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Serie Optische Fernmessverfahren 23.03.2022, 09:00 Uhr

Luftreinhaltung: Gasüberwachung von Chemieanlagen mittels FTIR-Fernerkundung

Im zweiten Teil unserer Serie zu den optischen Messverfahren wird die FTIR- Fernerkundung vorgestellt. FTIR-Spektrometer sind Messgeräte, die als eine weit verbreitete Standardtechnologie in Laboren zur Identifizierung von verschiedensten chemischen Verbindungen eingesetzt werden. Auch für die Fernüberwachung großer Anlagen lässt sich diese Technologie in der Praxis einsetzen. Schon geringste Mengen von Gasen (z. B. Ammoniak), klimaaktiven Stoffen (z. B. Methan) sowie hunderten weiteren potenziell giftigen oder brennbaren Stoffen können unter allen typischen Überwachungsbedingungen und aus großen Entfernungen gemessen und quantifiziert werden. In Echtzeit kann bei Erkennung kleinster Stoffaustritte ein Alarm ausgelöst und die Ausbreitung von emittierten Gaswolken verfolgt werden. Eine industrietaugliche Überwachungslösung zur optischen Detektion kleinster Gasmengen aus großen Entfernungen ist z. B. das scanfeld®-System.

Bild 1 Die FTIR-Sensor-Einheit überwacht eine Chemieanlage. Foto: Grandperspective

Bild 1 Die FTIR-Sensor-Einheit überwacht eine Chemieanlage.

Foto: Grandperspective

Die FTIR-Fernerkundung von Gasen beruht auf der Spektralanalyse der Infrarotstrahlung aus den abgetasteten Blickrichtungen, die Absorptions- oder Emissionssignale von Molekülen einer Gaswolke enthalten kann. Während konventionelle Gassensoren das Gasmolekül aufnehmen müssen (wie eine Nase), gleicht das Messprinzip des scanfeld®-Sensors eher dem Auge, wobei nicht im sichtbaren sondern im IR-Spektralbereich und damit unabhängig von der Tageszeit gearbeitet wird. Die Infrarotstrahlung stammt hierbei aus unterschiedlichen natürlichen Strahlungsquellen wie dem Hintergrund in Blickrichtung (z. B. von Gebäuden oder dem Himmel), der Atmosphäre zwischen dem Messgerät und dem Hintergrund sowie der Gaswolke selbst. Die meisten Gase der Atmosphäre sowie fast alle gasförmigen Schadstoffe haben eine charakteristische spektrale Signatur im infraroten Spektralbereich durch energetische Übergänge zwischen verschiedenen Schwingungs- und Rotationszuständen der Moleküle und der daraus resultierenden Absorption bzw. Emission von Infrarotstrahlung.

Wie wird eine Gaswolke visualisiert?

Die Intensität dieser Signaturen hängt von der Struktur der Moleküle und ihrer Konzentration entlang des optischen Weges ab. Auf diese Weise kann ein großer dynamischer Bereich typischerweise bis hinunter in den einstelligen ppm-Bereich gemessen werden. Unter Berücksichtigung der Signaturen aller Stoffe, die zum Signal beitragen, kann die Säulendichte (d. h. das Produkt aus Konzentration und Weglänge, ppm·m) der Zielverbindung bestimmt werden. Überlagert man die Ergebnisse über ein Videobild, wird die Gaswolke visualisiert.

Selbst aus großer Entfernung, bis hin zu Kilometern, kann eine Gaswolke erkannt werden. Während mit einer einzelnen Sensoreinheit ein zweidimensionales Abbild erzeugt wird, kann bei Verwendung von zwei oder mehr Sensoreinheiten die dreidimensionale Ausdehnung einer Wolke, sowie ihre Konzentrationsverteilung mittels Triangulation und tomographischer Rekonstruktion bestimmt werden (Bild 1).

Giftige oder brennbare Gase können erfasst werden

Das hier vorgestellte FTIR-System tastet vordefinierte Scanbereiche automatisch in einer programmierten Reihenfolge Punkt für Punkt ab. Mit wenigen Sensoreinheiten lassen sich große Anlagenbereiche flächendeckend überwachen. Die gemessenen Spektren werden vollautomatisch verarbeitet und die Gasdetektionen der Videodarstellung überlagert. Im normalen Betriebsmodus ist das Scanmuster für einen schnellen Umlauf optimiert, um den Zustand der Anlage innerhalb von Minuten zu erfassen. Das Scan-Muster ist spezifisch für den Umfang der Anlage mit einer freien Definition von Scan-Geschwindigkeit und räumlicher Auflösung. So kann die Überwachung von Bereichen, in denen hochgiftige oder brennbare Gase freigesetzt werden können, auf Geschwindigkeit optimiert werden, während die Überwachung großer Bereiche auf hohe räumliche Auflösung optimiert werden kann.

