Privatisierung von Nord Stream 2 im Gespräch
Ab 2028 will die EU kein Gas mehr aus Russland importieren. Zudem kursiert die Absicht eines amerikanischen Investors, Nord Stream 2 kaufen zu wollen. Doch wie realistisch ist es tatsächlich, dass ab 2028 kein Brennstoff aus Sibirien und der Barentssee in deutsche Wohnungen fließt?

Bovanenkovo-Gasfeld in Westsibirien.
Foto: Nord Stream 2 AG
Wie ist die Ausgangslage? An Nord Stream 1 ist zu 51 Prozent der russische Staatskonzern Gazprom beteiligt. Die restlichen Anteile halten Wintershall Dea, PEG Infrastruktur AG (E.ON), N.V. Nederlandse Gasunie und der französische Energieversorger Engie SA. Nord Stream 2 hingegen ist zu 100 Prozent Eigentum der Nord Stream 2 AG, die wiederum dem russischen Staatskonzern Gazprom gehört. Die Ausgangspunkte der vier Stränge beider Unterwasser-Pipelines liegen im Finnischen Meerbusen in der Nähe von St. Petersburg. Dort tauchen sie nach ihrer Landetappe, unter anderem aus Sibirien, in den meist eisfreien Häfen Vyborg und Ust-Luga (Nord Stream 2) in die Ostsee ein. Nord Stream 1 liefert Gas aus der Barentssee östlich der Halbinsel Kola, Nord Stream 2 (geplant) aus dem Bovanenkovo-Gasfeld in Westsibirien.

Verlauf von Nord Stream 1 und 2: Anbindungsleitung OPAL zur Übergabestation an die Fernleitungspipeline Jamal im sächsischen Obernhau (7) und NEL Norddeutsche Erdgasleitung zur Verdichterstation (100 bar) und Gasspeicheranlage Rehden (8). Grafik: Bundesnetzagentur
Über weite Strecken verlaufen die Stahlrohre mit einer speziellen Innen- und Außenbeschichtung parallel zueinander auf dem Meeresboden bis Lubmin bei Greifswald. Das Ostseebad war schon zu DDR-Zeiten ein Energie-Hotspot. 50 Jahre tat dort das jetzt stillgelegte Kernkraftwerk Lubmin Dienst.
In Rehden treffen die fünf wichtigsten Gasleitungen Deutschlands zusammen: NEL (Nordeuropäische Erdgasleitung), RHG (Rehden – Hamburg – Anbindungsleitung), Midal Mitte und Nord (Mitte-Deutschland-Anbindungsleitung), Nowal (Nord-West-Anbindungsleitung) und das Nowega-Leitungsnetz.
Bundesnetzagentur: Versorgungslage ist stabil
Nord Stream 1 nahm im November 2011 den Betrieb auf. Nord Stream 2 kam zehn Jahre später in Lubmin an, blieb aber trocken: Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz stoppte im Februar 2022 aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine das Genehmigungsverfahren. Im Juli 2022 stellte daraufhin die Gazprom die Versorgung ebenfalls über die ältere der beiden Trassen ein. Drei der vier Stränge zerstörte zudem Ende September 2022 ein Anschlag durch Sprengungen. Die Energieversorgung in den an Nord Stream angeschlossenen Ländern Deutschland, Finnland, Schweden und Dänemark blieb aber stabil. In Deutschland kompensierten die milden Winter sowie der Ausbau der Erneuerbaren die russischen Verluste und die Niederlande, Belgien und Norwegen sprangen ein. Des Weiteren decken heute Flüssiggas-LNG-Importe aus Katar, den USA und Algerien eventuelle Defizite.
Sorgen muss sich der Bundesbürger nicht machen, sagt auch die Bundesnetzagentur. Es sei jedoch weiterhin wichtig, sparsam mit Gas umzugehen, da Restrisiken bestünden. Die Behörde beobachtet die Situation und hat ein neues Frühwarnsystem eingerichtet. Anhand von fünf Indikatoren beurteilt sie die Lage: Außentemperatur, Gasverbrauch, Füllstände in den Speichern, Situation in den Nachbarländern – muss Deutschland trotz knapper Reserven einen in Not geratenen Anrainer auf Grund vertraglicher Verpflichtungen beliefern?
