„Wir haben in Deutschland die flexibelsten Arbeitszeiten“
VDI nachrichten, Neuss, 7. 10. 05 – Als deutsche Tochter eines US-Konzerns steht die 3M Deutschland GmbH im harten und weltweiten Wettstreit um Investitionen – und hat dabei sehr gute Chancen, glaubt jedenfalls ihr neuer Chef Kurt-Henning Wiethoff.
Wiethoff: In unserer Firma war das kein Thema. Als auf dem Höhepunkt der Heuschrecken-Kampagne gegen US-Investoren behauptet wurde, die würden scharenweise Gelder abziehen und Mitarbeiter ausbeuten – da habe ich die Freude gehabt, in unserem Werk in Hilden eine größere Beschichtungsanlage einzuweihen. Das war eine Investition von 13 Mio. €. Zwei Jahre zuvor haben wir eine der modernsten medizin-technischen Fertigungen der Welt in Kamen installiert, Kosten: 80 Mio. €. Insgesamt hat der Konzern in den letzten fünf Jahren 150 Mio. € an den deutschen Standorten investiert. Als nächstes werden wir ein Brennstoffzellen-Labor aufbauen. Schon allein dadurch zeigen wir, dass wir keine Heuschrecken sind.
VDI nachrichten: 3M investiert aber auch massiv in anderen Teilen der Welt. Woher nehmen Sie die Zuversicht für den deutschen Standort?
Wiethoff: Mein Team und ich bemühen uns, innerhalb des Konzerns die Stärken des Standorts darzustellen. Diese Stärken liegen sicher nicht in der lohnintensiven Fertigung – bei solchen Fabriken werden wir im Konzern keinen überzeugen können, sie in Deutschland anzusiedeln.
Wenn wir uns aber über Hightech-Fertigung unterhalten, sieht das anders aus. Um diese teuren Maschinen auszulasten, müssen sie schnell modifiziert werden können. Kurze Rüstzeiten sind nötig, um Stillstände zu vermeiden. Dazu braucht man bestens ausgebildete Ingenieure und eine Infrastruktur, um schnell Waren und Ersatzteile zu transportieren. Außerdem haben wir in Deutschland konzernintern die flexibelsten Arbeitszeiten…
VDI nachrichten: Wie bitte?
Wiethoff: Sie haben richtig gehört. Es ist für uns gar kein Problem, bei Bedarf vom Zwei-Schicht-Betrieb auf Drei-Schicht-Betrieb umzuschalten, oder von der Vier- auf die Sechs-Tage-Woche. Durch gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und mit der IG Bau, Chemie, Energie haben wir Tarifvereinbarungen treffen können, die eine Vorreiterrolle darstellen.
Wir gelten in der Branche als Pilot und bieten uns auch gerne für solch innovative Abkommen an – zum Beispiel zahlen wir unserer Belegschaft ein erfolgsabhängiges Weihnachtsgeld. Mit solchen Modellen überzeugen wir unsere amerikanische Zentrale immer wieder von unserer Flexibilität.
VDI nachrichten: Wo findet die Anpassungsfähigkeit ihre Grenzen?
Wiethoff: Im Wettstreit um lohnintensive Fertigungslinien bewerben wir uns nicht. Da hätten wir von vornherein verloren. Wenn es aber um innovative Dinge geht – in vielen unserer Hightech-Fertigungen liegt der Lohnkostenanteil unter 10 % – kann Deutschland immer wettbewerbsfähig sein. Man muss mit den Pfunden wuchern, die man hat.
VDI nachrichten: Das Unternehmen ist extrem breit aufgestellt. Im Angebot haben Sie Membranen für Brennstoffzellen – und Merkzettel fürs Büro. Sie produzieren DSL-Splitter – und Mittel gegen Genitalwarzen. Was macht das für einen Sinn?
Wiethoff: Sicherlich ist die Technologievielfalt unserer Firma auf den ersten Blick verwirrend. Trotzdem sind viele der Technologien, die wir beherrschen, in mehreren Geschäftsfeldern und Kundenmärkten einsetzbar, im besten Fall sogar in allen.
3M ist insofern relativ einzigartig, weil allen Märkten alle technologischen Plattformen offen stehen. Zum Beispiel können Lichttechnologie-Komponenten ohne weiteres auch im Display-Bereich zum Einsatz kommen, zum Beispiel in neuartigen Autokennzeichen.
VDI nachrichten: Ihr Konzern forscht in 35 Technologiefeldern. Wie behalten die 67 000 Mitarbeiter den Überblick?
Wiethoff: Wir versuchen, Synergien zwischen den einzelnen Bereichen zu fördern. Gerade hatten wir zum Beispiel unsere deutschen Führungskräfte aus Marketing- und Verkauf in Neuss beim Event „Technology on stage“ zu Gast, wo die 3M-Technologien in kleinen Messeständen präsentiert wurden. Sie sollten aus Sicht ihrer Kunden kreativ sein und überlegen, welche Chancen sich beispielsweise mit Brennstoffzellen, Lichtleitfolien oder Spezialklebstoffen alles bieten könnten. So machen wir unsere technologische Bandbreite intern transparent.
VDI nachrichten: Wo ist die Schnittmenge der 3M-Geschäftsfelder?
