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Laudatio 10.06.2023, 12:03 Uhr

Festkolloquium für Josef Hegger

Am 9. Juni wurde Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger in seinem 69. Lebensjahr mit einem Festkolloquium an der RWTH Aachen formal in den Ruhestand verabschiedet. Dies markiert kein abruptes Ende seines Wirkens sondern ist eher Begleiterscheinung einer unumgänglichen Statusänderung.

Formal wurde Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger in seinem 69. Lebensjahr in den Ruhestand verabschiedet. Foto: Peter Winandy

Formal wurde Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger in seinem 69. Lebensjahr in den Ruhestand verabschiedet.

Foto: Peter Winandy

Dreißig Jahre lang hat Prof. Dr.-Ing. Josef Hegger als Nachfolger des unvergessenen Prof. Heinrich Trost die Geschicke des Aachener Lehrstuhls und Instituts für Massivbau gelenkt. Dieses ist in dieser Zeit zu einer der unumstritten führenden universitären Einrichtungen des Stahlbeton- und Spannbetonbaus in Europa herangewachsen. Nach seinem Studium in Aachen und seiner Assistentenzeit bei Prof. Karl Kordina an der TU Braunschweig war er zunächst acht Jahre lang in der Bauindustrie tätig. Dabei war er anfangs als Projekt- und später als Gruppenleiter in der Technischen Abteilung der Philipp Holzmann AG in Frankfurt a. M. mit der Tragwerksplanung von Hoch- und Industriebauprojekten befasst. Danach wechselte er in die Bauleitung und es fügte sich glücklich, dass gerade die Erstanwendung des hochfesten Betons in Deutschland beim Trianon-Hochhaus in Frankfurt a. M. anstand, die er aus der Technischen Abteilung heraus mit initiiert hatte. Einzelne Wände und Stützen wurden in B 85 hergestellt. Die seinerzeit hierfür erforderliche Zustimmung im Einzelfall wurde von Prof. Gert König gutachterlich begleitet und Hegger konnte als verantwortlicher Projektleiter alle Planungs- und Ausführungsschritte mitgestalten. Anschließend wirkte er noch bei der Vorbereitung des Projektes Japancenter mit, das mit 115 Metern Höhe zwar einen Zwerg unter den Frankfurter Hochhäusern darstellt, aber eines der architektonisch gelungensten ist. In den unteren Geschossen der Lochfassade wurden dann schon 700 Kubikmeter hochfesten Betons der Festigkeitsklasse B 105 verbaut.

Ruf an die Hochschule

Im Jahr 1993 erfolgte der Ruf an die RWTH Aachen. Hegger hatte sich hierfür mit seiner wissenschaftlichen Arbeit und umfangreichen Erfahrungen im ausführungsorientierten Technischen Büro eines Bauunternehmens und in der Bauleitung qualifiziert und damit einen Berufsweg gewählt, den unzählige Universitätsprofessoren vor ihm in ähnlicher Weise beschritten haben, und den man früher wohl als klassisch bezeichnet hätte. Jedenfalls schärfte dieser Werdegang den Blick für lohnende Forschungsziele und für praxisgerechte Lehrinhalte.

Neuheiten genutzt, ausgebaut und entwickelt

Seit seiner Berufung hat sich das wissenschaftliche Umfeld stark verändert. Man muss sich vor Augen halten, dass 1993 das Internet noch in den Kinderschuhen steckte und zum Beispiel Suchmaschinen gar nicht zur Verfügung standen. Hegger hat aber neu entstehende Möglichkeiten jeweils genutzt und gleichzeitig in einem durchdacht strukturierten Lehr- und Forschungsbetrieb Kontinuität bewahrt. Seine Absolventen hat dies zu jederzeit umworbene Kandidaten beim Einstieg in das Berufsleben gemacht.

Weil die in Aachen angetroffenen, im Massivbau nach wie vor unverzichtbaren Laboreinrichtungen der herausragenden Stellung der RWTH nicht gerecht wurden, hat er die Forschungsinfrastruktur seines Fachgebietes zielstrebig ausgebaut und bestehende Defizite nachhaltig beseitigt.

Vielfältig geforscht und geteilt

Er hat vielfältige Forschungsfelder bearbeitet, wobei seine Arbeiten zum Querkraft- und Durchstanztragverhalten, zum Spannbetonbau und zum Stahlverbundbau einen thematischen Schwerpunkt darstellen. Als außerordentlich fruchtbar erwies sich zudem die langjährige Kooperation mit Prof. Manfred Curbach an der Technischen Universität Dresden, die in der Grundlagenforschung zu nichtmetallischer Bewehrung weltweit beachtete Ergebnisse hervorgebracht hat. Aktuell setzt er diese Zusammenarbeit als stellvertretender Sprecher des DFG-Transregios 280 „Konstruktionsprinzipien von materialminimierten Carbonbetonstrukturen“ fort.

Auch hat er sein Wissen in unzähligen Publikationen der Fachwelt zugänglich gemacht. Der von ihm mitverfasste Kommentar zum Eurocode 2 liegt im deutschsprachigen Raum auf dem Schreibtisch eines jeden Tragwerksplaners. Als Herausgeber verschiedener Publikationen hat er dafür Sorge getragen, dass hochwertige Plattformen für Praxis und Wissenschaft im Bauingenieurwesen erhalten bleiben und noch ausgebaut werden. Seit 2014 ist er Sprecher der Herausgeber der vorliegenden Fachzeitschrift.

