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Studie gibt Einblick in die Praxis 09.09.2020, 00:06 Uhr

Nachhaltigkeit: Herausforderung für Produktionsunternehmen

Grundlegende gesellschaftliche und technologische Veränderungen machen Nachhaltigkeit zu einem Schlüsselthema unserer Zeit. Um durch nachhaltiges Handeln wirtschaftliches Wachstum zu erzielen, müssen Unternehmen ihre strategische Perspektive neu formulieren und in konkrete Maßnahmen umsetzen. Eine aktuelle Studie gibt Einblicke in die Praxis.

Foto: PantherMedia / Zzoplanet

Foto: PantherMedia / Zzoplanet

Nachhaltigkeit ist in den Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses gerückt, über Generationen und gesellschaftliche Gruppen hinweg – auch die Covid-19-Pandemie kann daran nichts ändern. Sowohl im Konjunkturpaket der Bundesregierung als auch dem Wiederaufbaupaket der Europäischen Kommission liegt der Fokus auf der Förderung nachhaltiger, zukunftsgewandter Technologien. Diese Entwicklungen treiben die Umgestaltung der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit voran und machen es auch für Unternehmen der Produktionsbranche erforderlich, diesen Weg einzuschlagen. Um sich frühzeitig einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, müssen die Firmen sich allerdings einigen Herausforderungen stellen. Die drei größten davon – und wie sie gelöst werden können – beschreibt der Fachbeitrag.

1. Mit einer neuausgerichteten Nachhaltigkeitsstrategie Risiken als Chancen verstehen

Produzierende Unternehmen müssen die Zukunftsfähigkeit ihres Geschäftsmodells prüfen und Nachhaltigkeit in dessen Mittelpunkt stellen. Nur so gelingt es, Chancen zu nutzen und Risiken effektiv zu managen. Viele Unternehmen scheinen das bereits verstanden zu haben: Die kürzlich von der Ingenieur- und Managementberatung Ramboll veröffentlichte Studie „Managing Sustainability“ zeigt, dass für 95 Prozent der befragten Unternehmen Nachhaltigkeit ein wichtiger Faktor für den langfristigen Geschäftserfolg darstellt. Die zentrale Herausforderung besteht jedoch darin, eine klare strategische Richtung vorzugeben und Maßnahmen zu identifizieren, um die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung entscheidend zu beeinflussen.

Konzepte wie die „Planetary Boundaries“ der Universität Stockholm können dabei helfen, da sie eine ganzheitliche Sicht der gegenwärtigen und zukünftigen Triebkräfte sowie ihrer Wechselwirkungen und Auswirkungen auf einzelne Unternehmen geben. Darin sind quantitative planetarische Grenzen identifiziert, innerhalb derer sich die Menschheit für die kommenden Generationen weiterentwickeln und gedeihen kann. Das Überschreiten dieser Grenzen erhöht das Risiko, abrupte oder irreversible Umweltveränderungen in großem Maßstab zu verursachen.

Die Ramboll-Studie zeigt, dass sich die Mehrheit der Unternehmen in erster Linie nicht auf ein breites Spektrum, sondern auf einzelne Nachhaltigkeitsaspekte konzentriert. In der Studie wurden die am häufigsten erwähnten Nachhaltigkeitsaspekte mit den Kategorien des Konzepts der planetarischen Grenzen abgeglichen. 83 Prozent der Unternehmen beziehen sich zwar auf Maßnahmen zum Klimawandel. Doch Dimensionen wie die biologische Vielfalt und die Stickstoff- und Phosphorflüsse – die laut Planetary Boundaries bereits eine erhebliche Belastung für die Systemkapazität der Erde darstellen – scheinen bei den Nachhaltigkeitsmaßnahmen der Unternehmen deutlich unterrepräsentiert zu sein.

Produzierende Unternehmen müssen den Schritt wagen, auch Bereiche anzugehen, die gegenwärtig noch nicht zu ihren Schwerpunkten gehören. Denn einige Themen, wie Biodiversität oder die Verschmutzung der Meere rücken immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit und Investoren. Unternehmen, die sich bereits mit diesen Fragen befassen, haben einen strategischen Vorteil, da sie besser auf Anforderungen von Kunden und Nachfragen von Stakeholdern vorbereitet sind. Dafür ist es notwendig, einen ganzheitlichen Ansatz für Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu entwickeln, der dem Unternehmen als strategischer Kompass dient.

