+++Anzeige+++ 18.07.2023, 09:00 Uhr

Parametrische Modellierung und Anwendung der BIM-Methodik im Großbrückenbau

Digitale Planung der Süderelbbrücke

Visualisierung des Ersatzneubaus der Süderelbbrücke. Foto: Schüßler-Plan

Visualisierung des Ersatzneubaus der Süderelbbrücke.

Foto: Schüßler-Plan

Der enorme Erneuerungsbedarf der straßengebundenen Infrastruktur sowie der Wunsch nach beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren stellt auch uns Ingenieur*innen vor eine immense Aufgabe. So müssen zahlreiche Brückenbauwerke bei gleichbleibend hoher oder erhöhter Frequentierung in den nächsten Jahren erneuert werden. Zudem werden die Anforderungen an die Bauwerke immer komplexer, da sie ins bestehende Netz integriert werden müssen und ein „Bauen auf der grünen Wiese“ kaum noch möglich ist. Für den Abschnitt der A1 zwischen dem Autobahndreieck Hamburg-Südost (AD HH‑Südost) bis zur Anschlussstelle Hamburg-Harburg (AS HH-Harburg) werden für das Jahr 2030 täglich bis zu 160.000 Kfz prognostiziert, was die 8-streifige Erweiterung der Bundesautobahn erforderlich macht. Im Rahmen des Ausbaus der A1 ist unter anderem der Ersatzneubau der Großbrücke über die Süderelbe erforderlich. Zu der Maßnahme gehören darüber hinaus der Ersatzneubau drei weiterer Unterführungen, der Neubau von zusätzlich erforderlichen Hochwasserschutz- und Stützwänden sowie die Wiederherstellung des Radweges auf der Ostseite der Brücke.

Als Vorzugsvariante für die Süderelbbrücke wurde im Rahmen der Vorplanung eine Stabbogenbrücke mit oben liegendem Tragwerk ermittelt. Daraus leitet sich eine Aufweitung des Mittelstreifens ab. Das Bauwerk ist in zwei getrennte Überbauten unterteilt und überspannt insgesamt fünf Felder mit Spannweiten zwischen 47 und 134 Metern. Die Regelkonstruktion sieht seitlich angeordnete Hauptträger als Stahlhohlkasten vor. Zwischen den Längsträgern spannen Querträger, die in Verbindung mit der Stahlbetonfahrbahnplatte als Stahlbetonverbundkonstruktion ausgebildet werden. Die Hauptträger werden im Bereich der Schifffahrtsöffnung mit der größten Spannweite in einen Bogen mit Versteifungsträgern aufgespalten. Für die Aufhängung der Versteifungsträger sind je Bogen zehn Hänger vorgesehen. Die Baudurchführung muss unter Aufrechterhaltung der vorhandenen Verkehrsbezeichnung von drei Fahrstreifen je Fahrtrichtung erfolgen. Für die bauzeitliche Verkehrsführung wird daher das westliche Teilbauwerk in Seitenlage hergestellt und nach Abbruch des Bestands querverschoben.

Aufgrund der Komplexität der Baumaßnahme hat sich die DEGES als Auftraggeber bei der Planung der Süderelbbrücke sowohl bei den Verkehrsanlagen als auch den Ingenieurbauwerken für die Planung mit der BIM-Methodik entschieden – unter anderem um eine Erhöhung der Planungsgenauigkeit und transparentere Entscheidungsfindungen zu erzielen. Für die unterschiedlichen Gewerke werden einzelne Fach- und Teilmodelle erstellt und zu einem Koordinationsmodell zusammengeführt. Am konsolidierten Modell werden verschiedene Anwendungsfälle wie die Terminplanung (4D-Modell) und die Mengen- und Kostenermittlung sowie Leistungsverzeichnisse (5D-Modell) modellbasiert realisiert.

Aufbau eines parametrischen Brückenmodells

Bei der Modellierung steht im Bereich des Straßen- und Brückenbaus ein enger technologischer Austausch zwischen Verkehrsanlage und Ingenieurbauwerk im Vordergrund, um die vorherrschenden Abhängigkeiten zueinander adäquat abbilden zu können. Hierfür erfolgt die Einbindung der Daten, die in der Autorensoftware der Verkehrsplanung erstellt wurden (z.B. Gradienten) über das Format LandXML.

