Agri-Photovoltaik: Riesiges Flächenpotenzial in Deutschland
Forschende des Fraunhofer ISE haben analysiert, wo deutschlandweit Agri-Photovoltaik zum Einsatz kommen könnte. Potenzial ist demnach für ein Vielfaches der für die Klimaneutralität Deutschlands im Jahr 2045 benötigten Menge vorhanden.

Die über Apfelbäumen auf dem Obsthof Bernhard in Kressbronn am Bodensee gebaute Agri-PV-Anlage ist Teil des Forschungsprojekts "Modellregion Agri-Photovoltaik Baden-Württemberg". Innerhalb des Projekts soll das Konzept der Agri-Photovoltaik mit einem Schwerpunkt auf Kern- und Beerenobst in Baden-Württemberg im Detail untersucht werden.
Foto: Fraunhofer ISE
In mehreren Studien hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE das Flächenpotenzial für Agri-Photovoltaik (Agri-PV)– die Kombination von landwirtschaftlicher Nutzung mit Solarstromerzeugung – für ganz Deutschland erhoben. Erstmals wurden dabei alle Arten landwirtschaftlicher Flächen betrachtet und in einem Entscheidungsprozess mit einer Vielzahl unterschiedlicher Kriterien optimale Standorte identifiziert. Bereits auf den am besten geeigneten Flächen könnten demnach 500 Gigawatt Peak Solarleistung installiert werden.
Kriterium 1: geografische Faktoren
Basis der aktuellen Studien des Fraunhofer ISE sind geografische Informationssysteme, deren Flächendaten nach zwei Kriterienkatalogen bewertet wurden. In einem mehrstufigen Verfahren wurden die optimalen Standorte identifiziert. „Es ist die erste Studie in Deutschland, die für die Identifikation geeigneter Standorte alle Arten landwirtschaftlicher Flächen betrachtet, also Dauergrünland, Ackerfläche und Dauerkulturen wie Obstbau, Wein oder Beeren“, berichtet Studienautorin Salome Hauger.
Der Kriterienkatalog berücksichtigt geografische Faktoren sowie rechtliche und behördliche Anforderungen und erfasst das regulatorische und technisch mögliche Potenzial. Er unterscheidet dabei zwei Szenarien:
- Szenario 1 schließt Flächen aus, die wegen harter Restriktionen wegfallen, beispielsweise Naturschutzgebiete.
- Szenario 2 schließt Flächen nach harten und weichen Restriktionen (beispielsweise Flora-Fauna-Schutzgebiete) aus, und ist daher das naturschutzfreundlichere.
In der Potenzialanalyse ergeben sich für Szenario 1 7.900 Gigawatt Peak und für Szenario 2 5.600 Gigawatt Peak installierbare Photovoltaik-Kapazität – ein Vielfaches der für die Klimaneutralität Deutschlands im Jahr 2045 benötigten Menge.

Das Potenzial für Agri-Photovoltaik der einzelnen Bundesländer: Technisch machbar, beziehungsweise unter Einbezug regulatorischer Vorgaben (Szenario 1: Ausschluss von Naturschutzgebieten, Szenario 2: zusätzliche Verordnungen zum Landschaftsschutz). Grafik: Fraunhofer ISE
Kriterium 2: politischwirtschaftliche und agrarökonomische Kriterien
Der zweite Kriterienkatalog umfasst politisch-wirtschaftliche und agrarökonomische Eignungskriterien, um besonders geeignete Standorte zu finden. In diesem Schritt wurde betrachtet, welche Flächen besonders geeignet sind, etwa aufgrund der Solareinstrahlung, des vorhandenen Netzeinspeisepunkts oder weil Dauerkulturen wie Wein oder Obst besonders von Synergieeffekten profitieren.
Um eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu schaffen, führten Expertinnen und Experten aus Landwirtschaft, Wissenschaft, von Verteilnetzbetreibern und Projektierungsbüros eine Gewichtung der Kriterien durch. Im Ergebnis wurde ein Bodeneignungsindex berechnet, um die Gebiete in fünf Eignungsklassen einzuordnen, von am besten bis am wenigsten geeignet. „Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist die Rolle des Netzausbaus: Das Fehlen von Netzanschlusspunkten ist für viele Flächen ein einschränkender Faktor“, so Studienautorin Hauger.
Lokale Ebene: Potenzialbetrachtung für Landkreise
Nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch lokal lässt sich mit Hilfe von Geoinformationssystem-basierten Analysen das Potenzial für Agri-PV bis auf die einzelne Parzelle berechnen. Dazu arbeiten die Forschenden des Fraunhofer ISE mit Landkreisen zusammen und beziehen Netzdaten der lokalen Verteilnetzbetreiber mit ein. So untersuchte man im Projekt „AgriChance“ die ländlichen Gebiete des Stadtstaates Hamburg. Im Rahmen von drei Szenarien wurden die identifizierten Flächen unter techno- und agrarökonomischen Gesichtspunkten klassifiziert. Demnach sind insbesondere Dauerkulturen im Alten Land und in den Vier- und Marschlanden (bis zu 620 Hektar) optimal geeignet. Auch das Potenzial für Gewächshäuser sei vielversprechend. Hier könnten den Auswertungen zufolge auf 160 Hektar bestehenden Gebäuden fast 50 Megawatt Peak installiert werden.
In einer weiteren Studie für die Landkreise Ahrweiler und Breisgau-Hochschwarzwald berücksichtigte das Forschungsteam verschiedene Faktoren wie Raumplanungsdaten, reale Rasterdaten und Fruchtfolgen. Die Ergebnisse zeigen ein beträchtliches Potenzial für Agri-PV in beiden Landkreisen. Die am besten geeigneten Flächen können mit potenziellen Anlagen 16 Prozent beziehungsweise zwölf Prozent des derzeitigen Energieverbrauchs der Landkreise erzeugen.
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