann überflüssig? Taylor sieht das nicht so. Für den Beginn des nächsten Jahrzehnts erwartet sie ein Hybrid-Modell: „Ich glaube, dass Menschen und Agentic AI Seite an Seite zusammenarbeiten werden. Wir werden nicht 100 % der Menschen ersetzen, denn wir brauchen weiterhin ein gewisses Maß an Expertise.“
Besonders bei unvorhergesehenen Ereignissen – Naturkatastrophen, Kriegen, Pandemien – sei menschliches Wissen nötig. „Man braucht jemanden, der sagen kann: So müssen wir das System jetzt anpassen. Und dann lernt das System: Beim nächsten Sturm machen wir es besser“, erklärt Taylor. Ihre Devise: „Wir müssen die Dirigenten sein, die KI-Agenten so effizient wie möglich orchestrieren.“
Das KI-Paradox
Das KI-Paradox lässt sich so zusammenfassen: Je leistungsfähiger die Künstliche Intelligenz wird, desto besser kann sie Energieverbrauch optimieren und Emissionen senken. Doch gleichzeitig wachsen mit jeder neuen KI-Generation auch die Anforderungen an Strom und Wasser – und damit die Emissionen.
Um das Paradox aufzulösen, müsste der Effizienzgewinn langfristig schneller ansteigen als der Ressourcenverbrauch. Technologische Ansätze dazu gibt es schon: geschlossene Kühlkreisläufe etwa, die den Wasserverbrauch drastisch senken sollen. Und in den USA fließen Milliarden in kleine modulare Reaktoren (SMR), die Rechenzentren konstant mit CO₂-freier Energie versorgen können. Die Frage, ob KI das Klima rettet oder zerstört, könnte in wenigen Jahren beantwortet sein. Womöglich mithilfe einer neuen Generation von KI-Agenten.
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