Regelquerschnitt der Süderelbbrücke im parametrischen Modell. Foto: Schüßler-Plan

Regelquerschnitt der Süderelbbrücke im parametrischen Modell.

Foto: Schüßler-Plan

Die Erstellung des intelligenten Brückenmodells der Süderelbbrücke erfolgt in der Autorensoftware Revit anhand parametrischer objektorientierter Modellierungsansätze. Für die parametrische Modellierung der trassengebundenen Konstruktion kommt zudem das Add-On SOFiSTiK Bridge + Infrastructure Modeler zum Einsatz. Dabei wird die Überbaugeometrie auf Basis wesentlicher Randbedingungen (Haupt- und Sekundärachsen, Gradienten, Stationierung, Querneigung etc.) und unter Definition parametrisierter Querschnitte erstellt. Die parametrischen Abhängigkeiten zwischen einzelnen Querschnittsgeometrien (z. B. Höhe, Breite, Gefälle etc.) werden mit Hilfe von mathematischen Funktionen und Formeln hergestellt. Über die Parametrik ist eine (teil‑) automatisierte Anpassung des Modells bei Veränderung der geometrischen Randbedingungen möglich. Insbesondere bei der Interaktion zwischen der Verkehrsanlage und dem Ingenieurbauwerk bietet dies eine gewisse Flexibilität und Effizienz in der Fortschreibung der Modelle. Für die Süderelbbrücke besteht herstellungsbedingt (Taktschieben) die Herausforderung, dass die Brückenhauptträger nicht parallel zur Autobahnachse liegen. Des Weiteren verlaufen die Gradienten beider Richtungsfahrbahnen im Raum nicht parallel. Diese Aspekte führen zu einer anspruchsvollen Brückengeometrie (variable Kappenbreiten, unterschiedliche Höhen der Querträger etc.), die im parametrischen Modell abgebildet werden müssen.

Bei der Modellierung wird eine Vielzahl an Unternehmensstandards und intern aufgebauter Objektvorlagen verwendet (Gründungsbauteile, Lager, Geländer etc.). Aufgrund der Komplexität und der individuellen Projektanforderungen wurden diese Standards punktuell erweitert und projektspezifische Objekte erstellt. Diese Objekte sind so generisch aufgebaut, dass sie künftig auch in anderen Projekten mit ähnlicher Charakteristik, aber abweichenden geometrischen Randbedingungen, Anwendung finden können. Das bedeutet zwar im Vergleich zu einer direkten Modellierung einen erhöhten Aufwand, hilft aber in zukünftigen Projekten effizienter und wirtschaftlicher agieren sowie Synergieeffekte nutzen zu können.

Einsatz von visueller Programmierung

Für den Aufbau des parametrischen Brückenmodells sind Kenntnisse aus dem Bereich Visual Programming unerlässlich. Im Projekt kommt neben der visuellen Programmierumgebung Dynamo, die fester Bestandteil von Revit ist und direkten Zugriff auf die Funktionen in der Revit-API bietet, die Autorensoftware Rhino 3D mit der visuellen Programmierumgebung Grasshopper als assistives System zum Einsatz. Um einige komplexe Geometrien wie die gekrümmten Bleche am Kämpferpunkt der Süderelbbrücke zu erstellen, wird die Geometrie in Rhino durch die Ausführung von Grasshopper-Skripten erzeugt und über die Schnittstelle Rhino.Inside.Revit in Revit überführt. Darüber hinaus erfolgt die Verteilung und Orientierung einzelner Bauteile sowie die Steuerung ihrer Parameter über Dynamo-Skripte. So werden beispielsweise die Längen der Hänger mithilfe eines Skripts durch Berechnung des Abstands zwischen dem Bogen und dem Hauptträger ermittelt und der parametrischen Objektvorlage der Hänger zugewiesen. Eine weitere Anwendung der visuellen Programmierung ist die Erzeugung von geometrischen und konstruktiven Randbedingungen (Radien, tangentiale Übergänge etc.) des Bogens, die später als Grundlage für die Modellierung in Revit dienen. Auch bei der Erstellung der Skripte wird, wie bei den parametrischen Objektvorlagen, Wert daraufgelegt, diese durch einen intelligenten Aufbau in zukünftigen Projekten weiterverwenden zu können.

