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Automobilbranche in Deutschland 14.10.2025, 10:33 Uhr

Ausgebremst, aber nicht überholt

Die Automobilindustrie am Standort Deutschland kämpft seit einigen Jahren mit rückläufigen Produktionszahlen. Im Vergleich mit anderen europäischen Autonationen schlägt sich die Bundesrepublik aber noch relativ passabel. Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung.

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Ein Fall für die Schrottpresse? Nein. Zumindest laut iwd stehen deutsche Autohersteller besser da, als ihre europäischen Wettbewerber. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass chinesische Wettbewerber massiv an Marktmacht gewinnen.

Foto: Smarterpix / verbano

Die deutsche Automobilindustrie steht unter Druck, die Umstellung auf alternative Antriebe sowie eine fortschreitende Deglobalisierung stellen die Hersteller vor große Herausforderungen. Doch entgegen der hierzulande verbreiteten Wahrnehmung kann von einer spezifisch deutschen Krise keine Rede sein. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt eine Untersuchung des iwd (Informationsdienst des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, IW Köln). Vielmehr habe die gesamte europäische Autoindustrie an Gewicht verloren:

Im Jahr 2024 produzierten die Autobauer in der EU und dem Vereinigten Königreich insgesamt rund 12,5 Mio. Pkw – fast vier Millionen weniger als 2015. Grafik: iwd

Im Jahr 2024 produzierten die Autobauer in der EU und dem Vereinigten Königreich laut iwd insgesamt rund 12,5 Mio. Pkw – fast 4 Mio. weniger als 2015. Anders ausgedrückt: Die Produktion ist innerhalb von knapp zehn Jahren um fast ein Viertel gesunken.

Der Anteil Europas hat sich fast halbiert

Die Folge: Der Anteil Europas – Russland und die Türkei nicht mit eingerechnet – an der weltweiten Pkw-Produktion hat sich von 36 % im Jahr 2000 auf 18,5 % im Jahr 2024 fast halbiert, der Schwerpunkt der globalen Autoindustrie liegt inzwischen in Asien. Treiber dieser Entwicklung war China, das im vergangenen Jahr mehr als doppelt so viele Pkw produzierte wie alle EU-Mitgliedsstaaten und das Vereinigte Königreich zusammen. Trostpflaster laut iwd: „Der mit Abstand größte Produktionsstandort in Europa ist nach wie vor Deutschland.“

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Doch auch innerhalb von Europa haben sich die Kfz-Produzenten umorientiert – weg von alteingesessenen westeuropäischen Standorten wie Frankreich, dem Vereinigten Königreich oder Italien hin zu billigeren Produktionsstätten in Osteuropa wie zum Beispiel Tschechien, das sich mittlerweile zum drittgrößten Herstellungsland in Europa gemausert hat. Diese Bewegung ist allerdings seit einigen Jahren ins Stocken geraten, vor allem die Kleinwagenproduzenten für den europäischen Markt siedeln sich zunehmend in Ländern außerhalb der EU an – beispielsweise in der Türkei oder Marokko.

Zwar produzierten die Fabriken in Deutschland im Jahr 2024 mit rund 4 Mio. Pkw rund 29 % weniger als noch 2015, waren damit aber trotzdem für fast ein Drittel des gesamteuropäischen Outputs verantwortlich – dieser Anteil hat sich laut iwd in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert.

Andere etablierte europäische Produktionsstandorte sind dagegen weit stärker unter Druck geraten. Und im Gegensatz zu Deutschland ist die Krise in vielen Ländern keineswegs erst seit rund einem Jahrzehnt zu beobachten, sondern schreitet schon seit der Jahrtausendwende voran:

Seit dem Jahr 2000 ist die Kfz-Produktion im Vereinigten Königreich um 53% zurückgegangen, in Frankreich sogar um 68%.

Foto: iwd

Seit dem Jahr 2000 ist die Kfz-Produktion im Vereinigten Königreich um 53 % zurückgegangen, in Frankreich sogar um 68 %.

Besonders dramatisch ist die Situation in Italien: Dort brach die Produktion in den vergangenen 24 Jahren um 78 % ein, 2024 rollten am Mittelmeer nur noch rund 310.000 Fahrzeuge vom Band – bei theoretischen Kapazitäten von rund 1,2 Millionen.

Deutsche Automobilbranche muss Dominanz im Premiumsektor verteidigen

Der innereuropäische Vergleich der Automobilproduktion zeigt laut iwd, dass der Standort Deutschland sich nicht nur besser halten konnte als die Konkurrenz, sondern es bislang auch eher geschafft hat, Produktionsverluste in Absatzkrisen wieder wettzumachen.

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Die höhere Resilienz ist dabei vor allem auf das besondere Geschäftsmodell der deutschen Hersteller zurückzuführen. Rund 30 % der Pkw aus deutscher Produktion gehen in außereuropäische Märkte – möglich ist das nur wegen des hohen Anteils an Fahrzeugen aus dem Premiumsektor. Die Nachfrage nach deutschen Autos aus diesem Segment beschert den Herstellern nicht nur gute Margen, sondern ermöglicht es ihnen auch, große Teile der Produktion in deutschen Fabriken zu belassen und den Weltmarkt zu einem relevanten Teil vom heimischen Standort aus zu beliefern.

Ein Strategiewechsel hin zu einer stärkeren Kleinwagenproduktion würde Deutschland in dieselbe missliche Lage bringen wie seine europäischen Konkurrenten. Schließlich kommen auf dem ohnehin eher schrumpfenden europäischen Markt für dieses Segment zunehmend chinesische Wettbewerber hinzu, die in Europa Fabriken bauen.

Entscheidend für die Zukunft des Standorts wird daher sein, die Dominanz im Segment hochwertiger und -preisiger Modelle zu verteidigen. Das wiederum funktioniert laut iwd nur, wenn die Politik die Unternehmen beim technologischen Wandel hin zur E-Mobilität unterstützt: „Die hiesige Automobilindustrie ist hinsichtlich der Anpassung an den Trend zum elektrifizierten Antriebsstrang im europäischen Vergleich am Weitesten, aktuell ist Deutschland hinter China weltweit der zweitgrößte Produktionsstandort für E-Autos. Darauf gilt es aufzubauen.“