Zum E-Paper
Workshop Teil 3 16.11.2023, 09:35 Uhr

Biomonitoring für die Zukunft

Am 12. Oktober 2023 trafen sich in Duisburg 70 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung, um gemeinsam Biomonitoring für die Zukunft zu gestalten. Die Ergebnisse aus den Schwerpunktdiskussionen „Biomonitoring von Luftschadstoffen“, „Effektbasiertes Gewässermonitoring“, „Klimafolgenmonitoring“ und „Biodiversitätsmonitoring“ werden in diesem und drei weiteren Beiträgen vorgestellt.

Entnahme einer Gewässerprobe aus dem Rhein. Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer besichtigen im Rahmen einer Exkursion am 13. Oktober 2023 das Laborschiff „Max Prüss“ des LANUV NRW. Foto: ©LA-NUV/Oberhaeuser

Entnahme einer Gewässerprobe aus dem Rhein. Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer besichtigen im Rahmen einer Exkursion am 13. Oktober 2023 das Laborschiff „Max Prüss“ des LANUV NRW.

Foto: ©LA-NUV/Oberhaeuser

Obwohl derzeit sehr viele effektbasierte Methoden zur Charakterisierung komplexer Gewässerbelastungen zur Verfügung stehen, finden diese europaweit in entsprechenden Vorschriften zur Bewertung der Qualität von Oberflächengewässern und Abwässern kaum Berücksichtigung. Als Gründe hierfür werden häufig die fehlende Standardisierung und Harmonisierung bestehender Bewertungsmethoden und die damit verbundenen Zweifel an der Robustheit der Daten angeführt. Im Rahmen des Workshops „Biomonitoring für die Zukunft“ haben sich Vertreterinnen und Vertreter aus Forschung und Administration dieser Problematik angenommen. Im Folgenden Eindrücke und Ergebnisse aus dem Themenworkshop „Effektbasiertes Gewässermonitoring“:

Effektbasiertes Gewässermonitoring (EGM)

Moderiert von Frau Prof. Rita Triebskorn/Universität Tübingen und Dr. Matthias Oetken/Universität Frankfurt erläuterten die insgesamt 22 internationalen und nationalen Themenworkshopteilnehmerinnen und -teilnehmer aus diversen Forschungseinrichtungen sowie Bundes- und Landesbehörden zunächst ihre jeweiligen Erwartungen an die Veranstaltung und nannten Gründe, weshalb das EGM aus ihrer Sicht aktuell noch nicht ausreichend in der wasserwirtschaftlichen Praxis etabliert ist. Auf Basis mehrerer Impulsvorträge und einer sich anschließenden Diskussion wurden zudem Forschungsdefizite identifiziert, der Standardisierungsbedarf im EGM benannt und sowie der Frage nachgegangen, wie der Transfer und die Etablierung des EGM in der wasserwirtschaftlichen Praxis gelingen kann.

Erwartungen an den Workshop

Primär erwarteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Workshop eine bessere Vernetzung der beteiligten Akteure und einen intensiven Wissenstransfer im Hinblick auf neue Methoden (validierte Tests, Triggerwerte), die zukünftige Rolle der chemischen Analytik und derzeitige Einsatzmöglichkeiten des EGM in der Regulatorik. Zudem erhofften sie sich, dass der Workshop als Ausgangspunkt für fach-bzw. institutionsübergreifende Arbeitstreffen und Kooperationsprojekte mit Anwendungsbezug dient, so dass eine gemeinschaftliche Stellungnahme für Stakeholder in naher Zukunft realisierbar wird. Nicht zuletzt könnte der Workshop zur Entwicklung einer Strategie zur besseren Verankerung des EGM in der Regulatorik dienen.

Abfragen im Vorfeld des Workshops

Alle Themenworkshopteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden vor Beginn des Workshops gebeten, Gründe zu benennen, warum das EGM in der Wasserwirtschaft noch nicht (voll) etabliert ist. Dabei wurden folgende Aspekte benannt:

