Wenn Angst die Leistung hemmt
In einer Studie ging Dr. Susanne Dietz Emotionen im Studienalltag nach. Hoffnungen und Ängste, die Akademiker bis ins Berufsleben verfolgen, sind oft ein Produkt der Massenuniversitäten.
Helden gelten im Sinne der Trivialliteratur als Wesen, denen Furcht so gut wie fremd ist. Wäre das Tier Mensch tatsächlich frei von jeglichen Ängsten, wäre seiner Spezies kein langes Leben beschieden gewesen. Da unsere Vorfahren aber mit schlotternden Knien Reißaus nahmen, wenn sie einen Säbelzahntiger nahen sahen, überdauerten sie manch anderes, kräftigere Lebewesen.
Ohne Angst wäre das menschliche Dasein unvorstellbar. Sie ermöglicht Leistungen, die im „Normalzustand“ kaum erzielt werden. Die Angst stimuliert, erregt und macht aufnahmebereiter. Erreicht die Angst jedoch einen Grad, bei dem der Körper heftige Signale aussendet, wirkt sie leistungshemmend. Die Angst wächst zur Verzweiflung, schlimmstenfalls zur Hoffnungslosigkeit. Weil die Ansprüche aber vor allem an Ingenieurstudenten steigen, beschränkt sich deren Angst nicht mehr nur auf die Prüfungsphase. Schon im Studium gilt es, für die Zeit der Selbstvermarktung zu trainieren. Das Sich-selbst-in-den-Mittelpunkt-stellen aber fällt vielen schwer. „Hier spielt der Anonymitätsfaktor der Massenuniversität eine große Rolle“, weiß die Kölner Hochschuldozentin Dr. Susanne Dietz. Wenn in ihren Seminaren die Finger unten bleiben, ist es selten Unwissen, das den Studenten ein unsichtbares Pflaster auf den Mund klebt. Die Angst, sich in der Anonymität durch eine „dumme Antwort“ eine Blöße zu geben, zwingt in die Passivität.
Dietz, die in einer Studie den vier Emotionen Hoffnung, Angst, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung nachging, sieht weniger die Dozenten in der Pflicht, aus den Studenten mehr „heraus zu kitzeln“. Den Universitäten und Fachhochschulen müssten in ihren Lehrangeboten mehr Freiraum eingeräumt, die Zahl der Tutorien erhöht werden. „Was an unseren Hochschulen viel zu kurz kommt, ist das Lernen mit positiver Bestätigung“, findet Jürgen Messer von der Psychotherapeutischen Beratungsstelle für Studierende in Mannheim. Seiner Meinung nach lernen Studenten, um einer möglichen Strafe zu entgehen, zum Beispiel dem vermasselten Examen oder der drohenden Arbeitslosigkeit. Aufmunterung und Bestätigung erführen sie dagegen nur in den seltensten Fällen. Den Rufen nach strengeren Leistungskriterien an Universitäten und Fachhochschulen steht der Psychologe daher eher skeptisch gegenüber.
Die Untersuchung von Susanne Dietz an der Universität Köln, für die 414 Studenten befragt wurden, befasst sich in erster Linie mit Emotionen während des Studiums, also nicht in der Phase der Abschlussprüfungen. Hoffnung ist demnach für das erfolgreiche Studium ein unabdingbarer Faktor. „Wer hoffnungsvoll ist, kann die Aufmerksamkeit auf das Entscheidende konzentrieren“, erklärt Dietz. „Hoffende Studierende fühlen sich Energie geladen, haben eine höhere Herzfrequenz und fühlen sich gelegentlich kribbelig.“ Bei den negativen Emotionen steigert sich die Angst zur Verzweiflung, wenn das Gefühl wächst, bestimmte Aufgaben nicht zu schaffen. Starke Nervosität wird zur Panik. Hoffnungslosigkeit ist die Überzeugung, dass ein Misserfolg unvermeidbar ist. Es gibt keine postive Leistungsmotivation mehr. Die Rechnung ist so einfach wie einleuchtend: Je höher der Druck empfunden wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit des Misserfolges.
