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Klimaschutz: Kohlendioxid auffangen und speichern 05.02.2024, 09:30 Uhr

Klarer Rahmen für das Speichern von Kohlendioxid

Kohlendioxid sollte auch in Deutschland im Untergrund gespeichert werden. Dies fordert eine bunte Koalition aus dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und zwei Umweltschutzverbänden. Für sie muss Carbon Capture and Storage für derzeit unvermeidbare CO2-Emissionen ein wichtiger Part der kommenden Kohlenstoffmanagement-Strategie der Bundesregierung sein.

In Brevik, Norwegen, wurde im Sommer 2023 der Absorber, das Herzstück der CCS-Anlage auf dem Gelände des Zementwerks von Heidelberg Materials installiert. Foto: Heidelberg Materials

In Brevik, Norwegen, wurde im Sommer 2023 der Absorber, das Herzstück der CCS-Anlage auf dem Gelände des Zementwerks von Heidelberg Materials installiert.

Foto: Heidelberg Materials

Es klingt so einfach: Das Treibhausgas Kohlendioxid beispielsweise aus Abgasen von Stahl- oder Zementwerken auffangen und es unterirdisch lagern, damit es das Klima nicht weiter erwärmt. Auch die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris betont, ohne dieses Verfahren, das Carbon Capture and Storage (CCS), wird es nicht möglich sein, die Klimaziele von Paris für 2050 einzuhalten. In Deutschland erlaubt das „Gesetz zur Demonstration der dauerhaften Speicherung von Kohlendioxid“, kurz „Kohlendioxid-Speicherungsgesetz“ (KSpG), von 2012 aber nur, diese Technik anhand weniger Pilotprojekte zu erproben. Es wirkt damit wie ein Moratorium gegen CCS. Der Grund: Es gab Widerstand. Ein Beispiel: 2009 wehrte sich eine Region in Schleswig-Holstein unterstützt von der damaligen CDU-Landesregierung. Landwirtinnen und Landwirten, Kirchen und Gewerkschaften dagegen, die „CO2-Deponie Deutschlands“ zu werden.

Doch Zeiten ändern sich, Klimaschutz ist wichtiger geworden, über CCS wird neu gesprochen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hält CCS sowie das Carbon Capture and Usage (CCU) für wichtig, um eine klimaneutrale und wettbewerbsfähige Industrie aufzubauen. Zudem rufen jetzt vier sehr unterschiedliche Verbände im Vorfeld der „Carbon Management Strategie“, die das BMWK vorbereitet, dazu auf, CCS neu zu bewerten. Es sind der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die beiden Umweltschutzverbände Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und der Worldwide Fund for Nature (WWF). Nicht alle Umweltschutzverbände ziehen mit. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) als auch Greenpeace etwa halten CCS weiterhin für zu teuer, zu riskant und zu wenig effizient, um das Klima zu schützen.

Die Einspeisung von CO2 in Ketzin begann am 30. Juni 2008.

Foto: GFZ Potsdam

Doch BDI, DGB, Nabu und WWF betonten im Januar in ihrem Thesenpapier „Industrietransformation aus einem Guss“, die Transformation der deutschen Wirtschaft benötigt neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien, dem Hochlauf der Kreislauf- und Wasserstoffwirtschaft auch ein vernünftiges Kohlenstoffmanagement. Und unter „Carbon Management“ verstehen sie zweierlei: mehr natürliche Kohlenstoffsenken in Form intakter Ökosysteme als auch technische Lösungen in Form von CCS und CCU.

Geologinnen und Geologen unterstützen CCS

„Als Geologe begrüße ich die gemeinsame Position der Verbände zu den CCS-Techniken“, sagt Professor Christoph Hilgers vom Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Die technische Machbarkeit sei schon in den 1970er-Jahren in den USA gezeigt worden. In Norwegen werden bereits jährlich etwa 1 Mio. t Kohlendioxid in den Untergrund verbracht. Der Zementhersteller Heidelberg Materials mischt in Norwegen mit: Er errichtet in seinem Zementwerk in Brevik eine Abscheideanlage für Kohlendioxid. Das Gas soll letztlich in einen Aquiferspeicher unter der Nordsee verbracht werden.

Auch in Deutschland gebe es entsprechende Speichermöglichkeiten, betont Hilgers. Er verweist auf das „Informationssystem Speichergesteine für den Standort Deutschland“, das die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und die Geologischen Dienste der Bundesländer zwischen 2008 und 2011 gemeinsam erstellt haben. Dieses „Speicherkataster Deutschland“ weist für die CO2-Speicherung untersuchungswürdige Gebiete mit Speicher- und Barrieregesteinskomplexen aus.

