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E-Mobilität 30.06.2023, 10:42 Uhr

Kompakter E-Antrieb für Pkw

Das Konzeptfahrzeugs EVbeat von ZF hat ein neues Thermomanagementsystem, das die Reichweite im Winter um ein Drittel steigern soll.

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Bis zu ein Drittel mehr Reichweite im winterlichen Realbetrieb: ZF hat sein E-Antriebspaket EVSys800 mit Thermomanagement und Software im Konzeptfahrzeug EVbeat auf hohe Effizienz getrimmt.

Foto: ZF

ZF stellt auf seinem Global Technology Day in Friedrichshafen das elektrische Konzeptfahrzeug EVbeat vor, das auf hohe Kompaktheit, niedriges Gewicht und maximale Effizienz im Realbetrieb ausgelegt ist. Wie das Unternehmen ausführt, sind in dem Konzeptfahrzeug die Komponenten eines E-Antriebstrangs optimiert und zu einem ganzheitlichen System zusammengefasst. Dazu zählen der kompakte Antrieb, mit einem Gewicht von 74 kg und einer Drehmomentdichte von 70 Nm/kg, ein ganzheitliches Thermomanagement sowie Cloud-vernetzte Antriebssoftware. Bei kalten Temperaturen um den Gefrierpunkt steige die Reichweite im Realbetrieb um bis zu einem Drittel im Vergleich zu heute gängiger Technik.

Potenzial zukunftiger Komponenten aufzeigen

„Nachhaltige Mobilität ist Kern unserer Unternehmensstrategie“, erklärt Stephan von Schuckmann, Vorstandsmitglied von ZF und unter anderem verantwortlich für elektrifizierte Antriebssysteme. „Auf der Grundlage eines heute schon effizienten Serienfahrzeugs zeigen wir, welche Potenziale künftige E-Antriebskomponenten bieten, wenn wir sie zu einem noch effizienteren Gesamtsystem kombinieren.“

Das ZF-Konzeptfahrzeug EVbeat baut auf einem Porsche Taycan auf und nimmt führende Serientechnik von ZF und anderen Marktteilnehmern als Maßstab.

„Unser Ziel war es, diesen Antrieb bei hoher Fahrdynamik so kompakt und leicht wie möglich zu machen und die Reichweite im realen Betrieb zu erhöhen“, sagt Dr. Otmar Scharrer, Entwicklungsleiter für elektrische Antriebssysteme bei ZF. „Bei der Drehmomentdichte stehen wir ganz oben auf dem Treppchen, wenn wir uns mit derzeit auf dem Markt erhältlichen E-Antrieben für Pkw vergleichen. Zugleich haben wir bei der Entwicklung stark auf den Aspekt Nachhaltigkeit geachtet.“ Der E-Motor komme ohne schwere Seltene Erden und das Thermomanagementsystem ohne fluorhaltiges Kältemittel aus. Die geringere Anzahl von Bauteilen und das um rund ein Drittel reduzierte Systemgewicht bei E-Antrieb und Thermomanagement tragen gleich doppelt zu mehr Nachhaltigkeit bei – und zwar bei der Herstellung wie auch im Betrieb, führt das Unternehmen aus.

Kompakter und leichter 800-Volt-Antrieb

Der EVSys800 ist laut ZF ein modular aufgebauter 800-Volt-Antrieb und besteht aus einer Siliziumkarbid-Leistungselektronik, dem E-Motor und einem Reduziergetriebe. Dem Konzeptfahrzeug steht an der Hinterachse ein maximales Drehmoment von 5.200 Nm zur Verfügung – und das mit einer hohen Drehmomentdichte für Pkw mit Straßenzulassung von 70 Nm pro Kilogramm Antriebsgewicht. Die Dauer- und Spitzenleistung des E-Motors liegen bei 206 oder 275 kW – ZF erziele somit Dauerleistungen von rund 75 % der Spitzenleistung.

Die neue Generation des E-Antriebs EVSys800 von ZF hat eine Leistungsdichte von 70 Newtonmetern pro Kilogramm Antriebsgewicht.

Foto: ZF

Bei den Abmessungen spare der Antrieb durch das kompakte Reduziergetriebe und die von ZF patentierte „Braided-Winding“-Wicklungstechnologie des E-Motors 50 mm Bauraum in der Breite ein und ermöglicht so einen platzsparenden, koaxialen Einbau auf der Antriebsachse.

