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Dekarbonisierung 31.10.2023, 14:30 Uhr

Überschussstrom spart Erdgas ein

Mit einem elektrisch beheizten Hochtemperatur-Wärmespeicher lassen sich Prozesswärme und -dampf umweltneutral produzieren. Er kann auch ein Fernwärmenetz bedienen und sogar Kälte speichern und liefern.

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Die Industrie benötigt große Mengen an Prozesswärme.

Foto: PantherMedia/CreativeNature

Wärmespeicher sind bisher vor allem aus solarthermischen Kraftwerken bekannt, etwa von Nevada Solar One nahe Boulder City im amerikanischen Bundesstaat Nevada oder in Spanien. Sie sorgen dafür, dass auch dann Strom erzeugt wird, wenn die Sonne nicht scheint. Tagsüber werden dazu riesige Mengen an Salz auf bis zu 350 °C erhitzt. Nach Sonnenuntergang oder bei bedecktem Himmel wird die Wärme entnommen, um Dampf für einen speziellen Turbogenerator zu erzeugen, speziell, weil normale Anlagen eine weitaus höhere Dampftemperatur benötigen. Sonderanfertigungen sind teuer. Aus diesem Grund sind die Wärmespeicher nur vereinzelt anzutreffen.

Strombezug zu „Spottpreisen“

Das Berliner Unternehmen Lumenion hat deshalb einen völlig anderen Weg eingeschlagen. Es braucht keine solare Wärme, sondern überschüssigen Wind- und Solarstrom, der an der Börse oft zu Spottpreisen zu haben ist. Manchmal gibt es sogar eine finanzielle Belohnung, wenn dieser Strom abgenommen wird. Über eine Widerstandsheizung wird dieser Strom in Wärme umgewandelt und im TES gespeichert, wie das Unternehmen seine Wärmebatterie weltmännisch nennt. TES ist das Kürzel für das Englische thermal energy storage, also thermische Energiespeicherung. Der Wirkungsgrad wird mit „bis zu 95 %“ angegeben. Der wird erreicht, wenn wenig Zeit zwischen der Einspeisung von Wärmeenergie und der Nutzung vergeht.

Pro Tag ein Prozent Verlust

Das System nutzt einen Kern aus billigem Baustahl und eine hocheffiziente Wärmedämmung, um die Energie möglichst lange verlustarm bei einer Temperatur von bis zu 600 °C zu lagern. Der Stahl wird von durchströmendem heißen Gas erhitzt. Pro Tag geht gerade mal 1 % des Energieinhalts verloren, verspricht das Unternehmen. TES ist modular aufgebaut. Jeder Block hat eine Kapazität von 6 MWh. Der Speicher kann in vier bis sechs Stunden vollständig aufgeladen werden, auch bei intermittierendem Betrieb, wie es bei der Nutzung von Überschussstrom üblich ist.

Raffinerien sind potenzielle Kunden

Wenn Strombedarf besteht wird der Entladeprozess eingeleitet. Die gespeicherte Wärme gelangt über den Gaskreislauf zu einem Wärmeübertrager, der Prozesswärme zwischen 150 und 400 °C oder Prozessdampf zwischen 150 und 350 °C erzeugt. Diese Medien werden in zahlreichen Fabriken genutzt, etwa zur Herstellung von Lebensmitteln oder bei der Papierproduktion. Auch Raffinerien haben einen hohen Wärmebedarf, der heute in der Regel durch Erdgas oder Öl gedeckt wird. Der TES trägt also zur Dekarbonisierung der Industrie bei.

Da der TES aus robusten Materialien besteht soll er mehr als 20 Jahre lang halten, ohne an Kapazität einzubüßen. Am Ende seines Lebenszyklus kann er fast vollständig recycelt werden.

Auch eine Rückverstromung ist möglich

Die hohe Temperatur im Speicher würde auch für eine Rückverstromung mit einem Standard-Turbogenerator reichen. Doch dann würde der Wirkungsgrad massiv absinken. Zudem würden die Kosten unwirtschaftlich hoch.

„Mit dem thermischen Energiespeicher steigern Sie die Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit Ihrer Produkte, indem Sie Ihren CO2-Fußabdruck deutlich reduzieren“, wirbt das Unternehmen für seinen TES. „Darüber hinaus können Sie sich langfristig und zuverlässig von steigenden Kosten fossiler Energieträger und der CO2-Bepreisung entkoppeln. Der TES bietet Versorgungssicherheit, unterstützt bei der Abkehr von fossiler Energie und macht erneuerbare Energien zuverlässig nutzbar.“

Klimatisierung auf Umwegen

TES ist auch für die Fernwärme- und sogar die Fernkälteversorgung nutzbar. Der Speicher kann statt Wärme Kälte aufnehmen, die mit Überschussstrom erzeugt wird, und sie bedarfsgerecht auskoppeln, um etwa Gebäude zu klimatisieren.

Von Wolfgang Kempkens

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