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Stadtwerke-Studie 05.09.2023, 10:30 Uhr

Noch mehr Ambition für Zukunftsfähigkeit nötig

Die Energiewende ist nicht nur eine technologische Herausforderung, sondern auch eine Management-Wende, weil sie auch soziale und gesellschaftliche Veränderungen erfordert. Eine aktuelle Studie untersucht, wie die 30 größten Stadtwerke in Deutschland dies angehen und wo sie stehen.

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Stadtwerke sollten Klimaneutralität, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung in einem umfassenden Sinne noch stärker als Chance begreifen und aktiv vorantreiben, stellt eine Studie fest. Grafik: PantherMedia/kav777

Die Energiewende zielt darauf ab, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern und den Übergang zu erneuerbaren Energien (EE) zu vollziehen. Dies erfordert den Ausbau von erneuerbaren Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser, aber auch den Umbau beziehungsweise Rückbau von vorhandenen Erzeugungsstrukturen und ganzen Wirtschaftszweigen. Damit geht ein „Mindset Shift“ einher: Aus dem Energieversorger wird ein Zukunftsentwickler für Gesellschaft und Wirtschaft, der mit vielen Unternehmen anderer Branchen um dieselbe Zielgruppe buhlen wird. Zukunftsplanung, Strategie und Change Management werden hierfür entscheidend sein, so eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Weissman & Cie.

Diese Transformation hat Einfluss auf Preise, Geschäftsmodelle, Finanzierung, Investitionen, Strategie, Innovationsfähigkeit, Branding und die Zukunftsfähigkeit von Stadtwerken. „Sie betrifft uns alle und hat Auswirkungen auf unser tägliches Leben, denn wir werden in Zukunft nicht nur anders Strom erzeugen, sondern auch ganz anders Strom verbrauchen“, unterstreichen die beiden Studienautoren Claus Hartmann und Frank Keuper.

„ReStainability“ als Handlungsprinzip

Als entscheidendes Handlungsprinzip sehen sie die sogenannte ReStainability. Dieses bezieht sich sowohl auf den verantwortungsvollen Umgang mit der Gesellschaft (Responsibility) als auch auf die ökologisch nachhaltige Nutzung von Ressourcen (Sustainability). Im Gegensatz zu Corporate-Social-Responsibility- und Environmental-Social-Governance-Konzepten, bei denen die Maxime „Profit first, Impact second” gilt, zielt der ReStainability-Ansatz laut den Studienautoren auf „Profit by Impact“ ab. „Gesellschaftlich verantwortungsvolle, umweltverträgliche Unternehmen, mit einem auf diesem Motor basierenden innovativen, skalierbaren und verlässlichen Geschäftsmodell, sind die Gewinner von morgen. Impact bedeutet dann finanzielle Unabhängigkeit, Rentabilität und Stabilität durch verantwortungsvolles Handeln – das ist die Idee von ReStainability“, erläutert Keuper.

„’Re‘ integriert die unternehmensfokussierten Metatools des Deutschen Ethik Index (Responsibility) sowie das normative Future Fit Framework der Vereinten Nationen (Sustainability)“, ergänzt Hartmann.

Untersuchungsmethodik

Die Outside-in-Studie basiert auf öffentlich zugänglichen Informationen (zum Beispiel Bundesanzeiger, Homepages, Nachhaltigkeitsberichte) und konzentriert sich auf die Top-30-Stadtwerke in Deutschland nach Umsatz im Jahr 2021. Der Untersuchungszeitraum ist Januar bis März 2023. Die Stadtwerke werden in zwei Dimensionen bewertet: „Restainability Readiness Factor“ und „Measurement Factor for Need for Action“.

Der ReStainability Readiness Factor wird verwendet, um die Bereitschaft der Stadtwerke zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu bewerten, und setzt sich aus fünf Bewertungsaspekten zusammen:

  • Strategie: Wie wird ReStainability in Vision, Mission, Purpose, Strategie und Zielen verankert?
  • Umsetzung: Wie transparent ist das Reporting über ReStainability-Themen?
  • Strategische Kommunikation: Wie ist die strategische Kommunikation hinsichtlich ReStainability auf LinkedIn?
  • Perspektive: Reichen die Unternehmensziele aus, um politisch gesetzte Ziele wie den „EU Green Deal“ zu erfüllen?
  • Erneuerbare Energie: Wie groß ist das erneuerbare Stromerzeugungsportfolio im Verhältnis zum Stromabsatz?