Visuelle Programmierung bei der Modellierung der Kämpfer und parametrische Objektvorlagen der Unterbauten. Foto: Schüßler-Plan

Visuelle Programmierung bei der Modellierung der Kämpfer und parametrische Objektvorlagen der Unterbauten.

Foto: Schüßler-Plan

Konzeptioneller und strukturierter Aufbau des Modells

Für die Umsetzung der Anwendungsfälle ist die frühzeitige Strukturierung und Abstimmung der Granularität des Modells entscheidend. Die Bauteile sind sowohl in Bau- als auch im Endzustand so zu modellieren und unterteilen, wie die spätere Ausführung auf der Baustelle erfolgen wird. Baulogistische und bauzeitliche Randbedingungen sind daher bereits zu Beginn der Modellierung zu berücksichtigen, um spätere Nachbearbeitungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. So werden die Unterbauten beispielsweise entsprechend des Bauablaufs in Teilabschnitten bis zur jeweiligen Arbeitsfuge modelliert. Aufgrund der vorhandenen Bestandsbrücke kann zunächst nur ein Teil der Unterbauten inklusive eines Baubehelfes neben dem Bestand hergestellt werden. Nach Rückbau des Bestands wird die restliche Gründung inklusive Unterbauten errichtet und an den bereits hergestellten Teil angebunden. Aus diesem Grund müssen Pfahlkopfplatte und Pfeilerschaft in der Arbeitsfuge getrennt modelliert werden. Für die Unterbauten sind mehrere Bauteile erforderlich.

Zudem ist eine eindeutige Klassifikation des Brückenmodells unabdingbar. Die Modellobjekte des Brückenmodells sind durch Merkmale eindeutig beschrieben. Diese Klassifikation gewährleistet eine Abgrenzung und Ordnung der Bauteile. Hierbei ist jedem Bauteil ein Typ zugewiesen und die Bauteile sind in verschiedene Bauteilgruppen gegliedert (z. B. Unterbau, Überbau, Ausstattung). Neben der Klassifikation tragen die Bauteile eine Vielzahl an Merkmalen zur räumlichen Verortung von Bauteilen, zu Materialien oder zu Bauzeiten (z. B. Lage, Bauzustand, Hauptbauphasen, Baustoff).

Das Modell als Basis für die 4D- und 5D-Planung

Über die Merkmale des Modells werden bei der Planableitung die Sichtbarkeiten und die grafische Darstellung der Bauteile gesteuert. Zudem dienen die Informationen als Grundlage für das 4D- und 5D-Modell, bei dem der Terminplan und die Kostenstruktur beziehungsweise das Leistungsverzeichnis ebenfalls mit diesen Schlüsselinformationen angereichert werden. Die Merkmale ermöglichen eine größtenteils automatisierte Verknüpfung von Modellobjekten mit Vorgängen des Terminplans beziehungsweise den Kosten- und Leistungsverzeichnispositionen. Die Realisierung erfolgt über unternehmensintern entwickelte, webbasierte Formulare in der Koordinationssoftware Desite BIM MD. Der komplexe Bauablauf lässt sich auf diese Weise simulieren und plausibilisieren sowie Kosten anhand der aus dem Modell ausgewerteten Mengen ermitteln und dokumentieren. Die in den Formularen bereitgestellten Auswerteroutinen erlauben allen Beteiligten, die Modelle einheitlich auszuwerten und zu analysieren. Hierdurch wird eine schnelle und unkomplizierte Information der Projektbeteiligten gewährleistet.

Video: Schüßler-Plan

Autoren:

Nader Alkhoury
BIM Specialist, Ingenieurbau, Schüßler-Plan

Robert Fetscher
BIM Specialist, Ingenieurbau, Schüßler-Plan

Nils Schluckebier
Leitung Digitalisierung & BIM, Schüßler-Plan

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