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Versorgungssicherheit 05.03.2024, 09:00 Uhr

Druckluft rettet überproduzierten Strom

Bei Ahaus wird ein Speicherkraftwerk gebaut, das erneuerbare Energie, die keine Abnehmer findet, speichert, sodass überproduzierter Strom in Mangelzeiten genutzt werden kann.

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Mithilfe von Druckluft sollen sich überschüssiger Wind- und Solarstrom retten lassen.

Foto: PantherMedia/Frank Peters

Luft, nicht einmal heiße, ist nötig, um eines der größten Ärgernisse im Zusammenhang mit der Erzeugung von Wind- und Solarstrom abzustellen oder zumindest abzumildern: Die Vergeudung von Energie, wenn der Wind zu stark weht oder die Sonne zu kräftig scheint, sodass die Nachfrage geringer als das Angebot ist. Denn dann müssen ganze Kraftwerke vorübergehend stillgelegt werden. Die heutigen Speicher für diesen Überschussstrom, vor allem Pumpspeicherkraftwerke und Batterien sowie Elektrolysespeicher, die Wasserstoff produzieren, reichen bei weitem nicht aus.

Strom retten: Hohlräume in stabilen Salzstöcken

Corre Energy, beheimatet im niederländischen Groningen, will Abhilfe schaffen. Das erst 2018 gegründete Unternehmen baut gleich zwei Druckluftspeicherkraftwerke in der Nähe seines Standorts und in Ahaus im Münsterland. In beiden Fällen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen bereits vorhanden: unterirdische Hohlräume – Kavernen – in stabilen Salzstöcken. Diese lassen sich zum Speichern von Erdgas, Wasserstoff, Öl und eben auch von Luft nutzen.

Premiere vor fast 46 Jahren

Compressed Air Energy Storage (CAES) heißt die prinzipiell gar nicht so neue Technik der Speicherung von Druckluft, um Stromüberschüsse zu nutzen und Strommangel zu beheben. Das erste Kraftwerk dieser Art läuft seit 1978 im niedersächsischen Huntorf. Es hatte ursprünglich die Aufgabe, vor allem nachts Strom aus dem nahe gelegenen Kernkraftwerk Unterweser zu speichern, wenn der Bedarf gering war, um Lücken zu Spitzenzeiten zu stopfen. Dass diese Technik kaum Nachahmer fand, lag an dem schlechten Wirkungsgrad. Gewaltige Wärmemengen, die beim Komprimieren der Luft entstehen, gehen einfach verloren. Umgekehrt muss die Druckluft, die sich beim Verlassen des Speichers extrem abkühlt, mit einem Erdgasbrenner erwärmt werden, ehe sie in die Turbine geleitet wird, damit diese nicht einfriert.

Verlustwärme könnte auch zur Stromerzeugung genutzt werden

Effektiver sind „adiabate“ Druckluftspeicherkraftwerke. Das bedeutet, die Verdichterwärme, die eine Temperatur von bis zu 1 000 °C hat, wird gespeichert, etwa in einem riesigen Betonklotz, flüssigem Salz oder einer Keramikschüttung. Sie wird genutzt, um die Luft, die später aus den Kavernen strömt, zu erwärmen. RWE, General Electric, der Baukonzern Züblin und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hatten Anfang der 2010er-Jahre ein entsprechendes Konzept entwickelt. Die Anlage sollte auf einen Wirkungsgrad von akzeptablen 70 % kommen, während Huntorf lediglich 55 % schafft. In Staßfurt in Sachsen-Anhalt, einem Zentrum des Kalibergbaus, sollte die erste Anlage mit einer Leistung von 90 MW und einer Kapazität von 360 MWh gebaut werden. Doch 2015 stellte RWE das Projekt „mangels konkreter Marktperspektive“ ein.

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Lukrative Preise in Strommangelzeiten

Heute kann ein solches Kraftwerk dagegen zur Goldgrube werden. In Mangellagen wird eingespeister Strom fürstlich bezahlt, mit einem vielfach höheren Preis als der in normalen Zeiten. Und die Aussichten, dass die Preise noch weiter steigen, sind gut, denn es wird immer größere Stromlücken geben, je mehr Wind- und Solarkraftwerke in Betrieb sind. Bei höchster Auslastung, also bei kräftigem Wind und starker Sonneneinstrahlung können beide Kraftwerkstypen schon heute Deutschland ganz oder fast ganz mit Strom versorgen. Entsprechend groß sind die Lücken, wenn Wind und Sonne ausbleiben. Die müssen vor allem mit fossilen Kraftwerken gestopft werden, unter anderem mit neuen Erdgaskraftwerken, die in großem Stil gebaut werden sollen.

Verdichterwärme geht verloren

Die Anlage in Groningen wird eine Leistung von 220 MW haben, aufgeteilt auf vier Teilsysteme. Auf die Speicherung der Verdichterwärme verzichten die Niederländer allerdings, um die Investitionskosten niedrig zu halten. Sie wird über Kühltürme abgeführt, sodass die Luft eine Temperatur von 55 °C hat, wenn sie in der Kaverne ankommt. Um sie später wieder aufzuheizen werden Erdgasbrenner eingesetzt, die später auf grünen Wasserstoff umgestellt werden sollen. 2026 soll das Kraftwerk in Betrieb gehen.

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„Strom-Speicher“ in Ahaus sind fast fertig

Ahaus wird noch eine Nummer größer. Die dortigen vier Salzkavernen, in denen ursprünglich Erdgas gespeichert worden war, sind für das Äquivalent einer elektrischen Leistung von 640 MW ausgelegt. Die Bauarbeiten an den Speichern sind bereits zu mehr als 75 % abgeschlossen. Das niederländische Energieunternehmen Eneco wird 50 % des gesamten Entwicklungs- und Baukapitals für das Projekt zu noch zu vereinbarenden wirtschaftlichen Bedingungen bereitstellen und neben Corre Energy zu 50 % Eigentümer des Projekts sein, wenn es fertig ist. Bis 2027 soll das eigentliche Kraftwerk, das oberirdisch errichtet wird, fertiggestellt werden.

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Von Wolfgang Kempkens