Als zweite Bewertungsdimension wird der Measurement Factor for Need for Action genutzt, um Handlungsbedarfe aus externer Sicht zu identifizieren:

  • Primärenergiefaktor der Fernwärme: Ein niedriger Primärenergiefaktor legt nahe, dass bereits erneuerbare Energieträger und hocheffiziente Umwandlungsprozesse verwendet werden.
  • Anteil der Erdgasumsätze im Verhältnis zum gesamten Unternehmensumsatz: Erdgas für Heizungszwecke ist ein Auslaufmodell, deswegen sollten sich die Stadtwerke von diesem Geschäftsmodell möglichst schnell lösen.
  • Verhältnis aus Fernwärmeabsatz zu Wasserabsatz: Fernwärme ist in den Ballungsräumen die favorisierte Lösung für die Wärmewende und anhand des Wasserabsatzes werden die Fernwärmeabsatzmengen normiert.

Ergebnisse im Überblick

Im Rahmen der Untersuchung wird deutlich, dass viele Stadtwerke noch erhebliche Anstrengungen leisten müssen, um den Forderungen von Politik, Kundschaft und der breiten Öffentlichkeit gerecht zu werden. 20 der Top-30-Stadtwerke haben ein CO2-Ziel, das mindestens den Anforderungen der Bundesregierung entspricht (CO2-Neutralität in 2045). Zehn der Top-30-Stadtwerke streben sogar schon für das Jahr 2035 die CO2-Neutralität an. Hierbei werden jedoch in der Regel nur direkte CO2-Emissionen betrachtet.

Nur sechs der der Top-30-Stadtwerke veröffentlichen jedes Jahr einen Nachhaltigkeitsbericht (für die Jahre 2017 bis 2021), 14 Stadtwerke haben in den letzten fünf Jahren keinen einzigen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Das restliche Drittel der Stadtwerke veröffentlicht nur unregelmäßig. Die Varianz in Qualität, Umfang und Transparenz der Nachhaltigkeitsberichte ist sehr hoch – im Gegensatz zu Jahresabschlüssen fehlt es merklich an einem standardisierten Vorgehen.

Im Durchschnitt haben die 30 Top-Stadtwerke bereits rund 1,7 TWh an erneuerbaren Strom im Jahr 2021 produziert. Auch hier liegt eine große Varianz zwischen den Stadtwerken vor.

Zwischen den Zeilen ist bei vielen Stadtwerken eine hohe Unsicherheit zu spüren, wie die Herausforderungen und die (aktuell sehr dynamischen) regulatorischen Vorgaben umgesetzt werden können.

Handlungsbedarf und Maßnahmen

Die Studie ermittelt die Handlungsbedarfe aus externer Sicht, indem Best Practices bei den untersuchten Stadtwerken identifiziert werden, von denen auch die anderen Stadtwerke profitieren können. Neben der klaren Handlungsempfehlung, sich in den untersuchten Kategorien zu verbessern (zum Beispiel EE-Stromportfolio vergrößern, Primärenergiefaktor absenken oder Fernwärme ausbauen), werden folgende Maßnahmen empfohlen:

Stadtwerke sollten offensiv über ihre Ziele hinsichtlich CO2-Neutralität oder Ausbauziele für erneuerbare Energieträger sprechen und damit ihre eigene Organisation aktivieren. „Nur so setzen sich die Ziele in den Köpfen der Mitarbeitenden, Kundschaft und Stakeholdern fest und die Zielerreichung wird viel wahrscheinlicher“, unterstreichen Hartmann und Keuper. Das sei dann die Management-Transition – denn die Energiewende werde nicht an der vorhandenen Technik scheitern. ReStainability müsse daher (auch) Chefsache beziehungsweise Aufgabe der obersten Leitung sein.

Gutes tun und darüber sprechen – denn häufig werden zwar tolle Projekte mit erneuerbaren Energien durchgeführt, jedoch wird gar nicht darüber in der Presse oder Social Media berichtet. „Machen Sie das besser“, raten die Studienautoren den Stadtwerken. Nötig seien Erfolgsgeschichten, die Mut machten.

Potenziale nutzen

Es biete sich an, die zahlreichen Potenziale zu nutzen und ReStainability-Entwicklungen nicht allein den Regierungen und Behörden zu überlassen. „Reagieren Sie nicht nur auf äußeren (regulativen) Druck, sondern ergreifen Sie die Chancen, sich proaktiv, strategisch und kommunikativ signifikant besser zu positionieren. Nutzen Sie damit die Potenziale für profitables Wachstum durch ReStainability: Neue Geschäftsmodelle wie Carsharing, dynamische Stromtarife oder Wärme-Contracting dürfen im Kleinen getestet werden. Denn dann nehmen Sie das Heft des Handelns in die Hand und reiten auf der Welle des ‚Regulierungs-Tsunamis‘, weil man Sie fragen wird, wie die Regeln gemacht werden sollten“, betonen Hartmann und Keuper.

Im Rahmen der Top-30-Stadtwerke-ReStainability-Studie sei jedenfalls deutlich geworden, dass die Aspekte Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung noch mehr in die strategische Planung der Stadtwerke verankert werden sollten, stellen die beiden Autoren fest.

Von Hans-Christoph Neidlein

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