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Von der Maschine zur Produktionseinheit 11.06.2025, 11:22 Uhr

Additive Serienfertigung neu gedacht – und umgesetzt

Längst hat Additive Manufacturing (AM) den Sprung in die industrielle Fertigung geschafft. Mit wachsenden Anwendungsfeldern steigen jedoch auch die Anforderungen an die Systemtechnik. Dies betrifft Aspekte wie Produktivität, Flexibilität, Sicherheit und Reproduzierbarkeit.

Die Werkstoffeigenschaften entstehen beim L-PBF (Laser Powder Bed Fusion)-Verfahren während des Bauprozesses. Jeder Parameter kann Einfluss auf das Ergebnis nehmen - daher ist vor allem in der Serienproduktion ein tiefes Prozessverständnis notwendig. 
Foto: OpenAI

Die Werkstoffeigenschaften entstehen beim L-PBF (Laser Powder Bed Fusion)-Verfahren während des Bauprozesses. Jeder Parameter kann Einfluss auf das Ergebnis nehmen - daher ist vor allem in der Serienproduktion ein tiefes Prozessverständnis notwendig.

Foto: OpenAI

Gefordert sind durchdachte Gesamtkonzepte für L-PBF (Laser Powder Bed Fusion)-Fertigungsverfahren, die Maschinenarchitektur, Prozessüberwachung und Serienfähigkeit gleichermaßen adressieren. Vor allem Rüstzeiten, Reproduzierbarkeit und die Rückverfolgbarkeit müssen dabei im Fokus stehen. Eine geeignete Lösung dafür bieten innovative Maschinen, die je nach Anwendungsfall und Einsatzzweck modular konfigurier- und umrüstbar sind.

Reproduzierbarkeit, Integrierbarkeit und Ausfallsicherheit als Produktionsmaßstab

Die industrielle Anwendung additiver Verfahren wie dem pulverbettbasierten Laserstrahlschmelzen (L-PBF) stellt hohe Anforderungen an Anlagenkonzepte und Prozesskontrolle. Bauteile müssen in gleichbleibender Qualität produziert, Maschinen effizient genutzt und Sicherheitsstandards eingehalten werden. Martin Buscher, Head of Testing Facilities bei der Aconity3D GmbH, einem Entwickler und Hersteller modularer L-PBF-Maschinen, erläutert: „Schon kleinste Abweichungen in der Temperaturführung oder im Energieeintrag können die Werkstoffeigenschaften verändern. Daher ist es entscheidend, dass der Prozess exakt kontrollierbar ist und die Maschinenstruktur dies auch in der Serienfertigung möglich macht.“ Die Hauptgeschäftstätigkeit des Unternehmens aus Herzogenrath bei Aachen liegt in der Entwicklung von AM-Maschinen – auf dem Stand der Technik und darüber hinaus. Die vollständig konfigurierbaren Systeme bieten eine Flexibilität, die von automatisierten Lösungen, die ohne Eingriff des Nutzers auskommen, bis hin zur kompletten Kontrolle über den gesamten Prozess dank der offenen Systemarchitektur reicht. So wird AM für Start-ups, mittelständische Unternehmen und Branchenführer gleichermaßen zugänglich gemacht.

Ein zentrales Thema ist dabei die Reproduzierbarkeit: Anders als in klassischen Fertigungsverfahren resultieren die Werkstoffeigenschaften beim L-PBF-Prozess nicht aus einem vorgefertigten Halbzeug, sondern entstehen direkt während des Bauprozesses. Jeder Parameter – von der Belichtungsstrategie bis zur Schutzgasführung – kann Einfluss auf das Ergebnis nehmen. Der hohe Anspruch an Prozessstabilität in der Serienproduktion erfordert daher ein tiefes Prozessverständnis, entsprechende technologische Werkzeuge und die Absicherung durch umfassende Maschinen- und Prozessdaten.

Modularisierung als Antwort auf Rüst- und Wartungskosten

So bietet beispielsweise die modulare Architektur der Baureihe „AconityX“ für die genannten Forderungen einen zentralen Vorteil: Die Prozesskammer ist wechselbar; somit können weitere Kammern hauptzeitparallel vorbereitet oder gereinigt werden. Stillstandszeiten werden auf ein Minimum reduziert, was einen wesentlichen Faktor für die Produktivität darstellt. Darüber hinaus erlaubt das modulare Filtersystem eine sichere und wartungsarme Entsorgung von Ruß und Filterrückständen. „Konventionelle Filterelemente müssen häufig gewechselt werden und stellen durch metallische Rückstände ein Sicherheitsrisiko dar. Das neuartige Filtersystem der Maschine verlängert nicht nur die Wartungsintervalle, sondern sorgt auch für ein sicheres Handling dieser Nebenprodukte“, so Buscher.

Durch modulare Maschinenplattformen, wie bei der hier gezeigten „AconityX“, lassen sich neben gängigen, etablierten Prozessen auch kundenspezifische Anforderungen realisieren.

