Schäden in Rotorblättern erlauschen
Die Wartung von Windenergieanlagen ist kostspielig und riskant, besonders auf hoher See. Eine neue Sensortechnik soll Risse und Brüche in Rotorblättern künftig frühzeitig remote hörbar machen und damit Vor-Ort-Reparaturen erst auslösen, wenn sie notwendig sind.
Windenergieanlagen befinden sich häufig im Meer und sind damit für Wartungsarbeiten nur schwer zugänglich. Ein neuer Chip soll helfen, Schäden aus der Ferne zu erkennen.
Foto: Fraunhofer IWES/Gerrit Wolken-Möhlmann
Windenergieanlagen bilden heute eine tragende Säule der Stromversorgung. Besonders Offshore-Windparks liefern große Mengen an erneuerbarer Energie, sind jedoch nur schwer zugänglich. Starke Winde, Regen und Salzluft setzen den riesigen Rotorblättern zu. Schäden im Material führen immer wieder zu Ausfällen, deren Reparatur teuer und logistisch komplex ist. Weil herkömmliche Inspektionen zeitaufwendig und riskant sind, werden Blätter bislang häufig vorsorglich ausgetauscht – mit Kosten, die pro Blatt und Fall leicht über 200 000 € erreichen.
Ein Forschungsverbund des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS und des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme IWES hat nun eine Alternative entwickelt. Das Prinzip: Sensoren, die im Inneren der Rotorblätter angebracht werden, registrieren Körperschall – also Schwingungen, die sich durch die Materialschichten ausbreiten. Entstehen im Verbundmaterial Risse oder Delaminationen, erzeugen sie charakteristische akustische Signale. Ein speziell entworfener Chip wertet diese Daten aus und überträgt sie in stark reduzierter Form, beispielsweise über Mobilfunknetze.
Körperschallsensoren statt Austausch auf Verdacht
Der Vorteil dieser Lösung liegt in der Datenaufbereitung: Während etwa Radarprüfungen oder Drohnenbefliegungen enorme Datenmengen erzeugen, die erst aufwendig analysiert werden müssen, filtert der Chip die relevanten Merkmale direkt vor Ort. Nur auffällige Informationen, die auf Schäden hinweisen, verlassen das Rotorblatt. Das reduziert das Datenvolumen erheblich und ermöglicht eine kontinuierliche Überwachung auch ohne Breitbandverbindungen.
„Wir nutzen ein akustisches System, das Schäden anhand ihrer Geräusche erkennt und so etwa einen in der Entstehung befindlichen Riss im Inneren des Blatts von einem Bruch unterscheiden kann“, sagt Björn Zeugmann, Gruppenleiter Integrierte Sensorelektronik am Fraunhofer IIS, Institutsteil Entwicklung Adaptiver Systeme EAS. Diese Klassifizierung schon im Sensor erlaubt es, potenzielle Defekte frühzeitig zu identifizieren und ihre Entwicklung über längere Zeiträume zu verfolgen. Damit lässt sich gezielt entscheiden, ob und wann eine Reparatur erforderlich ist.
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Lösung für Windenergieanlagen: Vom Laborchip zum Gesamtsystem für die Praxis
Die jetzt vorgestellte Lösung ist das Ergebnis mehrjähriger Arbeiten. In zwei vorangegangenen Projekten wurde ein Prototyp des Chips realisiert, der Schäden zuverlässig detektieren konnte. Seit Juni 2025 läuft das Nachfolgeprojekt, das die Technologie zu einem Gesamtsystem weiterentwickeln soll. Ziel ist nicht nur die akustische Erkennung von Materialfehlern, sondern auch die Erfassung von Blitzeinschlägen und deren Folgen. Gerade für Offshore-Anlagen, die exponiert Wind und Wetter ausgesetzt sind, wäre eine solche Funktion entscheidend.
Windenergieanlagen belauschen – aber richtig
Technisch ist die Herausforderung komplex: Rotorblätter bestehen nicht aus homogenem Material wie Stahl, sondern aus mehrschichtigen Verbundwerkstoffen. Diese Schichtstrukturen verändern die Ausbreitung von Schallwellen und machen die Interpretation schwierig. Der Chip muss zwischen normalem Betriebsrauschen, kurzfristigen Belastungen und tatsächlichen Defekten unterscheiden. Die Forscherinnen und Forscher haben deshalb Algorithmen integriert, die Oberflächenwellen gezielt analysieren und deren Muster mit bekannten Schadensbildern vergleichen.
Die Sensoren selbst werden auf der Innenseite der Rotorblätter angebracht. Sie benötigen wenig Energie und können dauerhaft betrieben werden. Durch die Kombination aus lokaler Vorverarbeitung und mobiler Datenübertragung lassen sich auch große Windparks kontinuierlich überwachen. Für Betreiber eröffnet sich die Möglichkeit, Inspektionen präzise zu planen und Einsätze auf See deutlich zu reduzieren. Statt kostenintensiver Routinebesuche können Technikerinnen und Techniker gezielt dorthin geschickt werden, wo der Chip eine Auffälligkeit meldet.
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Für die Energiewirtschaft könnte diese Entwicklung erhebliche Vorteile bringen. Die Verfügbarkeit von Anlagen ließe sich steigern, Ausfallzeiten verkürzen und Reparaturen effizienter gestalten. Zudem verringert die Technik das Risiko, dass Risse unentdeckt wachsen und zu großflächigen Brüchen führen. Die Kombination aus akustischer Sensorik und integrierter Datenanalyse liefert damit ein Werkzeug, das auf die besonderen Anforderungen der Offshore-Windenergie zugeschnitten ist.
Auch gesellschaftlich und politisch wird der Nutzen betont. „Mich fasziniert, in einem Zukunftsfeld wie der Energiewende tätig zu sein und damit einen Mehrwert für die Gesellschaft zu schaffen“, sagt Zeugmann. Die Technologie steht beispielhaft für den Ansatz, komplexe Infrastruktur durch präzise Messtechnik robuster zu machen. In Zeiten, in denen die Energiewende auf eine verlässliche Nutzung erneuerbarer Quellen angewiesen ist, spielt die kontinuierliche Überwachung von Anlagen eine zentrale Rolle.
Bis es soweit ist, wird es allerdings noch dauern. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob die Chips den Sprung in den industriellen Einsatz schaffen und ob Windparks künftig buchstäblich „erlauscht“ werden können.




