Wie passt der Nippel durch die Lasche?
Damit es nicht zum Gewährleistungs- oder gar Streitfall kommt, bessern Unternehmen vor allem bei den oft missverständlichen Bedienungsanleitungen nach.
Zwei Jahrzehnte ist es her, dass Mike Krüger mit seinem Gassenhauer „Sie müssen erst den Nippel durch die Lasche ziehen“ die Nation zum Lachen brachte. Der Song ist auch heute noch aktuell: Egal ob Computer, Auto oder eine neue Einbauküche – Produkte werden immer komplizierter. Auch technisches Grundverständnis schützt oft nicht vor Komplikationen. Im Zeitalter von „Selbst aussuchen, selbst abholen und selbst aufbauen“ (Ikea-Slogan) hat sich fast jeder Käufer schon einmal mit fehlenden Teilen oder unverständlichen Bedienungsanleitungen herumplagen müssen. Schlimmer noch: Oft versuchen Verkäufer, reklamierende Kunden zu vertrösten. Aussagen wie „Das müssen wir einschicken und das dauert mindestens sechs Wochen“ oder „Damit hat es aber noch nie Probleme gegeben“ hat fast jeder Käufer schon gehört. Nur wer hartnäckig bleibt, bekommt sofort ein neues Produkt oder sein Geld zurück.
Die neue EU-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf, die mit der seit Januar gültigen Schuldrechtsreform in deutsches Recht umgesetzt wurde, nimmt Hersteller und Händler deshalb wesentlich stärker in die Pflicht: Zwei Jahre Garantie sind seit Jahresbeginn Vorschrift. Eine weitere Neuerung: Missverständliche oder fehlerhafte Bedienungs- oder Montageanleitungen können künftig einfacher als Mangel ausgelegt werden. Im Schadensfall kann der Kunde den Händler also haftbar machen.
Genau hier setzt eine neue Check-Liste mit über 600 Qualitätskriterien an, die der TÜV-Süddeutschland, München, gemeinsam mit der Stuttgarter Gesellschaft für technische Kommunikation e.V. ausgearbeitet hat. Damit Hersteller im Zuge der neuen Gesetzeslage nicht mit kostspieligen Klagen überzogen werden, sollen Betriebsanleitungen, Gebrauchsanweisungen und Montageanleitungen verbraucherfreundlicher werden. Allerdings: Wer Anleitungen prinzipiell nicht liest oder trotz Zertifikat eindeutige Hinweise in der Anleitung nicht beachtet, verliert sämtliche Ansprüche.
Die technischen Überwacher recherchieren für die Bedienhefte ihrer Auftraggeber alle aktuellen Gesetzesanforderungen, checken die allgemeine Verständlichkeit und den korrekten Inhalt. Zuletzt müssen unbedarfte Testpersonen für das jeweilige Produkt typische Aufgaben bewältigen. Ist die Prüfung erfolgreich abgeschlossen, darf das Erzeugnis das neue TÜV-Zertifikat „DOCcert – Anwenderfreundliche Benutzerdokumentation“ tragen.
Mehrere Firmen haben das Angebot bereits angenommen und bringen Fabrikate mit zertifizierter Anleitung auf den Markt: Einer der Pioniere ist DaimlerChrysler. Der Stuttgarter Autohersteller hat erstmals für den Luxuswagen Mercedes SL 500 eine DOCcert-zertifizierte Betriebsanleitung ausarbeiten lassen. Damit der Käufer die Anleitung brav studiert und Hinweise schnell wieder auffindet, führt ein Farbleitsystem von Selbstverständlichkeiten wie „Motor starten“ bis hin zu komplizierteren Aufgaben wie „Verdeck schließen“. Bewusst umgeht der TÜV Vokabeln, die zwar jeder Techniker, aber längst nicht Otto Normalverbraucher versteht: So wurde der „Fahrtrichtungs-Anzeiger“ in den jedermann geläufigen „Blinker“ umbenannt. Wo immer es möglich ist, ersetzen allgemein verständliche Piktogramme den Anleitungstext.
Auch der Remscheider Heizungshersteller Vaillant kann bereits mit einer TÜV-geprüften Anleitung aufwarten. Ein neuer Öl-Gebläse-Heizkessel trägt die technische Bescheinigung gegenwärtig arbeitet der TÜV bereits die zweite Anleitung aus, die den Geräten separat sowohl für den Installateur als auch für den Endkunden beigefügt wird. Der zuständige Firmensprecher Horst Kampczyk erhofft sich durch „DOCcert“ trotz Vorab-Investitionen in vierstelliger Höhe eine bessere Positionierung seiner Produkte am Markt. Ganz freiwillig ist die Firma freilich nicht zu dieser Einsicht gelangt: „Nachdem wir in einem Stiftung-Warentest-Bericht lediglich ein durchschnittliches Urteil erhalten hatten, waren wir uns im Klaren darüber, dass wir in dieser Hinsicht nachbessern müssen“, erläutert er. Die Investitionen sollen nicht nur dem Verbraucher zugute kommen. „Für uns als Markenhersteller ist das natürlich auch eine Frage des Renommees“, so Kampczyk.
Während Dr. Sybille Horend, technische Redakteurin bei DaimlerChrysler, noch vom neuen Farbleitsystem und der klaren Sprache des neuen SL-Benutzerhandbuchs schwärmt und auch der japanische Minolta-Konzern gerade einen neuen Büro-Kopierer mit DOCcert-Anleitung auf den Markt bringt, gibt es auch kritische Stimmen: „Ich halte das Bedienungsanleitungs-Zertifikat des TÜV für übertrieben“, ärgert sich beispielsweise Horst Strobender, IT-Produktmanager bei Samsung im hessischen Schwalbach. Nach Einschätzung von Strobender achten Markenhersteller schon seit Jahren auf verständliche Anleitungen. „Niemand legt Wert auf juristische Streitigkeiten und negative Presseartikel wegen schlecht übersetzter Anleitungen oder daraus entstehender Schäden.“ Zudem gebe es längst das Zertifikat „GS – geprüfte Sicherheit“, das ebenfalls eine verständliche Anleitung einfordert. Weitaus größeren Wert misst der Produktmanager hingegen der deutlich ausgedehnten Gewährleistungszeit von 24 statt bisher sechs Monaten bei: „Das ist ein Gewinn für alle Verbraucher.“ FOLKER LÜCK
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