Mehr als andere Studenten setzten angehende Ingenieure auf ihr Wissen und ihr Können, weiß Diplom-Psychologe Norbert Philippen von der Studentenberatung an der RWTH Aachen. „Vor Prüfungen werden gebetsmühlenartig alte Klausuren durchgerechnet, um Sicherheit zu erlangen. Das Unvorhergesehene wirft sie aus der Bahn. Wenn das Einkalkulierte ausbleibt, ähneln die Technik-Studenten in ihrer Hilflosigkeit Schildkröten, die auf dem Rücken liegen.“
In ihrer täglichen Praxis erlebt Angelika Wuttke häufig Studenten, die sich selbst im Studienalltag ganz anders erleben als im privaten Bereich. „Leute, die eigentlich gerne und ausgiebig reden, verstummen in universitärer Umgebung“, sagt die Diplom-Psychologin an der Universität Düsseldorf. Die plötzliche Scham, vor Unbekannten sprechen zu müssen, den Mund aber nicht auf zu bekommen, führe bei ihnen oft zum „Einbruch des Selbstbildes“. Als Wuttke noch im ingenieurwissenschaftlichen Zentrum in Köln arbeitete, gefiel ihr die Art, wie pragmatisch die Studenten mit ihren Problemen umgingen. „Sie hatten von psychologischen Theorien wenig Ahnung und redeten daher frei von der Leber weg.“ Viele Geisteswissenschaftler neigten hingegen dazu, sich als Alltagspsychologen zu versuchen.
Beachtenswert findet Norbert Philippen, wie häufig die Leistungsschere bei vielen Studenten zwischen Vordiplom und Diplom auseinander klaffe. „Plötzlich spielen Ängste eine Rolle, die vorher nicht akut waren. Der neue Lebensweg birgt viele Unwägbarkeiten. Bedenken tauchen vor dem Einstieg ins Berufsleben auf: „Als Tüftler habe ich mich bewiesen. Kann ich aber auch als Verkäufer bestehen? Bin ich in der Lage, Mitarbeiter zu führen? Bin ich zu weich für den knallharten Wettbewerb?´“ Studenten ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge nutzen daher die Beratung inzwischen auch als vorbeugende Maßnahme. „Die Gefahr, bei der Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen eine Lücke aufzuweisen, wird immer größer. Und damit wachsen natürlich auch die Zukunftsängste.“ Unklare Berufsbilder und Zweifel, ob das erworbene Wissen auch wirklich für den Berufsalltag qualifiziert, verstärken die Unsicherheit. Am schlimmsten aber trifft es die, die ihre Emotionen zu ignorieren suchen. Die Ängste fressen sich so sehr in ihnen fest, dass Magengeschwüre und Kreislaufkrankheiten nur zwei von vielen möglichen Folgen sind.
Was sich im Studium andeutet, findet im Berufsleben seine Fortsetzung. Die ersten Reden vor einem ausgewählten Publikum oder die ersten Produktpräsentationen erinnern an den hinlänglich bekannten Prüfungsstress. Auch Konferenzen können zur körperlichen und seelischen Belastung werden. „Wichtig ist es, gut vorbereitet zu sein, sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren und Natürlichkeit zu bewahren“, rät Susanne Dietz. „Wer nie ein Pokerface war, wird auch mit 30 Jahren keines mehr werden.“ Nur die Praxiserfahrung könne auch Erfolgserlebnisse vermitteln.
Das Bedürfnis nach Leistungsorientierung verlange von Führungskräften, die Grenzen ihrer Mitarbeiter zu erkennen und sie dem entsprechend einzusetzen. „Überforderung sowie mangelnde Instruktionen oder schlechter Informationsfluss wirken sich negativ auf die Leistungsbereitschaft aus und können neue Ängste schaffen“, erläutert Dietz.
Sie glaubt, dass sich Überängstliche 70 % ihrer ursprünglichen Zuversicht wieder holen können. „Ich halte aber nichts von Seminaren, wo das Innerste nach außen gekehrt wird. Fruchtbar sind Seminare, in denen man selbst testen kann, zu welchen Leistungen man in der Lage ist.“ Aber auch offene Gespräche mit Freunden oder Kollegen seien meist sehr hilfreich. WOLFGANG SCHMITZ
Wenn Angst die Kehle zuschnürt, steigt besonders in der Anonymität von Massenuniversitäten das Gefühl der Einsamkeit.
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