Wiethoff: Die ist nicht leicht zu definieren. Die Schnittmenge unserer Kompetenzen liegt am ehesten im Beschichten, verändern und veredeln von Oberflächen. So sind das einfache Pflaster, der Post-it-Notizzettel, die Spiegelfolie oder das Laptop-Display nichts anderes als beschichtete Oberflächen, erstere allerdings weniger veredelt.
Es gibt natürlich ein paar Ausreißer in der Produktpalette, die nicht in dieses Schema hineinpassen. Eine Gemeinsamkeit der Geschäftsfelder ist jedenfalls die hohe Innovationsrate. Unser Anspruch ist, dass wir für unsere Kunden das innovativste Unternehmen und bevorzugter Lieferant sein wollen.
VDI nachrichten: Diesen Anspruch haben viele Unternehmen¿
Wiethoff: ¿aber uns gelingt es. Wir machen 30 % unserer Umsätze mit Produkten, die weniger als vier Jahre am Markt sind. Jedes Jahr bringen wir 100 neue Produkte auf den Markt. Weltweit investieren wir mehr als 1 Mrd. $ in F&E – und das jedes Jahr. Diese Anstrengung zahlt sich aus. Allein in Europa meldete 3M im vergangenen Jahr weit über 500 Patente an.
VDI nachrichten: Die Boston Consulting Group stufte 3M als – nach Apple – zweitinnovativstes Unternehmen der Welt ein. Wie schaffen Sie das?
Wiethoff: Wir betreiben 15 Forschungszentren rund um den Globus. Durch dieses Flechtwerk können wir technologische Trends weltweit beobachten. Jeder elfte Mitarbeiter arbeitet im F&E-Bereich. Das deutsche Forschungszentrum hier in Neuss ist nach dem japanischen das zweitgrößte außerhalb der USA.
VDI nachrichten: Noch. In China baut 3M derzeit ein größeres Forschungszentrum. Schwächt das die Innovationskraft der deutschen Tochter?
Wiethoff: Nein. Wir sind es gewohnt, in einem globalen Konzern mitzuspielen. Zwar wird uns 3M China wahrscheinlich 2010 überholt haben. Das macht mich aber nicht verrückt und auch nicht traurig. Wir freuen uns, wenn unsere chinesischen Kollegen erfolgreich sind, denn das sichert den Erfolg von 3M weltweit ab – auch unseren. Vieles von dem, was in China produziert wird, haben wir hier entwickelt und spezifiziert.
VDI nachrichten: Wie stark ist die Produktpalette von 3M von illegalen Kopien betroffen?
Wiethoff: Das ist ein Thema sowohl bei den Post-it-Haftnotizen und auch in Hightech-Bereichen. Unser Littmann-Stethoskop zum Beispiel findet als weltführendes, hochpreisiges Produkt viele Nachahmer. Für viele 3M-Produkte haben wir aber nicht nur den Patentschutz, sondern auch einen Know-how-Vorsprung in der Herstellungstechnologie auf unserer Seite. Viele unserer Produkte sind dadurch besser geschützt als durch ein Patent. Um in Produkten unseres Konzerns zu sprechen: Bei einfachen Mullbinden können wir gegen die Billigkopien nicht konkurrieren, bei einem atmenden, heilungsfördernden Hightechverband aber sehr wohl. Bis Konkurrenten das nachahmen können, haben wir reichlich Zeit, etwas Neues zu erfinden.
VDI nachrichten: Welche Arbeitsteilung gibt es unter den 15 Forschungszentren?
Wiethoff: Jedes Forschungszentrum hat andere Schwerpunkte. Mit Brennstoffzellen befasst sich 3M nur in Deutschland und in den USA. Klebstoffe sind eine Spezialität von Frankreich, Klebebänder und beschichtete Folien dagegen von uns. So haben wir für unsere Kunden in der Autoindustrie Produkte entwickelt, mit denen man Chassis kleben statt schweißen kann. So ist das Stück für Stück aufgeteilt.
VDI nachrichten: Sehen sich Ihre Mitarbeiter als Angestellte eines deutschen oder eines US-Unternehmens?
Wiethoff: Ich glaube, in unseren Werken betrachten sich viele als deutsche Arbeitnehmer in einem deutschen Unternehmen. Ich selbst würde mich in einem deutschen Unternehmen alter Prägung sehr verloren fühlen. Ich wüsste nicht, ob ich da noch zurecht käme, nachdem ich 35 Jahre 3M-Unternehmenskultur genossen habe.
VDI nachrichten: Worin besteht diese Unternehmenskultur?
Wiethoff: Natürlich in der globalen Perspektive. Allein in Neuss sind 22 Nationen vertreten. Wer bei uns anfängt, hat auch die Chance bei Schwestergesellschaften in Europa oder bei der Mutter in den USA zu arbeiten – ihm oder ihr steht die Welt offen. Das reizt junge und gute Leute. Zudem investiert das Unternehmen viel in seine Mitarbeiter. Das reicht vom Trainee-Programm für talentierte Führungskräfte über Dienstwagen und Sozialeinrichtungen bis hin zum guten Essen in der Kantine.
THILO GROSSER
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