Mit einem Gesamtgewicht von 74 kg ist EVSys800, normiert auf die gleiche Leistung wie der neueste ZF-800-Volt-Serienantrieb, rund 40 kg oder ein Drittel leichter und trägt damit deutlich zu den Gewichtseinsparungen des Konzeptfahrzeugs bei.

ZF entwickelt E-Motoren mit neuen Kühlkonzepten und neuer Wicklungstechnologie. Das Bild zeigt den Stator mit der neuen Wicklung.

Foto: ZF

Wesentlich dafür ist den Angaben zufolge der E-Motor mit einem neuen Kühlkonzept und einer neuen Wicklungstechnik. Zur Kühlung lässt ZF Öl direkt die Kupferstäbe umfließen – genau an der Stelle, an der die meiste Wärme während des Betriebs entsteht. Eine solch hocheffiziente Kühlung erhöht die Performance bei gleichem Gewicht und Einbauraum deutlich. So könne außerdem auf den Einsatz schwerer Seltener Erden verzichtet und der E-Motor somit nachhaltiger produziert werden. Die von ZF entwickelte und patentierte „Braided-Winding“-Wicklungstechnik, eine Weiterentwicklung der sogenannten Wellenwicklung, ermöglicht einen insgesamt 10 % kleineren Bauraum. Allein der Wickelkopf wird dabei bis zu 50 % kleiner als bei herkömmlichen Ansätzen. Damit werden rund 10 % Kupfer gespart.

Der Wechselrichter des E-Antriebs wurde grundlegend neugestaltet. Dabei wurden alle wesentlichen Baugruppen grundlegend überarbeitet. Bei der elektromagnetischen Verträglichkeit, den Leistungsmodulen und den Kondensatoren wurde jeweils eine deutliche Verbesserung in Bezug auf Bauraum, Gewicht und Nachhaltigkeit erzielt.

Der Wechselrichter mit Siliziumkarbid-Technologie für den E-Antrieb EVSys800 wurde grundlegend neugestaltet. Weiterentwickelt wurden elektromagnetische Verträglichkeit, Leistungsmodule und Kondensator.

Foto: ZF

Ein neues, koaxiales Reduziergetriebe überträgt die Antriebskräfte der E-Maschine über zwei Planetensätze. Sie erzeugen nicht nur die gewünschte Achsübersetzung, sondern übernehmen auch die voll integrierte Differenzialfunktion. Im Vergleich zu gängigen Offset-Konzepten, bei denen sich Antrieb- und Abtriebswelle nicht in der gleichen Achse befinden, sinken bei der koaxialen Lösung Gewicht und Bauraumbedarf, so ZF. In Kombination mit der „Braided-Winding“-Technologie könne dieser Antrieb deutlich kürzer gebaut werden, was die Installation in fast alle Fahrzeugbauräume ermöglicht.

Ein neues, koaxiales Reduziergetriebe überträgt die Antriebskräfte der E-Maschine über zwei Planetensätze. Sie erzeugen nicht nur die gewünschte Achsübersetzung, sondern übernehmen auch die voll integrierte Differenzialfunktion.

Foto: ZF

„Mit diesem System können wir die Hauptanforderungen unserer Kunden, nämlich Effizienz, Performance und Kosten, perfekt erfüllen“, sagt Dr. Otmar Scharrer. Ab 2026 werden die ersten Technologien des neuen ZF-Antriebs am Markt verfügbar sein.

Thermomanagement: Antrieb und Gesamtfahrzeug effizient temperieren

Das Temperieren eines Fahrzeugs kann im Winter einen signifikanten Anteil des Leistungsbedarfs ausmachen, der insbesondere beim Aufheizen zwischen 3 bis 6 kW liegen kann. Angenehme Kühle im Sommer und Wärme im Winter sind ein großer Komfortfaktor für die Insassen. Auch für die Performance des E-Motors, der Leistungselektronik und der Batterie ist die richtige Temperatur ein wesentlicher Faktor.