Foto: Aconity3D

Durch die klare Trennung von Prozessmodulen und Systemkern lassen sich zudem Wartungsprozesse effizienter gestalten. Einzelne Komponenten wie Optiken, Strahlquellen oder Steuerungseinheiten sind separat zugänglich und lassen sich bei Bedarf gezielt austauschen. Dies spart Zeit, reduziert Komplexität in der Instandhaltung und trägt dazu bei, die Gesamtanlageneffektivität im L-PBF-Betrieb zu erhöhen.

Produktivität steigern mit skalierbarer Laserarchitektur

Einen weiteren Produktivitätshebel bietet die flexible Laserarchitektur: Je nach Anwendung lassen sich bis zu sechs Hochleistungslaser mit bis zu 4 kW Leistung kombinieren. Der Anbieter konnte in einem Inhouse-Projekt zeigen, dass durch den Austausch eines Standardlasers gegen eine leistungsstärkere Variante nicht nur die Fertigungszeit um 40 Prozent sank, sondern gleichzeitig 1.300 zusätzliche L-PBF-Bauteile pro Jahr bei gleichbleibenden Gesamtkosten produziert werden konnten. „Diese Leistungsdichte mit nur einem Laser steigert die Effizienz erheblich und reduziert zugleich das Ausfallrisiko, das bei Maschinen mit mehreren parallel arbeitenden Lasern deutlich höher ist“, sagt Buscher. Zudem bedeutet die skalierbare Architektur, dass sich Produktionsmaschinen gezielt an veränderliche Bedarfe anpassen lassen. Unternehmen können mit einer Basiskonfiguration starten und im laufenden Betrieb weitere Laserquellen oder Optikpfade nachrüsten. Insbesondere für wachstumsorientierte L-PBF-Fertiger ist dies ein wichtiges Feature.

Zudem lassen sich individuelle Anforderungen aus verschiedenen Branchen dank variabler Strahlprofile und spezifischer Prozesskammern gezielt adressieren. Materialien wie Kupfer, Stahl oder Aluminium können kontaminationsfrei in eigenen Kammern verarbeitet werden, ohne dass eine zweite L-PBF-Maschine nötig wird. Auch das sogenannte „Ultra-Fast-Purging“ trägt zur Optimierung bei, indem eine schnelle Inertisierung der Kammer die Nebenzeiten weiter reduziert.

Durch die Möglichkeit, sowohl validierte Standardparameter als auch kundenspezifisch angepasste Prozessführungen zu hinterlegen und automatisiert abzurufen, lassen sich Materialwechsel nicht nur sicher, sondern auch effizient gestalten. Ein integriertes User-Management in Kombination mit der RFID-basierten Identifikation der Prozesskammern stellt sicher, dass stets die korrekten Parameter verwendet werden. Besonders in Applikationsfeldern, wo verschiedene Materialien und hohe Anforderungen an Prozessdokumentation den Betriebsalltag prägen, schafft dies einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Maschinenbau für industrielle Einsatzbedingungen

Buscher hebt zudem die Bedeutung eines robusten Maschinendesigns hervor: „Industrielle Umgebungen sind nicht steril. Hohe Temperaturen, Staub oder Vibrationen gehören zum Alltag. Deshalb sollte eine L-PBF-Fertigungsmaschine bewusst robust aufgebaut sein, was unter anderem durch gekapselte Optiken und einem stabilen Thermomanagement erzielt werden kann.“

Darüber hinaus muss eine Maschine eine intuitive Bedienbarkeit bieten. Das Bedienpanel ist daher übersichtlich gestaltet; wichtige Prozessdaten lassen sich so auf einen Blick erfassen, und zentrale Wartungspunkte sind ergonomisch zugänglich. Auch die Integration in bestehende Produktionslinien, etwa über standardisierte Schnittstellen zur Automatisierungstechnik, ist vorgesehen.

Prozessdaten als Schlüssel zur Qualitätssicherung

Neben der Hardware trägt auch die Software zur Prozessstabilität von L-PBF-Fertigungsverfahren bei. Im Falle der vorgestellten Baureihe lassen sich mit „AconityStudio“ und der integrierten Monitoring-Lösung „AconityAnalyze“ sämtliche Prozessparameter lückenlos erfassen, speichern und visualisieren. Dies kann vom Sauerstoffgehalt über Temperaturverläufe bis zur Strömungsgeschwindigkeit des Prozessgases reichen – denn: „Diese Daten bilden die Grundlage für zertifizierte Prozesse in der Serienfertigung. Ohne Transparenz im Prozess keine Normenkonformität“, stellt Buscher klar.

Die erfassten Informationen können sowohl für die interne Qualitätssicherung als auch für externe Prüfprozesse genutzt werden. In Branchen mit regulatorischen Anforderungen – etwa Luft- und Raumfahrt oder Medizintechnik – ist dies ein unverzichtbarer Bestandteil der L-PBF-Fertigungsstrategie. Zudem ermöglichen sie langfristig den Aufbau digitaler Zwillinge zur vorausschauenden Prozessoptimierung.