  • Eine fehlende regulatorische Akzeptanz, wobei dies mit einer historisch gewachsenen Priorisierung chemischer Analyseverfahren, die oftmals als einfacher, genauer und sicherer angesehen werden, sowie mit dem häufig nicht vorhandenen Wissen um die Vorteile des EGM (höhere Sensitivität; integrierend für Mischungen) begründet wird. Als weitere Gründe werden Zweifel an Robustheit der Daten und ihrer (ökologischen) Relevanz angesehen. Auch wurden diesbezüglich die Angst vor Neuem und die fehlende Kenntnis hinsichtlich der notwendigen Infrastruktur in Behörden genannt.
  • Die Kommunikation zum EGM erfolgt in der Regel in wissenschaftlichen Zeitschriften, die die Behörden oft nicht erreichen.
  • Es mangelt an einer einheitlichen Positionierung der Wissenschaft zu priorisierten Tests bzw. Testhierarchien.
  • Grenzwerte bzw. Triggerwerte sind bislang nur teilweise definiert und in der wissenschaftlichen Literatur publiziert, ein einheitliches, standardisiertes Verfahren zur Festlegung von Triggerwerten (wie UQN) fehlt.
  • Es fehlen bislang Standards für einige methodische Aspekte, z.B. für Anreicherungsverfahren.
  • Werden Informationen zu für die beobachteten Effekte verantwortlichen Substanzen benötig, ist eine effekt-dirigierte Analytik notwendig. Labors, die eine solche anbieten, sollten benannt und veröffentlicht werden.
  • Die chemische Analytik wird oft als Konkurrenz und weniger als erklärendes Instrument für die beobachteten Effekte gesehen.
  • Das EGM ist bislang in der EU-Wasserrahmenrichtlinie nur unzureichend verankert.
  • Es fehlt an personellen und finanziellen Ressourcen und Erfahrungen bei Behörden.
  • Schließlich fehlen in der Regel die gesetzlichen Grundlagen bzw. Verpflichtungen für ein EGM.
  • Insgesamt mangelt es an einer Vernetzung von Aktivitäten auf verschiedenen Ebenen (z.B. Ringversuche im Rahmen von ISO/TC, Aktivitäten in EU-PARC).

Wege, die Akzeptanz effektbasierter Methoden in der Wasserwirtschaft zu erhöhen

Weiterhin wurden im Vorfeld des Workshops Vorschläge erbeten, wie die Akzeptanz effektbasierter Methoden in der Wasserwirtschaft erhöht und eine breitere Anwendung ermöglicht werden könnte. Dazu wurde folgende Meinungen geäußert:

  • Durch eine intensivere Kommunikation zwischen Wissenschaft und Behörden lassen sich die Vorteile des EGM im Vergleich zur chemischen Analytik besser darstellen. Dabei kann die Bildung einer Task-Force für EGM eine entsprechende Unterstützung leisten.
  • Wichtig ist eine gemeinschaftliche Stellungnahme von Experten zu empfohlenen Tests / modularen Testbatterien / Grenzwerten, die den Behörden / Stakeholdern in Beiträgen in deutschsprachigen Zeitschriften (z.B. KW Korrespondenz Wasserwirtschaft) vorgestellt werden.
  • Die (behördliche) Akzeptanz kann auch mit Hilfe gut koordinierter Pilot-/Kooperationsprojekte (Praxistests), die eine empfohlene Testbatterie berücksichtigen, erhöht werden.
  • Die Wasserwirtschaft sollte vorrangig externe Labore (Best-Practice Labore) mit der Durchführung von Tests beauftragen, gleichzeitig aber auch die entsprechenden Verfahren durchführen können, um die Testergebnisse auch beurteilen zu können.
  • Die Testorganismen müssen in ausreichender Quantität und Qualität erhältlich sein.
  • Das EGM sollte in Regelwerken zur Beurteilung der Gewässerqualität verankert werden. Beispielsweise sollte das EGM bei einer Revision der EU-Wasserrahmenrichtlinie verpflichtend aufgenommen werden.
  • Um eine wirkungsbasierte Überwachung zu ermöglichen, ist die Ableitung von Umweltqualitätsnormen für Stoffgruppen mit derselben Wirkung notwendig.

Vorträge und Diskussion im Plenum

Im Rahmen von zwei einleitenden Kurzvorträgen von Frau Prof. Dr. Triebskorn/Universität Tübingen und Dr. Oetken/Universität Frankfurt, die als Basis für die sich anschließende Diskussion im Plenum dienten, wurde zunächst auf Möglichkeiten zum Biomonitoring mit Fischen (VDI 4230 Blatt 4, VDI 4230 Blatt 5) sowie mit aquatischen Wirbellosen (VDI 4230 Blatt 6 Entwurf) hingewiesen. In einem weiteren Kurzvortrag von Frau Dr. Kienle/Ökotoxzentrum Dübendorf, wurde auch der Einsatz von in-vitro-Verfahren thematisiert sowie ein konkretes Beispiel für eine Anwendung einer Biotestbatterie zur ökotoxikologischen Beurteilung der Wasserqualität in Schweizer Fließgewässern vorgestellt (publiziert in Kienle et al. 2023).

Der zweite Teil des Themenworkshops begann mit der Vorstellung einer Literaturstudie zu Auswirkungen von Spurenstoffen auf aquatische Organismen in Fließgewässern durch Frau Prof. Dr. Triebskorn (Triebskorn et al. 2022), wobei deutlich wurde, dass bereits viele Methoden für das EGM vorhanden sind. Diese Verfahren sind in der Regel im Laborbereich standardisiert, weniger jedoch im Freilandeinsatz. Zudem werden in der Literaturstudie Hinweise zu Anwendungsbereichen und Störfaktoren, zum Etablierungsgrad der Tests in Behörden sowie Empfehlungen für Testbatterien gegeben. Anschließend stellte Frau Dr. Sundermann/Senckenberg ein konkretes Beispiel für den Einsatz von in-vivo- und in-vitro-Tests sowie zur anschließenden Zustandsbewertung von Oberflächengewässern mit Bezug zur Publikation von Brettschneider et al., 2019 vor. Vor Beginn der eigentlichen Diskussion im Plenum referierte Herr Kuckelkorn/UBA Bad Elster in einem abschließenden Vortrag über Erfahrungen aus der Trinkwasserbewertung für die Bewertung von Oberflächen- und Abwasser.

