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ITZ Plus 08.12.2023, 11:30 Uhr

„Aus dem Bestand das Optimale herausholen“

Das Vorantreiben von Lösungen rund um Energieeffizienz und eine möglichst klimaneutrale Energieversorgung sind ein wichtiger Schwerpunkt des neuen Innovations- und Technologiezentrums (ITZ) Plus im baden-württembergischen Biberach. Geschäftsführer Nikolaus Hertle erläutert im Interview Zielsetzungen, Hintergründe und praktische Aktivitäten.

Auf knapp 3800 Quadrametern wollen Unternehmen gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern im ITZ  Plus in Biberach/Riß Projekte rund um die Zukunftsthemen Energie und Biotechnologie voranbringen.  Foto: Stadt Biberach

Auf knapp 3800 Quadrametern wollen Unternehmen gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern im ITZ Plus in Biberach/Riß Projekte rund um die Zukunftsthemen Energie und Biotechnologie voranbringen.

Foto: Stadt Biberach

Herr Hertle, Ende September wurde das Innovations- und Technologietransferzentrum (ITZ) Plus in Biberach/Riß (Baden-Württemberg) eröffnet, dessen Bau maßgeblich von der Stadt getragen und vom Land Baden-Württemberg,dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und dem Landkreis Biberach finanziell unterstützt wurde. Die IHK Ulm und das Ministerium Ländlicher Raum und Verbraucherschutz unterstützen den Betrieb auch noch finanziell. Was ist die Hauptzielsetzung der neuen Einrichtung?

Nikolaus Hertle: Bei einer Standortanalyse zeigte sich, dass unsere Region zwar wirtschaftlich sehr stark ist, doch wir mehr tun müssen, um den Technologietransfer zu stärken und es an Forschungsinfrastruktur fehlt, um das, was in der Wissenschaft, z.B. an der Hochschule Biberach entwickelt wird, auf die Straße zu bekommen. Deshalb wollen mit dem ITZ zum einen den Wissens- und Know-how Transfer aus dem Hochschulbereich in die Industrie stärken und zum anderen insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen eine Forschungsinfrastruktur anbieten.

Wenn es also beispielsweise darum geht, Wärmepumpen in einer bestimmten Umgebung zu testen und herauszufinden, wie muss ich eine Wärmepumpe für ein Mehrfamilienhaus, für ein Industriegebäude dimensionieren, welche Lastenverteilungen entstehen hier. Das ITZ soll ein Innovationsmotor der Region sein. Denn es geht ja nicht nur darum, dass wir die Forschungsprojekte innerhalb des ITZ machen, sondern es geht auch darum, dass wir mit dem ITZ eine Außenwirkung erzielen. Das heißt, wir werden eine ganze Reihe von Informationsveranstaltungen machen, Workshops, Seminare durchführen, um das Wissen, das hier generiert wird, auch der breiten Öffentlichkeit, sprich der Unternehmerschaft, aber auch der Bevölkerung teil werden zu lassen.

Welche thematischen Schwerpunkte gibt es?

Die Bereiche Energie und die Biotechnologie. Die Energiethemen sind hier sehr breit aufgestellt, weil dies jeden bewegt. Jetzt haben wir die Situation, dass wir mit dem Stuttgarter Fraunhofer IGB einen sehr prominenten Mieter bekommen haben. Hierbei geht es um die Entwicklung von virus-basierten Therapeutika zur Krebsbekämpfung, also auch ein Thema, das uns alle bewegt.

Woran wird denn im Bereich Energie im ITZ schon konkret gearbeitet?

