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Elektromobilität in Europa 29.01.2021, 13:17 Uhr

Batteriefabriken schießen wie Pilze aus dem Boden

In wenigen Jahren soll die Zahl der größeren Lithium-Ionen-Batterie-Fabriken in Europa von heute sechs auf 21 steigen.

Fertigung von Batteriesystemen für den Mercedes-Benz EQC  bei der Mercedes-Benz Tochter Accumotive in Kamenz. Foto. Daimler AG

Fertigung von Batteriesystemen für den Mercedes-Benz EQC bei der Mercedes-Benz Tochter Accumotive in Kamenz. Foto. Daimler AG

Das wird den erfolgsverwöhnten Tesla-Macher Elon Musk ärgern: In Ludwigsfelde bei Berlin, nur 50 km entfernt von Grünheide – hier errichtet Musk eine Fabrik zur Herstellung von Elektroautos, Zellen für Lithium-Ionen-Batterien und daraus gefertigte Akkus – will das US-Unternehmen Microvast im März die ersten Batterien herstellen. Die Zellen bezieht es vom chinesischen Schwesterunternehmen Microvast Power Systems. Musk dagegen muss mit der Produktion warten. Während er noch in diesem Jahr in Grünheide die ersten Fahrzeuge bauen will, ist der Starttermin für die Zellenfertigung noch offen. Geplant ist eine Jahresleistung von 20 GWh.

Mit den beiden Projekten nahe Berlin soll die Zahl der größeren Lithium-Ionen-Batterie-Fabriken in Europa in den nächsten Jahren von heute sechs auf 21 steigen. Neun sind es dann in Deutschland – wenn nichts dazwischenkommt, etwa eine geringere Nachfrage nach Elektroautos als Optimisten vermuten. Das ehrgeizigste Projekt ist für die südpolnische Metropole Wroclaw (Breslau) geplant. Das südkoreanische Unternehmen LG Chem produziert dort bereits Zellen, die vor Ort zu Batterien zusammengebaut werden. Abnehmer sind unter anderem Volkswagen und Renault. Aktuell liegt die Jahresproduktion bei 15 GWh. Derzeit wird das Werk auf eine Kapazität von 65 GWh ausgebaut. Damit wird es das mit Abstand größte in Europa sein. Die Südkoreaner lassen sich das stolze 550 Mio. € kosten.

Daimler-Tochter setzt auf asiatische Zellen

Die mit jeweils 24 GWh/a größten Batteriefabriken in Deutschland entstehen in Salzgitter (Produktionsbeginn 2024), Erfurt (2022), Kaiserslautern (2023) und Überherrn (2023). Dazu kommen die Fabriken in Grünheide (20 GWh/a, 2022), Ludwigsfelde (8 bis 12 GWh/a, 2021) und Bitterfeld (16 GWh/a, 2022) sowie der weitere Ausbau der Batteriefabrik der Daimler-Tochter Accumotive im sächsischen Kamenz. Sie liegt derzeit bei etwa 20 GWh. Die Zellen, aus denen die Stromspeicher zusammengefügt werden, kommen allerdings aus Asien. Der 2006 in Kamenz gegründete Zellenentwickler Li-Tec Battery, ebenfalls eine Daimler-Tochter, versuchte bis 2015, so günstig zu produzieren wie die asiatischen Länder, jedoch ohne Erfolg.

Batterieproduktion bei der Mercedes-Benz Tochter Accumotive in Kamenz: Die Batteriefabrik setzt auf hochmoderne Anlagen und nutzt vielfältige Industrie 4.0 –Technologien zur Fertigung von Antriebsbatterien für Modelle der Produkt- und Technologiemarke EQ.

Foto: Daimler AG

Neben Kamenz ist Willstätt nahe Offenburg bereits Produktionsstätte für Batterien. Der Schweizer Hersteller Leclanché betreibt hier eine Fabrik mit einer Produktionskapazität von 1 GWh/a, die die benötigten Zellen selbst herstellt. Der Hersteller Envision im britischen Sunderland, den das gleichnamige Unternehmen aus Schanghai von Nissan übernommen hat, bezieht seine Zellen dagegen von der Muttergesellschaft. Derzeit liegt die Kapazität bei 1,9 GWh/a, soll in den nächsten Jahren jedoch kräftig erhöht werden.

Mit Wind-, Wasser- und Kernenergie

Während Daimler auf seine eigene Batteriefertigung zurückgreifen kann, müssen die übrigen deutschen Autohersteller auf fremde Hilfe zurückgreifen. BMW etwa hat einen Liefervertrag mit dem schwedischen Hersteller Northvolt geschlossen, dessen Fabrik in Skellefteå in diesem Jahr die Produktion aufnehmen soll. Im Endausbau soll sie auf 40 GWh/a kommen. Northvolt, 2016 von zwei ehemaligen Tesla-Ingenieuren gegründet, stellt Zellen her, die die Kunden zu Batterien komplettieren. Anders als asiatische Hersteller, deren Zellproduktion wegen des fossillastigen Stroms hohe Kohlendioxid-Emissionen verursacht, produzieren die Schweden ausschließlich mit emissionsarmem Strom aus Wind- und Wasserkraft sowie Kernenergie. Mit Volkswagen planen die Schweden den Bau einer weiteren Fabrik in Salzgitter, die als Auffangstation für Volkswagen-Mitarbeiter aus dem dort angesiedelten Bau von Verbrennungsmotoren dienen soll.

Die französische PSA-Gruppe (Citroën, Peugeot und Opel), die sich mit dem italienisch-amerikanischen Autoriesen Fiat-Chrysler zusammenschließt, will ihren Bedarf an Batterien in Kaiserslautern und im französischen Douvrin decken. Ab 2023 sollen in beiden Werken zunächst jeweils 8 GWh gefertigt werden. Im Endausbau sind insgesamt 48 GWh geplant. Beide Fabriken werden von den jeweiligen Heimatländern finanziell massiv gefördert.

Bitterfelder Akkus für das erste türkische E-Auto

Der chinesische Hersteller Farasis will bis 2022 in Bitterfeld im Bundesland Sachsen-Anhalt eine Zellfabrik mit 16 GWh/a errichten. Die Zellen sollen in der Türkei zu Batterien für das erste Elektroauto des Landes, Togg genannt, komplettiert werden. Auch Daimler ist als Kunde anvisiert.

Langjährige Erfahrung im Bereich Automotive – Gürcan Karakas führt das Unternehmen TOGG und ist der Hoffnungsträger der Autoambitionen der Türkei.

Foto: TOGG.

Togg ist die Abkürzung für Türkiye‘nin Otomobili Girişim Grubu, was so viel wie „Automobil Initiativgruppe“ bedeutet. Dahinter stehen sechs einheimische Konzerne. Gürcan Karakas, der 27 Jahre lang bei Bosch gearbeitet hat, unter anderem im Bereich elektrische Antriebe, steht an der Spitze dieses ersten rein türkischen Autoherstellers.

Mitte 2022 will der chinesische Zellenhersteller Contemporary Amperex Technology (CATL) in Erfurt den Betrieb aufnehmen. Ein Jahr früher sollen bereits Batterien in kleiner Stückzahl aus Zellen hergestellt werden, die CATL aus China beisteuert. BMW hat sich bereits einen Teil der Produktion gesichert. Ebenfalls aus China kommt ein Batteriehersteller, der bis 2023 im saarländischen Überherrn produzieren will. Svolt Energy Technology will sowohl Zellen als auch komplette Batterien bauen.

Von Wolfgang Kempkens