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Klimawandel 16.06.2025, 07:00 Uhr

Klimaretter Ozean? CO₂-Entnahme bedroht Sauerstoff im Meer

Eine neue Studie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel offenbart ein Dilemma: Methoden zur Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre mithilfe des Ozeans könnten den ohnehin schon bedrohlichen Sauerstoffverlust im Meer beschleunigen. Die Forschenden fordern, die Auswirkungen auf den Meeressauerstoff bei der Bewertung solcher Verfahren zu berücksichtigen.

Ein brechende Welle in Großaufnahme.

Das Meer ist ein komplexes System, in das auch zum Schutz gegen den Klimawandel nur vorsichtige Eingriffe möglich sind.

Foto: PantherMedia / elenathewise (YAYMicro)

Der Ozean spielt eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel, indem er große Mengen an Kohlendioxid (CO₂) aus der Atmosphäre aufnimmt. Doch diese natürliche Fähigkeit hat ihren Preis: In den vergangenen Jahrzehnten hat der Sauerstoffgehalt im Meerwasser um etwa zwei Prozent abgenommen – mit spürbaren Folgen für die Meereslebewesen. Eine Studie unter Leitung von Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zeigt nun, dass einige Methoden zur gezielten Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre mithilfe des Ozeans, sogenannte marine Carbon Dioxide Removal (mCDR)-Verfahren, den Sauerstoffverlust im Meer noch weiter verstärken könnten.

In ihrer Studie analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mithilfe von Modellsimulationen die Auswirkungen verschiedener mCDR-Methoden auf den Sauerstoffhaushalt des Ozeans. Dabei stellten sie fest, dass insbesondere biologische Verfahren wie die Ozeandüngung oder die Zucht und Versenkung von Algenbiomasse problematisch sein können. Bei diesen Methoden wird zusätzliche Biomasse im Meer produziert, deren Abbau durch Mikroorganismen Sauerstoff verbraucht. Die Modellrechnungen zeigen, dass der dadurch verursachte Sauerstoffverlust im Ozean bis zu 40-mal höher wäre als der Sauerstoffgewinn, der durch die Eindämmung der globalen Erwärmung zu erwarten wäre. Auch der künstliche Auftrieb von nährstoffreichem Tiefenwasser an die Oberfläche würde den Sauerstoffverbrauch im Meer merklich steigern.

Alternative: Geochemische Verfahren ohne Nährstoffzufuhr

Im Gegensatz zu den biologischen mCDR-Methoden schneiden geochemische Verfahren, bei denen keine zusätzlichen Nährstoffe in den Ozean eingebracht werden, in Bezug auf den Sauerstoffhaushalt besser ab. Ein Beispiel dafür ist die erhöhte Alkalinität des Meerwassers durch Zugabe basischer Substanzen auf Kalkbasis. Die Modellsimulationen deuten darauf hin, dass solche Ansätze den Sauerstoffgehalt im Ozean kaum beeinflussen und in dieser Hinsicht mit einem Szenario vergleichbar sind, bei dem einfach weniger CO₂ ausgestoßen wird. Allerdings ist auch bei diesen Methoden Vorsicht geboten, da der Ozean ein komplexes System ist und Eingriffe an einer Stelle weitreichende Folgen haben können. Laut Oschlies sollten auch gut gemeinte Klimaschutzmaßnahmen nur nach gründlicher Erforschung und mit größter Umsicht eingesetzt werden.

Eine Methode, um den historischen Sauerstoffverlust im Ozean umzukehren, sind der großflächige Anbau und die Ernte von Makroalgen. Dabei wird kein zusätzlicher Sauerstoff im Meer verbraucht, da die Nährstoffe zusammen mit der geernteten Biomasse aus dem Ozean entfernt werden. Die Berechnungen zeigen, dass diese Methode innerhalb von 100 Jahren zehnmal mehr Sauerstoff liefern könnte, als durch den Klimawandel im Ozean verloren gegangen ist. Allerdings hätte die Entnahme von Nährstoffen in diesem Ausmaß wiederum negative Auswirkungen auf die biologische Produktivität im Meer. Auch dabei gilt es also, sorgfältig Nutzen und Risiken abzuwägen und mögliche Folgen für das komplexe Ökosystem Ozean zu berücksichtigen.

Sauerstoffverlust im Ozean durch globale Erwärmung bereits alarmierend

Der Sauerstoffgehalt im Ozean ist in den vergangenen Jahrzehnten bereits um etwa zwei Prozent gesunken – hauptsächlich aufgrund der globalen Erwärmung. Diese Entwicklung hat Folgen für das Leben im Meer, da viele Meeresorganismen auf eine ausreichende Sauerstoffversorgung angewiesen sind. Jede weitere Erwärmung verstärkt den Sauerstoffverlust. Umso wichtiger ist es, beim Entwickeln von Strategien gegen den Klimawandel die Auswirkungen auf den Sauerstoffhaushalt des Ozeans zu berücksichtigen. „Was gut für das Klima ist, ist nicht automatisch gut für den Ozean“, sagt Oschlies. Die Studie unterstreiche die Notwendigkeit, den Sauerstoffgehalt bei jeder mCDR-Maßnahme systematisch mit zu erfassen und die möglichen Folgen bei der Bewertung der Methoden einzubeziehen.

Das Entnehmen und Speichern von CO₂ aus der Atmosphäre wird als ein möglicher Weg diskutiert, um schwer vermeidbare Restemissionen auszugleichen und das Ziel der Treibhausgasneutralität zu erreichen. Selbst bei einer ambitionierten Klimapolitik wird Deutschland Schätzungen zufolge in drei Jahrzehnten noch immer zehn bis 20 Prozent der aktuellen Treibhausgas-Emissionen freisetzen.

Der Ozean spielt aufgrund seiner natürlichen CO₂-Aufnahmefähigkeit eine Schlüsselrolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Allerdings laufen die Prozesse der CO₂-Aufnahme im Ozean und im Meeresboden auf langen Zeitskalen ab. Durch die mCDR-Verfahren sollen diese Prozesse beschleunigt und damit die Kohlendioxid-Aufnahmerate des Ozeans erhöht werden. Die Studie des GEOMAR zeigt jedoch, dass die Folgen für den Sauerstoffhaushalt des Ozeans nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

Vorsicht bei Eingriffen in den Ozean zur Eindämmung der globalen Erwärmung

Die Ergebnisse verdeutlichen, wie komplex das Ökosystem Ozean ist und vor welchen Herausforderungen Wissenschaft und Gesellschaft bei der Bewältigung der Klimakrise stehen. Einerseits ist es dringend notwendig, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die globale Erwärmung einzudämmen und damit Folgen für Mensch und Natur abzuwenden. Andererseits müssen die Auswirkungen solcher Eingriffe auf die marinen Ökosysteme sorgfältig erforscht und berücksichtigt werden, um Schäden zu vermeiden. „Der Ozean ist ein komplexes und bereits sehr belastetes System“, warnt Oschlies. „Deshalb dürfen wir auch gut gemeinte Klimaschutzmaßnahmen nur nach gründlicher Erforschung mit größter Vorsicht einsetzen, um sicherzustellen, dass wir das Leben im Meer dabei nicht seiner Lebensgrundlage berauben.“

Von Julia Klinkusch