2. Den Übergang zu mehr Nachhaltigkeit stufenweise verwirklichen

Sobald Unternehmen eine Strategie für den nachhaltigen Wandel erstellt haben, gilt es, gezielte Maßnahmen umsetzen. Dieser Prozess lässt sich in vier verschiedene Phasen einteilen:

  • · Stufe 1: Prozessverbesserungen und Investitionen in effiziente Technologien wie Abfallvermeidung oder Energie- und Ressourceneffizienz tragen zu mehr Nachhaltigkeit bei.
  • · Stufe 2: In dieser Phase zielen Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Regel auf die Entkoppelung von Betrieb und Umweltauswirkungen oder die Neugestaltung von Produkten ab.
  • · Stufe 3: Nachhaltige Innovationen gestalten das Kerngeschäft um und schaffen parallel zum bekannten Geschäft neue Einnahmequellen.
  • · Stufe 4: Neue nachhaltige Geschäftsmodelle schaffen Marktdifferenzierung und Wettbewerbsvorteile.

Die vier Stufen der Wertschöpfung durch Nachhaltigkeit: Clusterung von Unternehmensstrategien und -zielen. Grafik: Ramboll

Um alle Möglichkeiten der Nachhaltigkeit für die Wertschöpfung freizusetzen, müssen sich die Unternehmen kontinuierlich weiterentwickeln und gleichzeitig die Schlüsselelemente aus den vorherigen Stufen beibehalten. Daher ist dieser Prozess als ein Kreislauf zu verstehen, in dem die Unternehmen den nachhaltigen Wandel stetig weiterentwickeln.

In der Umfrage Managing Sustainability zeigt sich, dass sich viele Unternehmen bereits im Wandel befinden: Ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen beziehen sich auf alle beschriebenen Phasen. Es wird aber auch deutlich, dass ein klarer Schwerpunkt auf den Aktivitäten der ersten Stufe und dem Potenzial der Marktdifferenzierung liegt und dass die Wertschöpfung durch neue, nachhaltigere Geschäftsmodelle (Stufe 4) bislang nur von 10 Prozent der Unternehmen angegangen wird.

Wie genau der Wandel vorangetrieben werden kann, ist für jedes Unternehmen sehr individuell. Neben einer strategischen Neuausrichtung ist dabei auch entscheidend, vorausschauend zu handeln und die proaktive Entscheidungsfindung in Nachhaltigkeitsfragen zu fördern. Die aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass Informationen über die Nachhaltigkeitsleistung in der Regel für die Berichterstattung verwendet werden und daher weitgehend retrospektiv sind.

Um den Übergang auf die nächste Stufe voranzutreiben und geeignete Maßnahmen zu definieren, sollten diese Informationen jedoch auch dafür genutzt werden, zukunftsgewandte Entscheidungen zu fällen. Das kann beispielsweise das strategische Risiko- und Chancen-Screening (zum Beispiel für die Anpassung an den Klimawandel), das Produktdesign (einschließlich Ökodesign-Prinzipien), die Materialauswahl oder den Bereich Forschung und Entwicklung (etwa nachhaltige Materialien, Technik für die Kreislaufwirtschaft) betreffen.

Dabei ist es auch wichtig, dass Unternehmen die vor- und nachgelagerten Komponenten ihrer Wertschöpfungskette in ihre Nachhaltigkeitsentscheidungen einbeziehen. Der Wechsel von einer isolierten Betrachtung einzelner Stufen zu einer integrierten Perspektive ist für Unternehmen wesentlich, um einen nachhaltigen Wandel zu vollziehen. Auf diese Weise kann ein Mehrwert sowohl für das Unternehmen als auch für sein sozio-ökologisches Umfeld geschaffen und erfasst werden.