Sobald eine Gasfreisetzung erkannt wird, erfolgt die automatische Bewertung und Klassifizierung durch die Auswerteeinheit. Auf der Benutzeroberfläche oder durch eine Anbindung an das Prozessleitsystem wird der Bediener über diese Ereignisse mit einem Alarmhinweis informiert. Da technische Emissionen in Produktionsanlagen naturgemäß vorkommen und flüchtige Emissionen aus anderen Bereichen periodisch in Erscheinung treten können, hilft eine automatische Situationsbewertung, gefährliche Situationen von harmlosen technischen Emissionen zu unterscheiden (Bild 2).

Bild 2 Prinzip der Fernüberwachung großer Industrieanlagen mittels der FTIR-Fernüberwachung

Foto: Grandperspective

FTIR-Fernüberwachung schützt Bevölkerung vor chemischen Gasen

Ammoniak ist eines der am besten erforschten Gase in Bezug auf die FTIR-Fernüberwachung und vielfach dokumentiert und publiziert. Die FTIR-Fernüberwachung eignet sich daher hervorragend zur Überwachung Ammoniak-verarbeitender Betriebe.

Im Einsatz befindet sich das System zum Beispiel im Chemelot Chemiepark in den Niederlanden. Die Überwachung mehrerer Produktionsanlagen von „OCI Nitrogen“ auf Gase wie Ammoniak, Methan und Distickstoffmonoxid (Lachgas) schützt das direkte Umfeld und insbesondere den benachbarten Brightlands-Campus außerhalb des Chemieparks. Durch die sorgfältige Auswahl von zwei Installationsstandorten in unmittelbarer Nähe der Anlage und des Brightlands-Campus wird eine sehr kurze Reaktionszeit auf unerwartete Freisetzungen erreicht.

Mit einer minimalen Vorwarnzeit liefert das Messsystem genaue Informationen über das „Was“, „Wo“ und das Ausmaß von unerwarteten Gasemissionen. Im Ereignisfall wird frühzeitig die Gefährdungslage erkannt, visualisiert und auf einer Karte markiert, damit direkt und gezielt reagiert werden kann. Sensible Bereiche wie der Brightlands-Campus werden auf diese Weise effektiv geschützt. Darüber hinaus können nicht betroffene Bereiche nach einem Vorfall schnell wieder freigegeben werden, sobald die Auflösung der Gaswolke durch das Messsystem bestätigt wird. Derartige Messsysteme sind in Bezug auf ihre Effizienz durchaus kosteneffizient; sie sind beliebig skalierbar und liefern detailliertere und intuitive Informationen sowohl als Frühwarnsystem als auch für die automatische Leckageortung und zur übergreifenden Quantifizierung von Gasemissionen. Durch die langfristige Auswertung der umfangreichen Datenmengen gelingt die frühzeitige Erkennung kleiner, aber technisch relevanter Leckagen, um den Betrieb und fortlaufende Wartung zu verbessern und um Emissionen zu senken. Weiterhin stehen damit Daten zur Verfügung, welche die Bewertung der langfristigen Gesamtemissionen der Anlagen erlauben, um zukünftigen EU-Regelungen wie der Ende 2021 vorgeschlagenen neuen EU-Strategie zum Umgang mit Methanemissionen, die strengere Regeln zum Messen, Reporting und zur Verifikation von Methanemissionen enthält, sowie der Neufassung des LVIC-BREF (Large Volume Inorganic Chemicals) zu entsprechen, das sich aktuell in der Überarbeitung befindet (Bild 3 + 4).

Bild 3 Scanfeld®-Messung einer kleinen Testfreisetzung von wenigen Gramm Ammoniak aus ca. 100 Metern Entfernung. Das Ammoniak wird zeitgleich aus zwei Perspektiven identifiziert, visualisiert und eine Warnung wird ausgegeben.

Foto: Grandperspective

Bild 4 Mittels 3D-Rekonstruktion kann die Ausdehnung der Wolke und ihre Position auf der Karte automatisiert bestimmt werden.

Foto: Grandperspective

Peter Maas
Founder and CTO Grandperspective