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, was sicherlich in Zukunft sehr interessant wird. Wir haben in unserem Gebäude ganz viele Sensoren verbaut, mehrere hundert, zum einen kabelgebunden, parallel auch funkgebunden. Wir wollen wissen, an welcher Stelle, zu welchem Zeitpunkt von wem welche Energie benötigt und verbraucht wird. Egal ob Wärme, ob Kälte, ob Licht, Prozessenergie, VE-Wasser, was es so alles gibt in einem Forschungszentrum. Und wenn wir das eine Zeitlang gemonitort haben, dann können wir diese Zahlen auswerten und können feststellen, wie unsere Systeme gesteuert werden müssen. Ziel ist, dass wir eine optimale Steuerkurve all unserer Anlagen bekommen, um das Gebäude möglichst energieeffizient zu betreiben. Dann tun wir so, als hätten wir nur halb so viel Sensoren verbaut, das kann man ja simulativ am Rechner machen. Und dann schauen wir, ob wir auf die gleiche Steuerkurve kommen. Und das treiben wir bis ins Extrem, bis wir dann letztendlich feststellen, diese minimale Anzahl von Sensoren ist notwendig, um an die optimale Steuerkurve ranzukommen.

Und dann können wir genau mit diesen Erkenntnissen in jedes andere Gebäude gehen. Also wir gehen zum Beispiel ins Rathaus und wissen genau, wir brauchen für ein Büro, für einen Veranstaltungsraum, diese Anzahl an Sensoren an der und der Stelle. So können wir innerhalb kürzester Zeit die dortige Heizung und Kühlanlage so steuern, dass sie am energieeffizientesten ist. Das heißt, wir brauchen dort in einem ersten Schritt keine neuen Anlagen, sondern wir versuchen aus dem Bestand das Optimale herauszuholen. Wir gehen davon aus, dass die Einsparungspotentiale im höheren zweistelligen Bereich liegen können.

Das Ziel ist also auch, vor Ort die Energieeffizienz weiter voranzubringen, in einer Kommune wie Biberach, die sich den Klimaschutz auf die Fahne geschrieben hat?

Nicht nur in Biberach. Wir sind gerade dabei, die Bürgermeister der Region einzuladen, um ihnen zu zeigen, wie Energie-Monitoring gemacht wird, da kann sich ja niemand etwas darunter vorstellen. Die sollen sehen, wie schauen Sensoren aus, wie sieht das Auswertesystem aus, was macht man damit? Um dann zu entscheiden, das wäre für mich auch etwas. Jede Kommune hat einen ganzen Rucksack voll an Gebäuden zu verwalten. Vom Kindergarten über Turnhallen, über Rathäuser, über andere Gebäude. Das heißt, es gibt rasch einen breiten Wissenstransfer in die Region. Da ist dann ein Bürgermeister dabei, der ist schnell, der macht das bei sich. Und beim nächsten Städtetag stellt er das vor und damit sind wir schon eine Ebene weiter.

Inwieweit strahlt das ITZ auch europäisch aus?

Auf vielfältige Weise. Beispielsweise möchte ein Start-up-Unternehmer, der in Paris eine Professur hat, bei uns die neueste Generation von Kleinwindkraftanlagen weiterentwickeln. Hierbei profitiert er auch von der Nähe der hiesigen Hochschule, die seine Bauteile und Anlagen testet und zertifiziert.

An welchen weiteren Energiethemen sind Sie noch praktisch dran?

Wir haben beispielsweise bei uns im Garten des Gebäudes einen Eisspeicher verbaut, den wir energietechnisch monitoren. Das ist eine Technologie, deren Funktion vielfach noch unbekannt ist, die jedoch in Kombination mit Wärmepumpen sowie Photovoltaik und Solarthermie ein hohes Potential für eine möglichst klimaneutrale Wärmeversorgung auch im Winter hat.

Arbeiten Sie bei der Sektorenkopplung auch an der Schnittstelle zur Elektromobilität?

