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Energiewende 25.03.2021, 14:57 Uhr

Kohle könnte schon 2030 bedeutungslos werden

Das renommierte Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Universität Köln glaubt, dass der steigende Preis für Kohlendioxid-Emissionen den Ausstieg beschleunigt. Wenn Erdgaskraftwerke einspringen, könnte das Klimaziel deutlich unterschritten werden.

Bild: PantherMedia/kodda

Bild: PantherMedia/kodda

Schon 2030, acht Jahre vor dem in Deutschland geplanten Aus für die letzten Kohlekraftwerke, könnte dieser Energierohstoff nur noch eine Außenseiterrolle spielen. Das geht aus einer Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität Köln hervor. Dazu brauche es gar keinen Druck von Außen. Die Kraftwerke würden freiwillig abgeschaltet, weil die Europäische Union die Klimaziele für 2030 noch einmal drastisch gesenkt hat. Statt der bisher geplanten Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes um 40 % verglichen mit 1990, soll das Minus jetzt 55 % betragen. Das werde den Kohlendioxidpreis in die Höhe treiben.

Erdgas ist klimafreundlicher als Kohle

Die Sicherheit der Stromversorgung würden zunehmend Kraftwerke übernehmen, die Erdgas verfeuern. Die emittieren zwar auch Kohlendioxid, doch pro erzeugter Kilowattstunde deutlich weniger als Stein- und Braunkohlekraftwerke. Das liegt daran, dass moderne Gas-und-Dampfturbinen (GuD)-Kraftwerke einen Wirkungsgrad von etwas mehr als 60 % haben – Kohlekraftwerke kommen auf maximal 46 %. Der Grund: In einem GuD-Kraftwerk wird Erdgas verbrannt. Die heißen Abgase treiben eine Turbine an. Danach ist das Abgas noch so heiß, dass es Wasser in Dampf umwandeln kann. Dieser treibt dann einen weiteren Turbogenerator an. Ins Gewicht fällt auch, dass bei der Verbrennung von Erdgas generell weniger CO2 emittiert wird. Pro Kilowattstunde thermisch sind es 291 g. Steinkohle kommt auf 336 g und Braunkohle auf stattliche 407 g.

Stilllegung aus wirtschaftlichen Gründen

Max Gierkink, Michael Wiedmann, Konstantin Gruber und Martin Hintermayer, die Autoren der Studie, erwarten, dass die Betreiber der Kohlekraftwerke ihre Anlage freiwillig stilllegen, und zwar aus wirtschaftlichen Gründen. Die Verschärfung der Klimaziele werde den Preis für Kohlendioxid im europäischen Emissionshandel von 73 €/t, wie er für das ursprüngliche Klimaziel im Jahr 2038 erwartet worden war, auf 85 €/t steigen lassen. Das erhöhe die Wettbewerbsfähigkeit von Gaskraftwerken gegenüber der Kohle.

Netzagentur kann Abschaltung verhindern

Die Netzagentur könnte allerdings dazwischenfunken. Sie muss die Stilllegung von Kraftwerken genehmigen. Wenn die Sicherheit der Stromversorgung in Gefahr gerät, kann die Behörde Abschaltungen untersagen. Das wird sie nicht tun, wenn genügend Gaskraftwerke gebaut werden. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Gesamtleistung in Deutschland von heute 24 auf 35 GW im Jahr 2038 steigen muss. Das würde bedeuten, dass 18 Kraftwerke mit einer Leistung von jeweils 600 MW gebaut werden müssten.

Eine solche Anlage mit einer elektrischen Leistung von 600 MW lässt der Essener Kraftwerksbetreiber Steag von Siemens Power & Gas bauen. Außer Strom erzeugt sie 400 MW thermische Energie, die ins Fernwärmenetz eingespeist werden. Spätestens Ende 2022 soll das Kraftwerk als „Herne 6“ ans Netz gehen.

Steinkohle spielt 2030 keine Rolle mehr

Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass im Jahr 2033 bis zu 172 TWh Strom in Gaskraftwerken erzeugt werden. 2019 waren es gerade mal 89 TWh. Steinkohle werde schon 2030 keine Rolle mehr spielen, Braunkohle noch mit 32 TWh dabei sein. 2020 lagen die Werte bei 36 beziehungsweise 82 TWh. So könnte das Klimaziel des Energiesektors mit 156 Mio. t CO2-Reduktion im Jahr 2030 deutlich übertroffen werden. Angepeilt sind 175 Mio. t.

Erneuerbare sollen sich mehr als verdoppeln

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„Der Rückgang der Stromerzeugung aus Kohle wird neben Gaskraftwerken durch einen angenommen ambitionierten Ausbau der Windenergie und Photovoltaik auf 242 GW (2019: 104 GW) im Jahr 2030 kompensiert“, schreiben die Autoren. Das wird allerdings an vielen Tagen und vor allem in den Nächten nicht helfen. Wenn Flaute herrscht und die Sonne nicht scheint ist nichts zu erwarten. Auf der anderen Seite werden diese Kraftwerke weitaus mehr Strom erzeugen als direkt verbraucht werden kann, wenn Starkwind weht und die Sonne vom wolkenlosen Himmel herunter scheint. Das gilt sogar dann, wenn man von Millionen Elektroautos ausgeht, die bevorzugt geladen werden, wenn sehr viel Strom ins Netz eingespeist wird. Hilfreich wären hier Anlagen, in denen Wasserstoff mit Überschussstrom erzeugt wird, der direkt ins Erdgasnetz eingespeist oder in erdgasgleiches Methan umgewandelt werden kann.

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Von Wolfgang Kempkens