In das EVbeat-Konzeptfahrzeug ist das erste von ZF entwickelte zentrale Thermomanagementsystem (TherMaS) für E-Fahrzeuge integriert. TherMaS steuert laut ZF mit einer zentralen Einheit und intelligenter Software alle thermischen Vorgänge für Antrieb, Batterie und Fahrgastraum. Das neue Design senke Platzbedarf und Gewicht deutlich im Vergleich zu bisherigen Ansätzen für Kühlung und Heizung von E-Pkw. Aufgrund einer propanbasierten 800-Volt-Wärmepumpe benötige man zudem deutlich weniger Energie. Weil es kompakt und einfach aufgebaut sei, lasse es sich leicht in Fahrzeuge integrieren.

Das erste von ZF entwickelte Thermomanagementsystem (TherMaS) steigert im winterlichen Realbetrieb die Reichweite des Elektrofahrzeugs um bis zu ein Drittel. Es temperiert nicht nur den Antriebsstrang mit E-Motor, Wechselrichter, Batterie und Spannungswandlung, sondern auch den Fahrzeuginnenraum.

Foto: ZF

Das TherMaS-Konzept verfügt erstmals über drei ausgewiesene Kreisläufe: Im Zentrum befindet sich der sehr kleine Kältemittelkreislauf. Dieser ist vorbefüllt und hermetisch geschlossen und deshalb wartungsfrei. Zudem besitzt das Konzept keine Schnittstellen zu anderen Fahrzeugbereichen wie dem Innenraum. ZF nutzt das fluorfreie, natürliche Kältemittel Propan. Obwohl nur die Hälfte des bisherigen Kältemittelvolumens eingesetzt wird, steigt die Kühlleistung um den Faktor 2 im Vergleich zu heute gängigen Kältemitteln. Der zentrale Kältemittelkreislauf bedient bei Bedarf zwei separat steuerbare Kühlkreisläufe, in denen wie üblich frostgeschütztes Wasser fließt: Der erste ist auf die vergleichsweise hohen Temperaturen der E-Maschine ausgelegt, der zweite temperiert die Leistungs- und Ladeelektronik. Die Steuerungssoftware regelt die bedarfsgerechte Kühlleistung.

Aufgrund dieses gesamthaften Thermomanagements steigt die Reichweite des EVbeat im anspruchsvollen Winterbetrieb um bis zu einem Drittel, führt ZF aus. Die deutlich bessere Kühlperformance mache die höhere Dauerleistung der E-Maschine möglich.

Antriebssoftware: Fahrzeugantrieb und Cloud effizient vernetzen

Die Eigenschaften der Hardwaresysteme legen einen wichtigen Grundstein für den nachhaltigen Betrieb des Fahrzeugs, deren optimale Orchestrierung erfolgt über die Software. ZF hat nach eigenen Angaben eine Antriebssoftware entwickelt, die alle relevanten Fahrzeugsysteme untereinander vernetzt und die Verbindung in die ZF-Cloud herstellt.

Weil die Effizienz eines E-Motors von seinen thermischen Betriebspunkten abhängt, ist es wichtig, diese stets im optimalen Bereich zu halten: Bei niedrigen Geschwindigkeiten und hohem Drehmomentbedarf liegt der optimale thermische Betriebspunkt sehr niedrig, während bei hohen Geschwindigkeiten mit niedrigem Drehmomentbedarf hohe Temperaturen kein Problem darstellen. Die thermischen Verhältnisse lassen sich allerdings nicht kurzfristig herstellen. Die Antriebssoftware von ZF kann aus den individuellen Fahrprofilen vorausschauend die optimalen Betriebspunkte ableiten und das System entsprechend darauf vorbereiten. Sie „lernt“ das Verhalten der Fahrerinnen und Fahrer und kann durch einen KI-basierten Cloudservice die Wahrscheinlichkeit für individuelle Fahrprofile vorwegnehmen. So werden zum Beispiel bei erkannter Kurzstrecke die Klimatisierung und Systemkühlung reduziert.

Auf dieser Grundlage kann das Assistenzsystem den Fahrerinnen und Fahrern auch direkte Hinweise für eine effiziente Nutzung des Elektrofahrzeugs geben. Angezeigt werden beispielsweise effizientes Beschleunigen und Verzögern sowie eine optimierte Maximalgeschwindigkeit. Das ist laut ZF insbesondere wertvoll, wenn es darum geht, vor der Fahrt eine ebenso genaue wie praxisnahe Reichweite zu errechnen, die dann auch verlässlich eingehalten wird.

Von ZF/Udo Schnell