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BVL Supply Chain CX 2025 23.10.2025, 14:00 Uhr

Logistik zwischen Stagnation und Aufbruch

Mit rund 2 300 Teilnehmenden, 120 Ausstellern und mehr als 220 Fachvorträgen hat in Berlin die zweite BVL Supply Chain CX begonnen. Im Mittelpunkt stehen wirtschaftliche Prognosen, politische Rahmenbedingungen und die großen Branchentrends von Digitalisierung bis Nachhaltigkeit. Während die Stimmung im Estrel Berlin optimistisch ist, mahnen aktuelle Zahlen zu Realismus: Erst 2026 erwarten Fachleute wieder echtes Wachstum im Logistiksektor.

BVL-Präsident Kai Althoff. Foto: BVL/Christian Lietzmann

BVL-Präsident Kai Althoff.

Foto: BVL/Christian Lietzmann

Im Estrel Berlin hat die zweite BVL Supply Chain CX als zentrales Leitevent für Logistik und Supply Chain Management begonnen. Bis Freitag werden rund 2 300 Teilnehmende erwartet, die mehr als 220 Speaker erleben und eine Expo-Area mit rund 120 Ausstellern und Partnern besuchen können. Neben der Präsentation technischer und strategischer Innovationen stehen Networking-Angebote, interaktive Formate und Themenschwerpunkte wie „Ladies in Logistics“ oder „Young Professionals“ im Mittelpunkt.

Zu den prominenten Vortragenden zählen Petra Scharner-Wolff (Otto Group), Jens H. Lund (DSV), Generalmajor Jochen Deuer (Bundeswehr), Arthur Valdez (vormals Amazon, Starbucks, Target), Ilse Henne (ThyssenKrupp AG), Achim Puchert (Mercedes-Benz Trucks), Nadine Despineux (Jungheinrich), Sebastian Peters (Airbus Operations), Prof. Dr.-Ing. Alice Kirchheim (Fraunhofer IML) und Ashwin Bhat (Lufthansa Cargo).

Ein traditioneller Höhepunkt ist die Verleihung des Deutschen Logistik-Preises am Mittwochabend, gefolgt von der Networking Night und der großen CX-Party am Donnerstag. Die Veranstalter betonen den Netzwerkcharakter des Formats – unterstützt durch Matchmaking-Funktionen und moderierte Thementische.

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Logistik bleibt drittgrößter Wirtschaftsbereich

Der Vorstandsvorsitzende der BVL und CEO von 4flow, Kai Althoff, stellte die aktuelle Lage der Logistikbranche in Deutschland vor. Der Sektor bleibt mit einer Wirtschaftsleistung von rund 335 Mrd. € der drittgrößte Wirtschaftszweig nach Handel und Automobilindustrie und trägt rund 8 % zur gesamtwirtschaftlichen Leistung bei. Diese Zahlen stammen aus der neuen Top100-Studie, die im November unter Leitung von Prof. Martin Schwemmer von der Hochschule Heilbronn veröffentlicht wird. Demnach ist die Wirtschaftsleistung im Vergleich zu 2023 nominal um 2,6 % gestiegen. Gleichzeitig ging die Beschäftigung um 60 000 Personen auf 3,35 Millionen, zurück.

Prognosen bis 2026: Stabilisierung, kein Boom

Die von den „Logistikweisen“ um Prof. Christian Kille (TH Würzburg-Schweinfurt) erstellte Herbstprognose skizziert drei Szenarien: Ein Best Case, ein Trend-Szenario und ein Worst Case. Für 2025 erwarten die Experten eine Wirtschaftsleistung zwischen 337,7 und 338,7 Mrd. €, für 2026 zwischen 344,8 und 349,5 Mrd. €. Real ergibt sich damit zunächst ein Minus zwischen – 0,5 und – 0,8 % für 2025, bevor 2026 eine leichte Erholung möglich ist.

Kai Althoff erklärte dazu: „Bei den Prognosen der Logistikweisen hat für mich das mittlere Szenario die höchste Wahrscheinlichkeit. Das bedeutet für 2025 eine weitere Stagnation und erst 2026 ein spürbares leichtes Wachstum. Dies korrespondiert auch mit den Ergebnissen unseres BVL Logistik-Indikators, den wir mit dem ifo Institut herausgeben. Hier sehen wir eine leichte Erholung auf sehr niedrigem Niveau, aber noch keine echte Trendwende bei den Geschäftserwartungen. Die Entwicklung der Logistik zeigt sich im Einklang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Als weiterhin drittgrößter Wirtschaftsbereich hat die Logistik eine große Bedeutung für Deutschland und ist ein Indikator für die wirtschaftliche Gesamtlage.“

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Studie zeigt: Logistik fühlt sich politisch unterrepräsentiert

Parallel zur Eröffnung wurde die neue Studie „Trends und Strategien in Logistik und Supply Chain Management“ vorgestellt. Zentrale Themen bleiben Cybersicherheit und Digitalisierung, doch besonders auffällig sind die Einschätzungen zur politischen Wahrnehmung der Branche: Nur 6 % der Befragten glauben, dass Logistik und Supply Chain Management in der Politik ausreichend vertreten werden. 60 % widersprechen, 34 % sind unentschieden.

Auch hierzu äußerte sich Kai Althoff deutlich: „Die Einschätzung der Logistikweisen für den Wirtschaftsbereich Logistik gilt auch für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung: Wie sich Deutschland wirtschaftlich in den nächsten Jahren entwickelt, hängt nicht nur von geopolitischen Entwicklungen, sondern auch maßgeblich von der deutschen und europäischen Politik ab.“

60 % der Befragten sagten aber, dass die Politik die Interessen von Logistik und Supply Chain Management nicht angemessen vertrete. Hier müssten die Unternehmen, aber auch die Verbände und Vereinigungen wie die BVL, ansetzen. Althoff: „Wir wollen stärker in den Dialog mit der Politik kommen und informieren. Die Top-Themen der Unternehmen sind erwartungsgemäß die Infrastruktur, der Bürokratieabbau sowie die Digitalisierung. Auch die Energiewende, der globale Handel sowie der Fachkräftemangel werden weiterhin als prioritär wahrgenommen. Die meisten unserer Forderungen haben erfreulicherweise Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Viele richtige Schritte sind auf den Weg gebracht, das Sondervermögen Infrastruktur gibt den nötigen Spielraum für Investitionen.“ Kritisch sieht der Vorstandsvorsitzende der BVL noch das halbherzige Vorgehen beim Strompreis sowie die wenigen konkreten Maßnahmen für eine notwendige Fachkräftemigration zu sehen. Insgesamt jedoch sei der Rahmen für die notwendigen Maßnahmen geschaffen – jetzt komme es auf eine schnelle und konsequente Umsetzung an.

Stefan Hohm ist Logistics Leader of the Year 2025

Zwischenfazit

Die BVL Supply Chain CX 2025 vereint laut Veranstalter Zuversicht und Realitätssinn: Während die Branche mit technologischen und organisatorischen Lösungen auf die Transformation reagiert, bleibe die wirtschaftliche Lage angespannt. Die Veranstaltung in Berlin zeige jedoch, dass die Logistik ihren Anspruch als Gestalterin wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse behauptet – mit klaren Positionen, Zahlen und einem wachsenden Bewusstsein für die eigene politische Relevanz.

Von BVL / Rolf Müller-Wondorf