Simulation und Szenarioplanung per „Business Case Calculator“

Eine schnelle Ermittlung anwendungsspezifischer Maschinenkonfigurationen kann ebenso auf die Effizienz des Verfahrens einzahlen. Mit einem Tool wie dem „Business Case Calculator“ von Aconity3D lassen sich dafür Anlagenauslegung und Produktionsplanung wirtschaftlich optimieren. „Berücksichtigung finden darin Produktionsszenarien, Schichtmodelle und Bauteilgeometrien; auf deren Grundlage erfolgt eine präzise Berechnung, welche Kombination aus Lasern, Kammer und Rüstzyklen den besten Output bringt“, so Buscher.

Die zugrunde liegende Methodik basiert auf einer Kombination betriebswirtschaftlicher Kennzahlen und physikalischer Prozessparameter. Unternehmen erhalten eine Abschätzung der Investitionskosten und eine belastbare Grundlage für ihre ROI (Return on Investment)-Kalkulation. Im Zusammenspiel mit Erfahrungswerten aus dem Betrieb lassen sich auf dieser Basis auch Strategien für einen späteren Ausbau oder eine schrittweise Automatisierung im L-PBF-Umfeld entwickeln.

Branchenübergreifender Einsatz

Die Vorteile dieser Kombination zeigen sich in unterschiedlichen Industriezweigen. So konnte die AconityX bereits in der Luft- und Raumfahrt, der Medizintechnik und der Elektromobilität Best Practices für die Prozessoptimierung schaffen. Für die Fertigung von Hairpin-Wickelköpfen, wie sie in E-Motoren zum Einsatz kommen, entfällt mit der additiven Fertigung zum Beispiel die kostenintensive Herstellung individueller Werkzeuge, was speziell in der Prototypen- und Kleinserienfertigung der Effizienz zugute kommt.

Auch eine weitere Anwendung aus dem eigenen Maschinenpark von Aconity3D verdeutlicht dies: So wurde der sogenannte Galvoträger – ein Aluminiumbauteil aus dem Strahlablenksystem der Aconity-Maschinen – im additiven Verfahren optimiert und ermöglicht heute durch den Einsatz einer neuen Laserquelle deutliche Zeiteinsparungen. „Es ist unser Ziel und Ansporn, dass auch weitere Anwender von genau solchen Erfahrungswerten profitieren“, so Buscher.

Digitale Schulungskonzepte als Erfolgsfaktor

„Ziel muss es jedoch sein, dass Unternehmen zunächst einmal überhaupt einen nachhaltigen Einstieg in die additive Serienfertigung erhalten. Mit einem System, das mitwächst und sich an neue Anforderungen anpassen lässt, ist dafür ein wichtiger Grundstein geschaffen“, erklärt Buscher. Fertigende Unternehmen profitieren somit von Partnern entlang der gesamten additiven Prozesskette. Allerdings sollten sie zusätzlich auch auf Weiterbildung setzen: So bietet zum Beispiel die firmeneigene Akademie Anwendern kostenfreien Zugang zu Videotrainings, Live-Sessions mit Partnerunternehmen und einer Vielzahl an Tutorials in digitaler Form.

Die Inhalte decken dabei nicht nur technische Fragestellungen ab, sondern auch Best Practices aus der L-PBF-Fertigung, Hinweise zur Prozessstabilisierung und Empfehlungen für die sichere Materialhandhabung. Damit wird ein niederschwelliger Einstieg möglich – sogar für Betriebe, die bislang keine oder nur wenig Erfahrung mit additiven Verfahren haben.

Fazit

Die industrielle Serienfertigung mit additiven L-PBF-Verfahren erfordert weit mehr als nur leistungsfähige Maschinen. Modularität, Prozessstabilität, sichere Handhabung und wirtschaftliche Skalierbarkeit werden zu entscheidenden Erfolgsfaktoren. Moderne Anlagenkonzepte bieten die notwendige Flexibilität, um auf sich wandelnde Anforderungen zu reagieren und Investitionen nachhaltig abzusichern. Unterstützt durch umfassendes Monitoring, intelligente Parameter- und Materialverwaltung sowie digitale Schulungsangebote wird additive Fertigung immer mehr zu einer tragenden Säule moderner Produktionsstrategien. Unternehmen, die auf solche integrativen Lösungen setzen, verschaffen sich nicht nur Effizienzvorteile, sondern sichern sich auch technologische Zukunftsfähigkeit in dynamischen Märkten.

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Von Nadja Müller

Nadja Müller ist 1984 in Weinheim geboren. Sie hat Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg studiert, bei der dortigen Rhein-Neckar-Zeitung volontiert und sechs Jahre als Redakteurin gearbeitet. Heute ist sie als Autorin, Content Managerin und freie Journalistin mit Schwerpunkt Digitalisierung, Wirtschaft und Social Media tätig. Foto: Autorin