Vergaberecht 08.10.2025, 15:06 Uhr

Gerichtsentscheid: Materialvorgaben nicht zulässig

Deutsche Vergabeordnungen sehen vor, dass bestimmte Produkte grundsätzlich nicht ausgeschrieben werden dürfen. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass dies auch für Materialvorgaben gilt.

PantherMedia D5856404

Foto: Panthermedia / discovery (YAYMicro)

Was war geschehen? Ein belgischer öffentlicher Auftraggeber schrieb die Errichtung und Erneuerung von Abwasserkanälen aus, wobei für Schmutzwasserkanäle nur Steinzeugrohre und für Regenwasserkanäle nur Betonrohre verwendet werden durften. Ein Unternehmen, das Kunststoffrohre für Schmutz- und Regenwasserkanäle herstellt und anbietet, sah darin einen Verstoß gegen Artikel 18 (Gleichbehandlung) und Artikel 42 (Technische Spezifikationen) der europäischen Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR) sowie die Normen, mit denen diese Regelungen in belgisches Recht umgesetzt worden sind. Das Unternehmen rügte die Vorgehensweise und forderte den Auftraggeber insbesondere auf, die Materialwahl zu begründen. Der Auftraggeber hat die Rüge zurückgewiesen. Das belgische Gericht legte dem Europäischen Gerichtshof Fragen vor.

Nationaler Gesetzgeber darf strengerer Regelungen vorgeben

Der Europäische Gerichtshof hat zu den Fragen Stellung genommen (Urteil vom 16. 1. 2025 – Rs. C-424/23). Zunächst stellt das Gericht fest, dass die in Artikel 42 Absatz 2 und Absatz 3 VKR (entspricht Paragraf 7a [EU] Absatz 1 und Absatz2 VOB/A) enthaltenen Vorgaben, wie die Leistung zu beschreiben ist, abschließend sind. Der Auftraggeber muss die Leistung entweder in Form von Leistungs- und Funktionsanforderungen oder unter Bezugnahme auf Technische Spezifikationen oder in einer Kombination dieser Methoden beschreiben. Der Europäische Gerichtshof hebt hervor, dass eine Rangfolge zwischen den Methoden nicht bestehe.

Daraus wird zum Teil gefolgert, dass der in den Paragrafen 7b und 7c (EU) VOB/A formulierte Vorrang der Ausschreibung mit Leistungsverzeichnis gegenüber der Ausschreibung mit Leistungsprogramm („Funktionalausschreibung“) europarechtswidrig sei. Das scheint mir aber keine zwingende Folgerung aus dieser Entscheidung zu sein, da die Begrifflichkeit der VKR eine andere als die der VOB/A ist und zudem der nationale Gesetzgeber strengere Regelungen vorgeben darf als die europäischen Richtlinien.

Grundsätzlich Verweis auf bestimmte Materialien nicht zulässig

Weiter stellt der Gerichtshof fest, dass es grundsätzlich einen Verstoß gegen die genannten Regelungen der VKR darstelle, wenn der Auftraggeber bestimmte Materialien vorgebe. Der Auftraggeber müsse die erforderlichen Eigenschaften eines Produkts angeben, damit dieses den vom Auftraggeber beabsichtigten Zweck erfüllt. Dazu verfügen die Auftraggeber über ein weites Ermessen, weil sie die erforderlichen Anforderungen, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen, am besten kennen. Eine Grenze liege aber darin, dass technische Spezifikationen allen Wirtschaftsteilnehmern den gleichen Zugang zu den Vergabeverfahren gewähren und die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern dürfen (Artikel 42 Absatz 2 VKR, entsprechend Paragraf 7a [EU] Absatz 1 VOB/A und Artikel 18 Absatz 1 VKR entsprechend Paragraf 2 [EU] Absätze 1, 2 VOB/A).

Unter Hinweis auf das Verbot, bestimmte Produkte vorzugeben (Artikel 42 Absatz 4 VKR, entsprechend Paragraf 7 [EU] Absatz 2 VOB/A) legt der Gerichtshof dar, dass ein Verweis auf bestimmte Materialien grundsätzlich nicht zulässig sei, da dadurch der Wettbewerb zwischen Unternehmen beschränkt werde. Die Materialvorgabe sei dann, wenn es Produkte aus unterschiedlichen Materialien gebe, keine (zulässige) Leistungs- oder Funktionsanforderung, sondern (unzulässiger) Verweis auf einen „Typ“ oder eine „bestimmte Produktion“, wodurch bestimmte Unternehmen oder Waren begünstigt oder ausgeschlossen werden. Der Verweis kann zum Ausschluss von Unternehmen führen, die Waren aus einem anderen als dem verlangten Material anbieten. Das gilt auch dann, wenn es mehrere im Wettbewerb miteinander stehende Unternehmen gibt, die die Materialvorgabe erfüllen können, da Anbieter anderer Materialien diskriminiert werden (Verstoß gegen Paragrafen 2 [EU] Abs. 2 und 7a [EU] Abs. 1 VOB/A).

Ausnahmen für Materialvorgaben:

Eine zwingende Materialvorgabe ist dann ausnahmsweise zulässig, wenn sich die Verwendung dieses Materials zwangsläufig aus dem Auftragsgegenstand ergibt. Das ist vor allem dann der Fall, wenn technisch nur ein Material (oder bestimmte Materialien) in Frage kommen und andere nicht verwendet werden können, da keine auf einer anderen technischen Lösung beruhende Alternative in Betracht kommt. Eine Materialvorgabe kann auch gerechtfertigt sein, wenn aus optischen Gründen ein bestimmtes Material erforderlich ist, wobei diese Anforderung sachlich nachvollziehbar sein muss. In anderen Fällen ist einer Materialnennung nach den Vorgaben des Gerichtshofs zwingend der Zusatz „oder gleichwertig“ hinzuzufügen. Das Gericht ist in diesem Punkt nicht ganz deutlich. Meines Erachtens darf ein Material auch mit diesem Zusatz nicht genannt werden, wenn der Auftraggeber die geforderten Eigenschaften technisch beschreiben kann; nur wenn dies nicht möglich ist, darf „Material X oder gleichwertig“ ausgeschrieben werden. Die Entscheidung ist – wie sich aus den Bezugnahmen auf die VOB/A ergibt – auch für Deutschland relevant. Ingenieure müssen darauf achten, dass keine bestimmten Materialien im Leistungsverzeichnis vorgegeben werden, wenn nicht eine Ausnahme greift.

Von Dr. Reinhard Voppel, Rechtsanwaltskanzlei Osenbrück, Bubert, Kirsten, Voppel, Köln

Zu unseren Newslettern anmelden

Das Wichtigste immer im Blick: Mit unseren beiden Newslettern verpassen Sie keine News mehr aus der schönen neuen Technikwelt und erhalten Karrieretipps rund um Jobsuche & Bewerbung. Sie begeistert ein Thema mehr als das andere? Dann wählen Sie einfach Ihren kostenfreien Favoriten.

Zu unseren Newslettern anmelden

Das Wichtigste immer im Blick: Mit unseren beiden Newslettern verpassen Sie keine News mehr aus der schönen neuen Technikwelt und erhalten Karrieretipps rund um Jobsuche & Bewerbung. Sie begeistert ein Thema mehr als das andere? Dann wählen Sie einfach Ihren kostenfreien Favoriten.