Qualifikation an Stelle der Frührente
Der RWE-Konzern stoppt die Frührente ab dem 51. Lebensjahr. Stattdessen werden Mitarbeiter mit Unterstützung der Arbeitsämter in einer Qualifizierungsgesellschaft für Berufe außerhalb des Unternehmens trainiert.
Die ersten Mitarbeiter aus dem RWE-Konzern – vor allem aus dem Teilunternehmen Rheinbraun – seien bereits in die Qualifizierungsgesellschaft gewechselt, berichtet Manfred Reindl, Personalchef der RWE-Tochter RWE Net AG in Dortmund. RWE Net betreut das Leitungsnetz des Konzerns. Aus seinem Unternehmen, dem größten Betreiber von Stromnetzen in Deutschland, sollen noch rund 450 Mitarbeiter vorzeitig ausscheiden. Insgesamt ist es Ziel des RWE-Konzerns, im Inland über Frühverrentung und Qualifizierung im Zeitraum 2000 bis 2005 rund 12 500 Stellen abzubauen. Derzeit stehen noch 6000 Mitarbeiter zu viel auf der Gehaltsliste.
Bislang wickelte RWE den Personalabbau über den Vorruhestand mit 51 Jahren ab. Dieses Modell sieht rund 85 % der letzten Nettogehälter, gezahlt vom Unternehmen und dem Arbeitsamt, als Frührente vor, wenn die Mitarbeiter mit dem 51. Lebensjahr oder aber knapp älter ausscheiden. Auf Weihnachts- und Urlaubsgeld müssen die Mitarbeiter allerdings verzichten. Wer bei RWE jetzt vorzeitig ausscheidet, erhält eine neue Anstellung – bei der Firma Peag. Ziel der Peag ist es, die Ex-RWE-ler in zwei Jahren für einen neuen Job zu qualifizieren. Finden sie keine neue Anstellung, so greift die bestehende 51er-Regelung.
Das alte Modell der Frührente war umstritten. RWE stand nach der Übernahme des Dortmunder Konkurrenten VEW und der Liberalisierung der Strommärkte unter starkem Rationalisierungsdruck. Der Abbau von 12 500 Stellen über Kündigungen hätte vor allem junge Nachwuchskräfte getroffen: Bei der „sozialen Auswahl“, also der Prüfung, welchem Mitarbeiter der Verlust seiner Stelle am ehesten zuzumuten sei, hätte es vor allem junge ledige Arbeiter und Angestellte getroffen. Der Konzern hätte teuer ausgebildete Leistungsträger verloren. Außerdem passen Kündigungen nicht in die Unternehmenskultur des Essener Konzerns, in dem Unternehmen und Mitarbeiter traditionell sozialpartnerschaftlich miteinander umgehen. Schließlich kann sich RWE das Frühverrentungsprogramm leisten. Die Essener hatten durch den Verkauf ihrer Beteiligung am Mobilfunkunternehmen e-Plus mehr als 1 Mrd. DM eingenommen. Dieses Geld steht für die 51-er-Regelung zur Verfügung.
Auf der anderen Seite passen diese extremen Frühverrentungen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und Forderungen nach längeren Lebensarbeitszeiten nicht mehr in die „politische Landschaft“. Es wurde vielen RWE-Frührentnern angekreidet, relativ hohe Bezüge fürs Nichtstun zu erhalten. Bilder von Ex-RWE-Mitarbeitern machen die Runde, die im Liegestuhl liegen, während im Betrieb die Ex-Kollegen für kaum mehr Geld arbeiten müssen.
Diese Form der Frührente war auch dem Arbeitsamt ein „Dorn im Auge”, wie ein Sprecher des Düsseldorfer Landesarbeitsamts erklärt. Personalvorstand Reindl stellt zudem fest, „dass Arbeit mehr als nur Geld verdienen ist. Mit der Frührente verlieren viele ein Stück Lebensinhalt. Die Männer und Frauen sind auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit und es wurden ihnen vermittelt: Wir brauchen Dich nicht mehr. Das wird jetzt geändert.”
An der Qualifizierung beteiligen sich – wie an der Frührente – die Arbeitsämter. Sie zahlen den Peag-Beschäftigten – je nach Familienstand – zwischen 60 % und 67 % ihrer alten Bezüge als Strukturkurzarbeiter-Geld. RWE wiederum stockt die Summe auf die rund 85 % auf, die der Mitarbeiter nach dem Frührentenmodell erhalten hätte. Wenn die Ex-RWE-Mitarbeiter dann nach zwei Jahren Qualifizierung eine Stelle finden, hat das Programm gegriffen. Falls der Arbeitsmarkt verschlossen bleibt, gilt die alte 51-er-Regelung – nur dann mit 53 Jahren.
Das Arbeitsamt zahlt in diesem Fall zwei Jahre länger Zuschüsse: An die finanzielle Förderung in der Qualifizierungsgesellschaft schließt sich das Arbeitslosengeld an. Bislang bezuschusste das Amt lediglich die ersten Jahre der Frührente mit Arbeitslosengeld. Dennoch befürwortet das Amt vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels das Programm. Bedarf nach geschulten Kräften ist da: Der Hagener Stromversorger Mark-E AG, die ein ähnliches Frührentenmodell betreibt, sucht inzwischen per Inserat nach Mitarbeitern. Und auch bei RWE Net können derzeit keine Mitarbeiter vorzeitig den Betrieb verlassen – es fehlen die Nachwuchskräfte. MARTIN ROTHENBERG
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