Take home messages

Sehr viele Methoden, die für das EGM in der Bewertung von Oberflächen- und Abwasser eingesetzt werden können, sind bereits validiert und standardisiert (z.B. Grummt et al., 2019; Triebskorn et al., 2022). Eine feste Verankerung des EGM in der Regulatorik bzw. wasserwirtschaftlichen Praxis hat jedoch noch nicht stattgefunden und wird innerhalb der kommenden zehn Jahre angestrebt. Um dieses Ziel realisieren zu können, wird mehrheitlich nicht nur die Notwendigkeit einer intensiven Kommunikation zwischen der Wissenschaft und den beteiligten Behörden gesehen, sondern auch zwischen der EU und den jeweiligen nationalen Administrationen. Als ein wichtiger Baustein wird in diesem Zusammenhang die Einrichtung von Kompetenzzentren (etwa nach dem Vorbild des Ökotox-Zentrums in der Schweiz) vorgeschlagen, die der Beratung und Vernetzung aller beteiligten Akteure und nicht zuletzt auch der Abstimmung mit bereits vorhandenen Initiativen dienen. Als eine weitere Möglichkeit werden Publikationen von Beiträgen zum EGM in deutschsprachigen Zeitschriften (z.B. KW Korrespondenz Wasserwirtschaft) anstelle von Abschlussberichten zu entsprechenden Projekten genannt.

Mit Blick auf gerichtsfeste Ergebnisse im EGM, wird u.a. die begründete Ableitung von Toxizitätsschwellenwerten (entsprechend Escher und Neale, 2021; Brion et al., 2019) zur Kategorisierung der Belastung als dringlich angesehen. Weiterhin wird eine Standardisierung technischer Verfahren (z.B. Probenvorbereitung, Extraktion) sowie die Durchführung von Ringtests in verschiedenen Laboren empfohlen, um auf diese Weise nicht nur die Variabilität der erhobenen Daten abschätzen zu können, sondern auch die angewandten Methoden zu verbreiten (Multiplikationseffekt). Hinsichtlich der Auswahl entsprechender Testverfahren werden verschiedene Publikationen genannt (Brettschneider et al. 2019, Triebskorn et al. 2022, Kienle et al. 2023). Die definitive Auswahl an Tests sollte ein entsprechendes Expertengremium (Task-Force) übernehmen.

Literatur

  1. Brettschneider, D.J.; Misovic, A.; Schulte-Oehlmann, U.; Oetken; M.; Oehlmann, J. (2019): Detection of chemically induced ecotoxicological effects in rivers of the Nidda catchment (Hessen, Germany) and development of an ecotoxicological, Water Framework Directive-compliant assessment system. Environ. Sci. Europe 31, p. 7.
  2. Brion et al. (2019): Monitoring estrogenic activities of waste and surface waters using a novel in vivo zebrafish embryonic (EASZY) assay: Comparison with in vitro cell-based assays and determination of effect-based trigger values Environment International 130:https://doi.org/10.1016/j.envint.2019.06.006
  3. Escher, B.I.; Neale, P.A. (2021): Effect-Based Trigger Values for Mixtures of Chemicals in Surface Water Detected with In Vitro Bioassays. Environ Toxicol Chem, 40: p. 487-499. https://doi.org/10.1002/etc.4944
  4. Grummt, T., Triebskorn, R., Oehlmann, J., Braunbeck, T., Happel, O. (2017): BMBF-Fördermaßnahme RiSKWa-Statuspapier „Methoden zur (öko-)toxikologischen Bewertung von Spurenstoffen im Wasserkreislauf. Ergebnisse des Querschnittsthemas „(Öko)-Toxikologie“. https://riskwa.de/RiSKWa/_/RISKWA_Toxikologie_Statuspapier_final.pdf
  5. Kienle, C., Bramaz, N., Schifferli, A., Olbrich, D., Werner, I., Vermeirssen, E. (2023) Beurteilung der Wasserqualität mit einer Biotestbatterie. Aqua & Gas 103(4), 24–33.
  6. Triebskorn et al. (2022). Literaturstudie zu Auswirkungen von Spurenstoffen auf aquatische Organismen in Fließgewässern.http://www.laenderfinanzierungsprogramm.de/projektberichte/lawa/#ao-O-8–20
Von Rita Triebskorn, Matthias Oetken

Prof. Rita Triebskorn,
Universität Tübingen, TübingenDr. Matthias Oetken,
Universität Frankfurt, Frankfurt am Main