Als fünfter Indikator kontrolliert die Bundesnetzagentur die Bereitstellung von Regelenergie. Gelingt es im drohenden Ernstfall nicht, ausreichend Regelenergie zu beschaffen, tendiert die Versorgung in Richtung „kritisch“, dem ungünstigsten Fall in der Bewertung. Die unterscheidet die drei Stufen „stabil“, „angespannt“ und „kritisch“. Aktuell beruhigt die Netzagentur die Bevölkerung mit „stabil“. Sollten sich die Indikatoren von „stabil“ zu „angespannt“ oder „kritisch“ verändern, wird die Öffentlichkeit informiert, ohne dass dies automatisch zu einer Gasrationierung führt.
Erdgastransport zu Lande statt zu Wasser
Nun soll es ohnehin mit dem Gaszeitalter bald vorbei sein. Die EU-Kommission hat ein Gesetz vorgeschlagen, das sämtliche Gasimporte aus Russland bis spätestens Ende 2027 beenden will. Denn noch importieren die EU-Länder trotz der geschlossenen Nord Stream-Ventile einen Teil ihres Brennstoffs aus russischen Feldern. „Transgas“ ist ein Pipelinesystem, das über die Ukraine, die Slowakei und Tschechien nach Deutschland führt. Die Erdgasleitung „Jamal“ verbindet die namensgebende sibirische Halbinsel mit Osteuropa und endet ebenfalls in Deutschland. „Turkstream“ verzogen die Wasserbauer in über 2.000 Metern Tiefe im Schwarzen Meer. Zu den Mengen, die über diese Stränge kommen, addieren sich noch russische LNG-Lieferungen. Total hat die Bundesrepublik indes den Bezug aus der ehemaligen Sowjetunion bereits halbiert. Ein rigoroses Canceln ist auf Grund harter Lieferverträge jedoch nicht möglich.
Heizen Deutschland und willige EU-Länder ab 2028 tatsächlich nicht mit russischem Erdgas? Wer auch immer dahinter steht, Trump, Musk, Putin oder irgendwelche Oligarchen, jedenfalls hat der russische Außenminister Lawrow kürzlich kursierende Gerüchte bestätigt, wonach ein US-amerikanischer Investor von Gazprom Nord Stream 2 kaufen will.
Wer will Nord Stream 2 kaufen und warum?
Die Leitung ist zwar nach den Anschlägen beinahe Schrott, doch mit Schrott-Logistik – veraltete Tanker – erzielt Russland hohe Gewinne. Es heißt, mit dem Kaufvertrag wolle man Teile der Brüche in den Handelsbeziehungen mit den USA wieder einrenken, was indirekt einem Kriegsende in der Ukraine zugutekommen soll. Tatsächlich hätte man damit einen Bypass am EU-Lieferstopp vorbei. Wenn der Anleger nicht nur das Transportnetz, sondern auch eingespeistes Erdgas von der Gazprom bezieht und der EU anbietet, ist es dann russisches Erdgas oder amerikanisches? Müssen unsere Lieferländer sagen, woher ihr Erdgas stammt, aus heimischen Quellen oder importiert? Oder zweite Eventualität: Wie weit gibt die Union nach, wenn Trump Druck ausüben sollte, russisches Erdgas zu akzeptieren? Was heißt das für die Erneuerbaren? Inwieweit bremst ein Abkommen zwischen den beiden Staaten deren Ausbau ein?
Die Schattenflotte, offiziell im Besitz von Eigentümern mehrheitlich außerhalb der EU, in Wirklichkeit von Russland gekauft, transportiert russische Erdölprodukte unter fremder Flagge unter anderem nach Italien und Frankreich. Damit unterlaufen diese Verschiffungen die Sanktionen. Die Privatisierung der Gaspipeline könnte der erste Schritt zu einem ähnlichen Zweck sein, nämlich einer Umgehung des beabsichtigten Erdgasembargos. Eigentlich kann nur eine hohe CO2-Bepreisung dem entgegenwirken.
Dipl.-Ing. Bernd Genath, Fachjournalist mit Büro in Düsseldorf.