Expertise zu aktuellen Themenfelder

Jeder Veranstalter von Tagungen und Seminaren kann glücklich sein, ihn als Referent gewonnen zu haben. Seine stets ausgezeichnet illustrierten und sich durch Verständlichkeit auszeichnenden Fachvorträge stellen für den Hörerkreis regelmäßig lehrreiche Höhepunkte dar.

Die Fachwelt muss dankbar sein, dass er sich und sein Fachwissen exponiert in das Feld der Normung eingebracht hat. Er gehört denn auch zu denjenigen, deren Handschrift aus der nächsten Generation des Eurocodes 2 ablesbar sein wird. Von Magnetschwebebahn bis Windenergie: Zu fast allen aktuellen Themenfeldern war seine Expertise in der Regelsetzung gefragt.

Viele Produkthersteller schätzen es außerordentlich und profitieren sehr davon, wenn er deren bauaufsichtlichen Zulassungsverfahren zielführend begleitet. In nicht weniger als sieben Sachverständigenausschüssen des Deutschen Instituts für Bautechnik ist er Mitglied. In jedem dieser Gremien gehört er zu denjenigen, auf deren Meinung gehört wird. Er selbst hat aber den dort gepflegten hochkarätigen fachlichen Austausch auch immer als willkommene Weiterbildung für sich selbst eingestuft.

Fachwissen in der Praxis

Konkreten Bauaufgaben widmet er sich als geschäftsführender Gesellschafter der H+P Ingenieure mit Sitz in Aachen. Er ist als Prüfingenieur für Baustatik der Fachrichtungen Massivbau und Holzbau und als Sachverständiger des Eisenbahnbundesamtes anerkannt und hat aus dieser Rolle heraus zum Erfolg bedeutender Bauprojekte wesentlich beigetragen. Mit unzähligen Gutachten hat er zudem Gerichten und Parteien wertvolle Hilfestellung bei der Findung einer objektiv zutreffenden Sicht auf Streitfälle gegeben.

Seine Fähigkeiten sind allerorten nicht übersehen worden. Er wurde von seinen Kollegen mehrmals als Vertreter des Massivbaus in das Fachkollegium der Deutschen Forschungsgemeinschaft gewählt und war in dieser Organisation auch Mitglied von Hauptausschuss und Senat. Seit 2020 ist er Vertrauensdozent der DFG an der RWTH Aachen. Im Vorstand des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton wird seine Mitarbeit bis heute außerordentlich geschätzt.

Schon 2005 wurde er Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Neun Jahre später erhielt er die Ehre eines Fellows der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, ein Titel, mit der die Universität Hochschullehrer würdigt, die sich durch herausragende Forschungsleistung in ganz besonderer Weise um die RWTH Aachen verdient gemacht haben. Die höchste Auszeichnung des Deutschen Beton- und Bautechnikvereins, die Emil-Mörsch-Denkmünze, wurde ihm 2021 verliehen.

Heute steht er nicht am Ende seiner beruflichen Laufbahn. An der Universität wurde mit Prof. Martin Claßen ein tüchtiger Nachfolger aus eigener Schule gefunden, der gewiss auch weiterhin die wohlwollende Unterstützung seines Vorgängers zu schätzen weiß. Hinzu tritt die anhaltende Mitwirkung in dem von ihm selbst gegründeten Ingenieurbüro. Die Möglichkeit zum gleitenden Übergang von der Pflicht in die Kür wird er dabei gewiss nicht als Last sondern als ein mit dem Hochschullehrerberuf verbundenes Privileg empfinden.

Gemeinsame Erfolge für die Forschung

Seine Beliebtheit im Kreis der Kollegen folgt nicht nur aus der Anerkennung seiner Scharfsichtigkeit sondern vor allem auch aus seiner Unterstützung anderer. Sein Einsatz galt und gilt nicht nur seinem eigenen Institut in Aachen sondern der gesamten Massivbau-Fachwelt, zu deren besonderen Stellung im Kreis der Fachrichtungen er erheblich beigetragen hat. An seine Einsicht zum Beispiel in die Arbeit der DFG und dortige Antragschancen, die er im Rahmen seiner Mitarbeit in verschiedenen Gremien der DFG gewonnen hat, hat er alle teilhaben lassen. Dabei wurde er auch von der Erkenntnis getrieben, dass gemeinsamer Erfolg allen nützt und in der Forschungslandschaft perspektivisch mehr Möglichkeiten eröffnet als der Erfolg nur eines einzelnen Hochschulinstituts.

Wer Hegger kennt, muss ihn allein schon wegen seiner uneitlen Bereitschaft zum jederzeitig offenen Austausch, wegen seiner Freundlichkeit im Umgang und wegen seiner hohen kollegialen Verlässlichkeit mögen.

Kollegen, Partner und Schüler haben von ihm hochgradig profitiert und blicken dankbar zurück. „Was bleibt, ist das, was man für andere getan hat“ war ein Wahlspruch eines gemeinsamen Vorgesetzten in der Philipp Holzmann AG. Im Falle von Hegger wird sehr viel bleiben. Ihm selbst gelten die besten Wünsche von allen, die sich ihm verbunden fühlen: Möge bei bester Gesundheit neben weiter laufenden Verpflichtungen viel Zeit bleiben für echte Muße. Diese möge fachlich Erhellendes ebenso umfassen wie – gemeinsam mit seiner lieben Ehefrau Petra – lohnende Aktivitäten, für die bisher einfach zu wenig Zeit war.

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Von Jürgen Schnell, Kaiserslautern