3. Engagement des Top-Managements und effektive Operationalisierung als Treiber von Nachhaltigkeitsstrategien

Selbst wenn ein Unternehmen eine klar definierte Strategie verfolgt, stößt es bei der Umsetzung im Tagesgeschäft auf vielfältige Herausforderungen. Eine häufig zu beobachtende Barriere ist der Mangel an Kapazitäten und Ressourcen, der in der Regel vom Engagement des Top-Managements abhängt. Ohne die Unterstützung des Managements können Nachhaltigkeitsmaßnahmen nicht in den allgemeinen Wertschöpfungsprozess eines Unternehmens integriert werden. Ein erster Schritt, den viele Unternehmen bereits umsetzen, ist es daher, die finanzielle und die nichtfinanzielle Berichtslegung zu kombinieren. Das setzt allerdings voraus, dass die Entscheidungsträger Nachhaltigkeit als Business Case verstehen.

Durch die sehr dynamische Entwicklung des Themas werden die Chancen für eine nachhaltige Wertschöpfung schneller kommen – gleichzeitig werden auch die Auswirkungen des Nichthandelns deutlicher zum Vorschein treten. Dennoch haben viele produzierende Unternehmen nach wie vor Schwierigkeiten damit, den Mehrwert von Nachhaltigkeitsmaßnahmen über die Einsparung von Ressourcen oder Effizienzgewinne hinaus zu messen.

Methoden und Instrumente, die Unternehmen anwenden können, um ihre Nachhaltigkeitsstrategie umzusetzen. Grafik: Ramboll

Auf operativer Ebene können Unternehmen verschiedene Instrumente einsetzen, um die Strategie systematisch in konkrete Maßnahmen umzusetzen. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Instrumente entwickelt, die sich mit den Bereichen Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Lieferketten und Überwachung der Nachhaltigkeitsleistung beschäftigen. Darüber hinaus hat die fortschreitende Digitalisierung von Managementprozessen neue Anwendungen hervorgebracht, insbesondere bei der Erfassung und Verwaltung von Nachhaltigkeitsdaten.

Neben diesen neuen Ansätzen bleiben gut etablierte und bewährte Konzepte wie Umwelt- und andere Managementsysteme (zum Beispiel ISO 14001, ISO 50001, ISO 45001) sowie Methoden zur Folgenabschätzung (wie Lebenszyklusanalysen und Carbon Footprint) wichtige Treiber für Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Managementsysteme dienen Unternehmen insbesondere als effektive Plattformen, um die Anwendung spezifischerer Instrumente wie Materialflussanalysen, Kreislaufbewertungen, Leistungsüberwachungssysteme oder digitale Dashboards zu koordinieren. Die Bedeutung von Managementsystemen und Methoden zur Folgenabschätzung wird von den in der Studie befragten Unternehmen anerkannt: 84 Prozent gaben an, dass sie sich auf Managementsysteme und Methoden zur Folgenabschätzung verlassen.

Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor und Chance betrachten

Produzierende Unternehmen müssen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor einer grundlegenden gesellschaftlichen und industriellen Transformation ernst nehmen. Dafür ist jedoch ein Wandel notwendig – weg von einer rein Risiko bezogenen Betrachtung hin zu einer chancenorientierten Perspektive, die ein frühzeitiges Erkennen von Innovations- und Entwicklungsmöglichkeiten fördert und das Wachstum in einem zunehmend wettbewerbsorientierten und verantwortungsbewussten Betriebsumfeld sichert. Dies kann gelingen, wenn Nachhaltigkeit in die Kernstrategie von Unternehmen integriert wird und sich nicht nur isoliert auf einzelne Aspekte fokussiert, sondern alle wesentlichen Themen und deren Relevanz und Möglichkeiten abwägt. Die Grundlagen hierfür sind in vielen Unternehmen schon vorhanden und auch stehen gute Werkzeuge zur Verfügung. Um das ganze Potenzial der nachhaltigen Transformation zu nutzen, besteht jedoch noch Handlungsbedarf.

Zur Studie „Managing Sustainability“

Ramboll führte die Umfrage Managing Sustainability zwischen November 2019 und Januar 2020 durch. Rund zwei Drittel der Teilnehmer sind Unternehmen aus verschiedenen Branchen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern. 44 Prozent der teilnehmenden Unternehmen stammen aus der Produktionsbranche. An der globalen Studie nahmen rund 160 Unternehmen teil.

Von Jens Haubensack

Jens Haubensak ist Nachhaltigkeitsexperte bei der Ingenieur- und Managementberatung Ramboll in Hamburg.