Bei der Speicherung von Kohlendioxid müssen natürlich mögliche Risiken im Auge behalten werden, betont Hilgers. Das verpresste Gas darf etwa nicht durch alte oder neue Bohrlöcher wieder an die Oberfläche gelangen. Ein Pilotprojekt führte das Deutsche GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam bei Ketzin in Brandenburg durch.

Ketzin im Oktober 2015: Die Sole für die kontinuierliche Injektion in 630 m Tiefe wird angeliefert und zwischengespeichert.

Foto: Tanja Kollersberger/GFZ Potsdam

Abfallhierarchie einhalten

Für die Gewerkschaft und die drei Verbände soll es nicht bei Pilotprojekten in Deutschland bleiben. Das Abscheiden und die Speicherung beziehungsweise den Nutzen von Kohlendioxid halten sie für einen unerlässlichen Teil der Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität mit hochwertiger Beschäftigung. Da tragfähige Lösungen für diese Umwandlung nur im Dialog gefunden werden können, betonen sie folgende Grundsätze:

  • Das Vermeiden und Verringern von CO2-Emissionen hat im Sinne der EU-Abfallhierarchie Vorrang vor dem Abscheiden von Kohlendioxid. CCS und CCU sind daher vorrangig dort einzusetzen, wo CO2-Emissionen nach aktuellem technischem Stand nicht vermieden werden können.
  • Die Bundesregierung sollte mit ihrer Carbon-Management-Strategie schnell Klarheit über die Zukunft von CCS und CCU schaffen. Hohe Qualitätsstandards und Transparenz müssen sichergestellt werden.
  • Mittel- bis langfristig braucht es sich selbst tragende grüne Märkte, um die Transformation des Wirtschaftsstandortes zu stemmen. Die Bereitstellung von ausreichend erneuerbarer Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen und die zügige Umsetzung grüner Leitmärkte muss vorangetrieben werden. Solche Leitmärkte können durch den Hebel der öffentlichen Beschaffung einen Umstieg auf grüne Produkte anreizen. Darüber hinaus müssen Fachkräftebedarfe frühzeitig erfasst und bei erwartbaren Engpässen muss schnell gegengesteuert werden.
  • Auf europäischer Ebene stehen wichtige Entscheidungen zur künftigen Rolle von CCS und CCU an. So hat die EU-Kommission im März 2023 die sogenannte Netto-Null-Industrie-Verordnung vorgeschlagen. Sie sieht darin vor, dass auch CCS und CCU ihren Teil zur angestrebten Klimaneutralität beitragen. Die drei Verbände und die Gewerkschaft erwarten, dass sich hierbei die Entscheidungsträgerinnen und -träger in Berlin und Brüssel bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette gut abstimmen.
  • Neue Produktions- und Dienstleistungsprozesse können zu Strukturveränderungen in Betrieben und Regionen führen. Dieser Wandel ist proaktiv zu erkennen, zu gestalten sowie sozial- und arbeitsmarktpolitisch zu flankieren.
  • Die Anwendung von CCS und CCU steht und fällt mit der gesellschaftlichen Akzeptanz; wie der Ausbau erneuerbarer Energien und der Stromnetze oder der Erhalt bestehender und die Schaffung neuer natürlicher Senken. Doch noch immer führt mangelhafte Kommunikation und Beteiligung der Öffentlichkeit zu Vertrauensverlusten in der Bevölkerung. Um dies zu ändern, sollen Bürgerinnen und Bürger sowie Kommunen und Länder früh informiert und beteiligt werden. Beschäftigte in betroffenen Betrieben sind frühzeitig über die Gremien der Mitbestimmung zu beteiligen.

Der Ketziner CCS-Bohrturm zur Beobachtungsbohrung Ktzi 203 an einem Sommerabend im August 2012.

Foto: GFZ Potsdam

Doch etwas Zeit wird es noch brauchen, bevor CCS und CCU alltäglich werden. Die öffentlichen Konsultationen für die deutsche Kohlenstoffmanagement-Strategie sollen zwar im März 2024 beginnen, doch erst, wenn die Strategie verabschiedet sein wird, können die rechtlichen Rahmenbedingungen so verändert werden, dass CCS und CCU tatsächlich genutzt werden können.

Von Dr. Ralph H. Ahrens