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Wärmeversorgung 12.05.2020, 10:27 Uhr

Warum Wasserstoff das Potenzial zum Brennstoff der Zukunft hat

Kann Wasserstoff Öl und Gas ablösen? Immer mehr Experten sagen ja. Wie die Chancen wirklich stehen und welche Rahmenbedingungen es zu beachten gilt.

Windräder und Solaranlage

Manche Betreiber von Photovoltaikanlagen hatten um ihre Existenz gefürchtet. Jetzt ist der Solardeckel Geschichte.

Foto: panthermedia.net/malpetr

Europaweit gehen rund 36 % der CO2-Emissionen auf das Konto der Wärmeversorgung von Gebäuden. CO2 entsteht vor allem durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Öl und Gas. Nicht nur die Politik hat längst erkannt, dass hier ein großes Potenzial zur Reduzierung der Emissionen schlummert. Auch die Heizungsbranche arbeitet intensiv an Alternativen. Immer häufiger wird der Energieträger Wasserstoff genannt. Doch kann er Öl und Gas ersetzen? Und was muss dabei beachtet werden?

Gute Chancen für den Einsatz in Haushalten und kleinen Unternehmen

Bereits seit mehr als zwanzig Jahren erforscht die Industrie den Einsatz von Wasserstoff im Wärmemarkt. Brennstoffzellen-Heizgeräte sollen zukünftig die handelsüblichen Öl- und Gaskessel ersetzen. Voraussetzung dafür ist allerdings eine eigene Wasserstoff-Infrastruktur. Obwohl sich diese erst im Entstehen befindet, sind aber auch kurzfristig die Chancen gut. Denn bereits jetzt können aktuelle Gas-Brennwertkessel mit einem Mix aus 80 % Erdgas und 20 % Wasserstoff betrieben werden.

Industrie setzt auf Alternative Brennstoffzelle

Langfristig setzt die herstellende Industrie aber auf die Alternative Brennstoffzelle. So unterstützt beispielsweise das europäische Projekt „Pace“ (Pathway to a Competitive European FuelCell micro-CHP Market) die Einführung von Brennstoffzellen auf Mikro-KWK-Basis. Dafür steht ein Volumen von mehr als 90 Mio. € zur Verfügung. Es handelt sich dabei um ein von der Fuel Cells and Hydrogen Joint Undertaking (FCH JU) kofinanziertes Projekt, das europäische Forschungsinstitute und Hersteller sowie andere Player der Energiebranche zusammenbringt. Die Akteure wollen die Industrialisierung der neuen Produkte ankurbeln sowie die Marktentwicklung auf nationaler Ebene fördern. Erste Erfolge konnten sie schon verbuchen, denn in den letzten beiden zwei Jahren wurden zunehmend mehr Brennstoffzellen-Anlagen installiert.

Erster Schritt: Einbeziehung des bestehenden Gasnetzes

Brennstoffzellen-Heizgeräte nutzen den Energieträger Erdgas. Mithilfe eines Reformers wird das Erdgas in reinen Wasserstoff und CO2 umgewandelt.

Funktionsschema einer Brennstoffzellen-Anlage mit Reformer. Grafik: Remeha

In einer umgekehrten Elektrolyse reagiert der so gewonnene Wasserstoff mit dem Sauerstoff aus der Luft und wird zu Wasser. Bei diesem auch als kalte Verbrennung bezeichneten Vorgang entstehen Strom und Wärme. Interessant sind vor allem zwei Varianten:

  • die Festoxid-Brennstoffzelle (SOFC, Solid Oxide Fuel Cell) mit einer Keramik-Membran für den Temperaturbereich von 650 bis 1.000 °C und
  • die Polymerelektrolyt-Brennstoffzelle (PEM, Proton Exchange Membrane) mit einer Kunststoff-Membran für den Temperaturbereich von 70 bis 90 °C.

So eingebunden in das bestehende Gasnetz kann die Brennstoffzelle beispielsweise als Grundlastmodul verwendet und mit einem handelsüblichen Gas-Brennwertgerät für die Spitzenlast kombiniert werden. Diese Anlagenkombination kommt in Deutschland schon häufiger zum Einsatz, Tendenz steigend.

Das Brennstoffzellensystem „eLecta 300“ besteht aus einem Brennstoffzellen-Modul, einem 300-Liter-Pufferspeicher und einem Vormontagesystem, in dem ein Brennwert-Spitzenlastkessel sowie ein Hydraulikmodul integriert sind.

