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Wärmewende 02.02.2024, 10:00 Uhr

Hannover: 75 Prozent klimaneutrale Fernwärme bis 2027

Hannover gilt als einer der Vorreiter bei der Wärmewende und kommunalen Wärmeplanung in Deutschland. Dabei arbeitet die Stadt eng mit dem kommunalen Energieversorger und -dienstleister Enercity zusammen. Eine zentrale Rolle spielt der Ausbau grüner Fernwärme.

Die Klärschlammverwertungsanlage von Enercity in Hannover-Lahe speist seit vergangenem Jahr klimafreundliche Wärme in das kommunale Fernwärmenetz ein. Foto: Enercity

Die Klärschlammverwertungsanlage von Enercity in Hannover-Lahe speist seit vergangenem Jahr klimafreundliche Wärme in das kommunale Fernwärmenetz ein.

Foto: Enercity

Das Wärmeplanungsgesetz des Bundes (WPG) verpflichtet große Kommunen in Verbindung mit dem Niedersächsischen Klimagesetz (NKlimaG) zur Erstellung einer Wärmeplanung bis spätestens 30. Juni 2026. In Kooperation mit dem Energiedienstleister Enercity hat die Verwaltung der Landeshauptstadt von Niedersachsen umfangreiche Voruntersuchungen durchgeführt und daraus mögliche Wärmeversorgungsgebiete abgeleitet. Diese sind nun als digitale Karten auf der Internetseite der Stadt veröffentlicht. „Die Wärmeplanung ist ein wichtiges strategisches Planungsinstrument, das zeigt, wie die Umstellung auf klimafreundliche Wärmeversorgungssysteme gelingen kann und welches Heizungssystem in welchem Bereich am besten geeignet ist. Wir haben die Planung so schnell erarbeitet und vorgelegt, um eine frühzeitige Orientierungshilfe zu bieten“, betont Oberbürgermeister Belit Onay und ordnet ein: „Damit machen wir auf dem Weg zur Wärmewende einen weiteren wichtigen Schritt.“

Angestrebte Reduzierung des Wärmebedarfs um 40 Prozent

Hannover hat den Berechnungen von Stadt und Enercity zufolge ausreichend erneuerbare und Abwärmepotenziale zur Verfügung, um den prognostizierten Wärmebedarf in Höhe von 3 200 GWh im Jahr 2045 abzudecken. Dies ist ein Rückgang gegenüber dem derzeitigen jährlichen Wärmebedarf (5 200 GWh) um fast 40 %. Dem Zielszenario zur Wärmeversorgung liegen gebietsbezogene Analysen der sogenannten Wärmegestehungskosten für eine Vielzahl möglicher Heizsystem-Varianten zugrunde. Die Wärmegestehungskosten sind die auf den Wärmebedarf bezogenen Gesamtkosten für die Erzeugung unter Berücksichtigung der Investitions-, Betriebs- und Instandhaltungskosten. Je niedriger diese vollständigen Wärmekosten sind, umso günstiger lässt sich eine Kilowattstunde Wärme mit dem jeweiligen Heizsystem erzeugen. Für die Definition der Wärmeversorgungsgebiete war das jeweils vorherrschende günstigste Heizsystem ausschlaggebend, das vor Ort verfügbar ist. Weitere wichtige Faktoren waren auch die Nähe zum Fernwärmenetz oder die Dichte der Bebauung.

Verdoppelung des Fernwärmeanteils

Für das Jahr 2040 verdoppelt sich der prognostizierte Anteil der Fernwärme am Wärmebedarf auf 56 %, dezentrale Wärmepumpen erreichen 33 %, während Nahwärmenetze zukünftig etwa 9 % des Wärmebedarfs abdecken könnten. „Hannover wird zum Leuchtturm in der Wärmeplanung, was bundesweit starke Beachtung findet. Mit dem Ausbau der klimaneutralen Fernwärme, dem Aufbau von Wärmenetzen und der Installation von Wärmepumpen realisieren wir gemeinsam mit und für unsere Kundinnen und Kunden die Wärmewende“, sagt Enercity-Vorstand Marc Hansmann. Voraussetzung hierfür sei jedoch ein gewaltiger Schub in der energetischen Sanierungsrate. „Das sollte unbedingt durch entsprechende Förderprogramme oder KfW-Kredite angereizt werden“, so Hansmann. „Wir begrüßen es außerordentlich, dass diese Bundesregierung es sich getraut hat, die Wärmewende anzugehen. Für eine sozial ausgewogene Wärmewende dürften die Förderprogramme jedoch nicht gekürzt, sondern müssten im Gegenteil deutlich erhöht werden“, ergänzt er.

100 Prozent klimaneutrale Fernwärme bis 2035

Der Anteil erneuerbaren Energien an der Wärmeversorgung in Hannover beträgt aktuell bis zu 25 % und liegt damit deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt von rund 18 %. Bis zum Jahr 2027 soll die Fernwärme bis zu 75 % klimaneutral sein, spätestens 2035 zu 100 %. „Unser Erzeugungsportfolio wird dann sehr breit und damit sehr resilient aufgestellt sein: Von Ab- und Umweltwärme bis zu Biomasse und Wasserstoff“, sagt Hansmann. Ein Gaskraftwerk soll bis zum Jahr 2035 auf Wasserstoff umgestellt werden. Es soll vor allem zur Abdeckung von Spitzenlasten eingesetzt werden. Doch eine breite Anwendung von grünem Wasserstoff in der Wärmeversorgung, wie sie beispielsweise vom bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger propagiert wird, sieht der Enercity-Chef eher skeptisch. „Die Wette auf bezahlbaren grünen Wasserstoff würden wir nicht eingehen wollen“, sagt Hansmann.

Kosteneffizienz gefragt

„Fern- und Nahwärme müssen im Preis für die Endkundinnen und -kunden absolut konkurrenzfähig sein“, betont er. „Ansonsten bekommen wir ein großes Akzeptanzproblem. Deswegen haben wir gerade rückwirkend zum 1. Januar einen Fernwärmerabatt gegeben“, ergänzt Hansmann.

Kontrovers wird aus Verbraucherschutzsicht ein Anschluss- und Benutzungszwang für die Fernwärme diskutiert. Wie wird dies in Hannover gehandhabt? Die Landeshauptstadt hat zum 1. Januar 2023 ein Fernwärmesatzungsgebiet beschlossen und für alle Bürgerinnen und Bürger transparent veröffentlicht. Eine Befreiung von der Anschlusspflicht ist möglich, wenn eine alternative Wärmeerzeugungsanlage im Verhältnis zur gelieferten Fernwärme zum Zeitpunkt der Antragsstellung gleiche oder niedrigere jährliche Treibhausgas-Emissionen verursacht. Die Anschlusspflicht besteht zudem erst ab einer bestimmten Anschlussleistung (25 kW), also nicht für Einfamilienhäuser sowie Doppelhaushälften.

Öffentliches Beteiligungsverfahren startet

Mit der Bekanntgabe der Wärmekarten startet nun auch das öffentliche Beteiligungsverfahren in Hannover. Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und die Träger öffentlicher Belange haben bis Ende Februar Gelegenheit, ihre Wünsche zur Gestaltung der Wärmeplanung in Hannover einzubringen. Interessierte können sich online informieren. In der Beteiligungsphase sind Anregungen zur Wärmeversorgung eines Quartiers ebenso gefragt wie Ideen zum Ausbau des Informations- und Beratungsangebots.

Von Hans-Christoph Neidlein