Ja, hier versuchen wir auch größere Projekte anzuschieben. Stellen Sie sich einmal vor, eine Projektgruppe schafft sich 1000 Elektroautos an. Diese Elektroautos werden einer Reihe von größeren Firmen zur Verfügung gestellt, beispielsweise unseren Nachbarn im ITZ wie Boehringer, Handtmann, Liebherr, KaVo. Die Mitarbeiter dieser Firmen dürften diese Autos kostenlos nutzen. Einzige Bedingung, es müssen zwei Pendler damit einpendeln. Geladen werden die Fahrzeuge über Photovoltaik-Hausanlagen zuhaus oder im ITZ. Die Idee ist weiter, dass diese Autos völlig autonom, also ohne Fahrer fahren können. Wenn man definierte Strecken von den Werkstoren zu einem Systemparkhaus hat, ist es möglich Sensoren zu verlegen und diese mit einer Geschwindigkeit von 29 km/h fahrerlos zu fahren.

Beispielsweise kommen morgens also zwei Leute mit so einem Fahrzeug zum Arbeiten, der erste steigt bei Firma 1 aus, der freut sich, weil er die 15 Minuten vom Parkplatz zum Werkstor nicht laufen muss. Der zweite fährt weiter zu Firma 2, steigt auch aus, gleiche Freude, und sagt zum Auto „geh parken“. Das Auto parkt sich dann autonom in ein Systemparkhaus ein, ähnlich wie in einem Hochregallager. Und wenn man die Batterien der Autos dann elektrisch verbindet, glätte ich mit diesem Kraftwerk die Stromspitzen der teilnehmenden Firmen, was deutlich Kosten einspart. Der Netzbetreiber, der den Strom liefert, der sagt, das ist ideal für mich, weil die Spitzen, die machen mir ja eigentlich das Problem. Zudem haben wir 2000 Menschen an die E-Mobilität herangeführt. Und wir haben 2000 Pendlerautos weniger, mit einem Parkflächenbedarf von jeweils etwa 22 Quadratmeter. Dadurch ergeben sich 44.000 Quadratmeter freie Fläche auf den Grundstücken der Unternehmen. Entsprechend haben sie zusätzliche Erweiterungsflächen, die sie sonst hier in dem dicht bebauten Rißtal nicht hätten. Also eine Win-Win-Situation für alle. Diese Projektidee trifft auch bei Ministerien auf großes Interesse. Denn, wenn das funktioniert, lässt sich die Idee skalieren.

Inwieweit spielt denn Wasserstoff eine Rolle?

Der kommt dann im Winter ins Spiel, wenn die Photovoltaikanlagen nicht ausreichen, die 1000 E-Autos zu laden. Ein in der Region produzierter Wasserstoff könnte im Winter rückverstromt werden. Es gibt auch Start-ups, mit denen ich schon Kontakt habe, die an der Speicherung von Wasserstoff dran sind, dass er bei normalem Druck und normaler Temperatur speicherbar ist. So versuchen wir Start-ups mit anderen Projekten zu verbinden, wenn sie sich sinnvoll ergänzen.

Zu wieviel Prozent ist das ITZ derzeit schon ausgelastet?

Wir starten mit einer 95-prozentigen Auslastung. Neben dem Fraunhofer IGB haben wir derzeit acht Start-ups und etwa 32 Forschungsprojekte. Zudem sind wir gerade dabei, mit einer bekannten Maschinenbaufirma ein Projekt aufzusetzen. Zudem haben wir auch einen Coworking-Bereich, wo sich die Innovationsmanager führender regionaler Unternehmen auf neutralem Grund regelmäßig treffen wollen.

Welche weiteren Schritte planen Sie?

Es wird nicht beim ITZ Plus bleiben. Wir haben jetzt schon die Bewilligung für das zweite Zentrum, das Transferzentrum für industrielle Bioökonomie (TIB). Ziel ist eine Inbetriebnahme in den Jahren 2026/2027. Und wir haben die Zusage der Landesbank Baden-Württemberg für die Finanzierung weiterer Zentren. Zudem wollen wir auch wichtige Intermediäre, teils mit Biberacher Wurzeln, für unseren Beirat gewinnen.

Herr Hertle, vielen Dank für das Gespräch.

Von Hans-Christoph Neidlein

Nikolaus Hertle, Geschäftsführer des ITZ Plus in Biberach/Riß. Foto: ITZ Plus