Foto: Remeha

Beimischung von Wasserstoff

Der Einsatz von Brennstoffzellen-Heizgeräten mit Reformer ist allerdings nur der erste Schritt zur Nutzung von Wasserstoff als Brennstoff. Weitere sind geplant. So kann, wie bereits erwähnt, dem Erdgasnetz reiner Wasserstoff beigemischt werden. Geplant sind zunächst 20 %. Dies hat vor allem zwei Vorteile:

  • Erhöhung der Geräte-Effizienz durch den höheren Wasserstoff-Anteil sowie die
  • Nutzung von Überschuss-Strom aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff.

Dabei muss allerdings beachtet werden, dass beispielsweise Erdgasautos nicht mit einem solchen Wasserstoff-Erdgasgemisch betankt werden können – entsprechende Anpassungen sind notwendig. Auch die bereits betriebenen Gas-Brennwertgeräte müssen für eine Wasserstoff-Beimischung angepasst werden. Auch hier hat die Herstellerindustrie bereits reagiert und bestimmte Geräteserien zertifizieren lassen.

Zweiter Schritt: Direkte Nutzung von reinem Wasserstoff als Energieträger

Erklärtes Ziel ist allerdings der Einsatz von reinem Wasserstoff als Brennstoff. Neben den entsprechenden Geräten ist dafür vor allem eine eigene Wasserstoff-Infrastruktur notwendig. Kurzfristig bieten sich dazu beispielsweise Quartierslösungen an. Hier könnte ein dezentrales Netz rund 50 bis 100 Häuser mit Wasserstoff zur eigenen Wärmeerzeugung versorgen. Jedoch sind derzeit entsprechende Systemgrößen noch nicht verfügbar. Die Branche arbeitet aber an Lösungen.

So wird zum Beispiel im niederländischen Rozenburg in der Nähe von Rotterdam der Einsatz von reinem Wasserstoff erforscht. Bereits seit Mitte 2019 testet die BDR Thermea Group, zu der neben den Marken Senertec und Brötje auch Remeha gehört, in diesem Feldtest eigenentwickelte Wasserstoff-Heizgeräte unter realen Bedingungen. So soll eine breite Basis zu CO2-freien Heizungs- und Warmwasserlösungen gefunden werden. Das Funktionsprinzip ist vergleichbar mit dem eines erdgasbetriebenen Heizkessels: Ein Netzbetreiber liefert über eine ehemalige Erdgasleitung den Wasserstoff, der Wasserstoffkessel sichert die Warmwasserversorgung. Zur Versorgungssicherheit dient ein zusätzlicher Erdgaskessel. In Großbritannien steht im Anschluss an dieses Projekt ein weiterer Feldversuch an. Über 400 Wasserstoffkessel sollen dort in den nächsten zwei Jahren installiert werden.

Zur Herstellung von Wasserstoff auf erneuerbare Energien setzen

Auf dem Weg in eine Wasserstoffwirtschaft sind aber noch weitere Hürden zu meistern. So rückt neben dem Aufbau einer geeigneten Infrastruktur beispielsweise auch die Herstellung des Wasserstoffs in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Stellt man ihn mittels Dampfreformierung aus Erdgas her, so handelt es sich dabei zwar um ein kostengünstiges Verfahren. Neben Wasserstoff entsteht dabei aber auch CO und CO2. Nutzt man hingegen die Elektrolyse, so ist die Herstellung zwar umweltfreundlich – hier wird Wasser mittels Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff geteilt –, dafür aber auch deutlich teurer. Hier setzen zahlreiche Projekte an. Das gemeinsame Ziel ist es, überschüssigen Strom aus Erneuerbaren-Energien-Anlagen zu nutzen und die Wirtschaftlichkeit dieser Herstellung von „grünem“ Wasserstoff zu verbessern.

Wie bei fast jeder neuen Technologie müssen auch bei dem Einsatz von Wasserstoff zur Wärmeversorgung noch gewisse Normen und Regelwerke erarbeitet werden. Aber die Branche ist optimistisch: Denn der Wasserstoff ist eine umweltfreundliche Alternative zu den fossilen Energieträgern. Zudem kann mit Power-to-X (PtX)-Anlagen überschüssiger Erneuerbarer-Energien-Strom zum Beispiel zur Herstellung von Wasserstoff genutzt und damit gespeichert werden. Die ersten Weichen zum Heizen mit Wasserstoff sind gestellt.

Von Jürgen Jahn, Remeha GmbH, Emsdetten