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Energieversorgung 08.09.2022, 09:42 Uhr

Krankenhäuser sollen Stromlücken stopfen

Kombianlagen zur Erzeugung von Strom und Wärme sowie Kältemaschinen könnten überschüssigen Strom aufnehmen und in Mangelzeiten ins Netz abgeben. Das wäre ein Puffer von bis zu 300 MW.

Am Evangelischen Krankenhaus Hattingen wird getestet, wie es mit seinen technischen Einrichtungen zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen kann. Foto: Augusta-Kliniken

Am Evangelischen Krankenhaus Hattingen wird getestet, wie es mit seinen technischen Einrichtungen zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen kann.

Foto: Augusta-Kliniken

Krankenhäuser, die mit kombinierten Anlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung (Kraft-Wärme-Kopplung) und Kältemaschinen ausgestattet sind, könnten Engpässe bei der Stromversorgung lindern helfen. Das hat eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) in Oberhausen, der Stadtwerke Bochum und des Evangelischen Krankenhauses Hattingen ergeben, die den Namen „Hybrider Energiespeicher Krankenhaus (HESKH)“ trägt.

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Vorratshaltung für Wärme und Kälte

Wenn alle KWK-Anlagen, die aktuell in Krankenhäusern eingebaut sind, flexibel betrieben würden und die Fahrweise nach den Marktpreisen für Strom optimiert würde, läge – grob geschätzt – ein Lastverschiebepotenzial von etwa 300 MW für positive und 200 MW für negative Flexibilität vor, so die Forscher. Das bedeutet, dass die Anlagen zu Zeiten, in denen Strommangel im Netz herrscht, bis zu 300 MW einspeisen können. Ist das Netz überlastet könnten sie bis zu 200 MW aufnehmen, etwa um Brauchwasser zu erwärmen, die Vorlauftemperatur der Heizungsanlage zu erhöhen oder Kälte für die Klimatisierung zu erzeugen. Die Krankenhäuser legen sich mit Überschussstrom gewissermaßen Wärme- oder Kältevorräte an.

Schema des im Projekt »Hybrider Energiespeicher Krankenhaus (HESKH)« entwickelten Optimierungsmodells.

Foto: Fraunhofer UMSICHT

Gleichzeitig lässt sich Energie einsparen

Die beteiligten Wissenschaftler ermittelten über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr den Wärme- und Kältebedarf im Krankenhaus Hattingen und ergänzten die Daten durch Kurzzeitmessungen einzelner Stromverbraucher und Abteilungen. Die Ergebnisse flossen in verschiedene, im Projekt erstellte Modelle ein und erlaubten es, die Zusammensetzung der Energieverbräuche zu verstehen und Einsparpotenziale aufzudecken. Gleichzeitig konnten durch eine Simulation von Energieverbrauch und -versorgung Möglichkeiten zum Energiesparen und zur Kostenreduktion aufgezeigt werden.

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Krankenhäusern droht die Insolvenz

„Es zeigte sich, dass Flexibilität und wirtschaftliche Vorteile erzielt werden können, wenn die Nennlast des Blockheizkraftwerkes (BHKW) des Krankenhauses die Grundlast übersteigt und thermische Speicher vorhanden sind“, sagt Umsicht-Wissenschaftler Sebastian Berg. „Gehen wir von einem dynamischen Stromtarif aus, der sich an der Börse orientiert, können die Stromkosten zusätzlich um bis zu 15 % reduziert werden. Die Stromerzeugung mit dem BHKW erfolgt dann vorzugsweise zu Zeiten, in denen die Strompreise hoch sind.“ Bei den weiter steigenden Strompreisen und den finanziellen Sorgen aller Krankenhäuser in Deutschland, von denen vielen nach Befürchtungen der Deutschen Krankenhausgesellschaftvielen die Insolvenz droht, dürften die Einsparpotenziale noch höher sein.

Regelmäßige Anpassungen sind nötig

Um den vorausschauenden Betrieb in der Praxis umzusetzen, ist die Prognose von Rahmenbedingungen notwendig. Dazu gehören die Energiebedarfe (Strom, Wärme), die Preise für deren Ein- und Verkauf sowie die nicht-steuerbare Eigenerzeugungen (Photovoltaik, Solarthermie). „Um eine hohe Genauigkeit zu erzielen, haben wir unter anderem auf Basis künstlicher neuronaler Netze unterschiedliche Prognosemodelle erstellt und anschließend simulativ getestet“, beschreibt Umsicht-Wissenschaftler Malte Stienecker das Vorgehen. „Dabei konnten wir feststellen, dass die Prognoseabweichungen zwar zum Teil durch den thermischen Speicher des Krankenhauses ausgeglichen werden konnten, jedoch regelmäßig Anpassungen nötig waren, um den tatsächlich auftretenden Wärmebedarf zu decken.“

Auch Hotels und Gewerbe könnten helfen

In knapp 2000 deutschen Krankenhäusern stehen Versorgungssysteme zur Verfügung – von KWK-Anlagen, Kältemaschinen und zukünftig auch Wärmepumpen bis zu Wärme- und Kältespeichern –, die für die Bereitstellung beziehungsweise Abnahme von Regelenergie eingesetzt werden können. Die Anlagen haben Leistungen von 200 kWel bis 600 kWel. Die Projektergebnisse seien sowohl auf andere Krankenhäuser als auch auf Gebäudetypen mit ähnlichen Anlagen beziehungsweise ähnlicher Energieumwandlung übertragbar – etwa auf Hotels, Schwimmbäder oder Gewerbebetriebe, so Sebastian Berg.

Durch Heizlüfter & Co. drohen Blackouts

Vor diesem Herbst und Winter wird HESKH allerdings nicht umsetzbar sein, obwohl der Bedarf vermutlich da ist. Schon warnen der VDE und der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches vor der Gefahr von Blackouts, wenn sich ein fataler Trend fortsetzt: Um Erdgas einzusparen wollen immer mehr Verbraucher Wärme punktuell, etwa im heimischen Wohnzimmer, mit Heizlüftern, Strahlern und Radiatoren erzeugen. 1 kWh Strom ist jedoch trotz der stark gestiegenen Gaspreise immer noch deutlich teurer als 1 kWh Gas.

Von Wolfgang Kempkens