Arbeitsmarkt 24.09.1999, 17:22 Uhr

Gewinner auf dem Arbeitsmarkt sind die hochqualifizierten Arbeitskräfte

Globalisierung und technischer Fortschritt polarisieren die Arbeitswelt. Wie Prof. Lutz Hoffmann im folgenden Beitrag ausführt, sind gering qualifizierte Arbeitnehmer eindeutig die Verlierer der Entwicklung, während Hochqualifizierte zu den Gewinnern zählen.

Ein Grund für die erregte Diskussion über die Globalisierung und ihre Folgen liegt in der mangelnden Anpassungsfähigkeit der komplexen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme moderner Industriegesellschaften.
Die Globalisierung könnte man für Arbeitslosigkeit verantwortlich machen, wenn sich nachweisen ließe, daß durch sie, und nicht aufgrund anderer Ursachen die Zahl der Menschen, die Arbeit sucht und findet, geringer ist als die Zahl der Menschen, die keine Arbeit findet.
In den Wirtschaftswissenschaften unterscheidet man zwischen zwei Ursachenkategorien von Arbeitslosigkeit – der konjunkturellen und strukturellen. Konjunkturelle Arbeitslosigkeit entsteht durch Unterauslastung des Produktionspotentials aufgrund rückläufiger Nachfrage.
Im Unterschied dazu entsteht strukturelle Arbeitslosigkeit, wenn das Arbeitsangebot auf sektoraler, regionaler oder qualifikatorischer Ebene nicht mehr mit der Nachfrage nach Arbeit übereinstimmt. Rigide Lohnstrukturen, Mobilitätshemmnisse und ein starres Ausbildungssystem, das nicht oder nur unzureichend auf die Änderungen der Nachfragestruktur am Arbeitsmarkt reagiert, verhindern, daß sich das Überschußangebot in den einzelnen Arbeitsmarktsegmenten abbaut.
Die derzeitige hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und Europa ist zweifellos sowohl auf konjunkturelle als auch auf strukturelle Ursachen zurückzuführen. Darüber sind sich alle einig. Gestritten wird darüber, welche relative Bedeutung den beiden Verursachungsfaktoren beizumessen ist.
Die Struktur der Nachfrage nach Arbeit leitet sich ab aus der Struktur der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, die – je nach Größe des Landes – wesentlich mitbestimmt wird durch seine Außenhandelsstruktur. Für die Produktions- und Außenhandelsstruktur offener Volkswirtschaften gilt nach wie vor das vor fast 200 Jahren von David Ricardo (1817) beschriebene Prinzip des komparativen Vorteils. Danach wird ein Land vorwiegend jene Güter, oder Teile dieser Güter, produzieren und exportieren, zu deren Herstellung die relativ reichlich vorhandenen Produktionsfaktoren intensiv eingesetzt werden.
Dabei spielt heute – im Unterschied zu früher – nicht mehr so sehr das Sachkapital als vielmehr das Wissenskapital eine entscheidende Rolle. Die fortgeschrittenen Industrieländer haben komparative Vorteile vor allem bei den wissensintensiven Teilen des Produktionsprozesses wie Forschung, Entwicklung, Design, Logistik und Marketing. Die Vorteile der Entwicklungsländer liegen hingegen bei Produktionsbereichen, die intensiv Arbeitskräfte geringerer Qualifikation einsetzen.
Die Nachfrageverschiebung von den gering- zu den hochqualifizierten Arbeitskräften läßt sich nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (1997) allerdings nur zu 20% auf diese Veränderungen zurückführen. Als wesentlich bedeutsamer für den Rückgang der Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften wird der technische Fortschritt angesehen.
Dafür sprechen zumindest drei Argumente. Zum einen sind geringqualifizierte Arbeitskräfte eher durch den kostensparenden Einsatz von Maschinen zu ersetzen als hochqualifizierte Arbeitskräfte.
Zum zweiten erfordern Konstruktion und Bau dieser Maschinen vor allem qualifizierte Arbeitskräfte. Und zum dritten können sich qualifizierte Arbeitskräfte besser den sich wandelnden technischen Arbeitsbedingungen anpassen. So ist die Beschäftigung Geringqualifizierter in jedem OECD-Land langsamer gewachsen als die Beschäftigung Hochqualifizierter. Mit Ausnahme der USA und den Niederlanden ist in den 80er Jahren und in der ersten Hälfte der 90er Jahre sogar ein absoluter Rückgang der Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften zu verzeichnen.
Gleichgültig, was die Ursachen von struktureller Arbeitslosigkeit sind, bei flexiblen Löhnen wird unter dem Druck des Überangebots die Entlohnung Geringqualifizierter im Vergleich zur Entlohnung Hochqualifizierter sinken. Wenn es nicht eine gesamtwirtschaftliche Nachfrageschwäche gibt, kommen Angebot und Nachfrage sowohl bei den Hoch- als auch bei den Geringqualifizierten ins Gleichgewicht. Vollbeschäftigung stellt sich ein. Diesem Leitbild folgen seit Jahren die USA. Das Ergebnis: Einerseits hat sich der Einkommensabstand zwischen Hoch- und Geringqualifizierten zwischen 1980 und 1996 mehr als verdoppelt, andererseits herrscht in den USA seit Jahren Vollbeschäftigung.
Bei weniger flexiblen Lohnstrukturen, wie sie in Kontinentaleuropa vorherrschen, findet ein Teil der geringqualifizierten Arbeitskräfte keine Beschäftigung, weil ihre Produktivität hinter den festgesetzten Löhnen zurückbleibt. Bei den Hochqualifizierten ist das Umgekehrte der Fall. Hier wird, besonders bei guter Konjunktur, mehr Arbeit nachgefragt als angeboten. Ein klassischer Fall ist gegenwärtig der Mangel an Fachkräften im Software-Bereich. Da die Löhne, soweit sie tariflich gebunden sind, nicht steigen, führt der Nachfrageüberhang zu mehr Überstunden. Hohe Arbeitslosigkeit gepaart mit Überstunden, sind ein deutliches Zeichen für strukturelle Arbeitslosigkeit.
Eine rein passive Anpassung der Lohnstruktur nach unten stößt aber in der Industrie an technologisch determinierte Grenzen. Mit steigenden qualifikatorischen Anforderungen können viele Unternehmen aus technischen Gründen das untere Ende der Lohnskala, selbst wenn es sehr niedrig liegt, nicht mehr mit Geringqualifizierten besetzen. Diese können sich damit nicht mehr in den Markt „hineinpreisen“, auch wenn sie ihre Lohnforderungen noch soweit senken.
Neben der Lohnanpassung bedarf es daher eines zusätzlichen Anpassungsmechanismus, der Qualifizierung von Arbeitskräften. Die Bedeutung von Änderungen in der Qualifikationsstruktur von Erwerbstätigen für den Anpassungsprozeß ergibt sich für Deutschland aus folgenden Zahlen. In der Zeit von 1976 bis 1995 ist der Anteil der Erwerbstätigen ohne Ausbildung an der Erwerbsbevölkerung von rund 35% auf 16% gesunken Gleichzeitig ist der entsprechende Anteil der Hochschulabsolventen von 5% auf 9% und der Anteil der Arbeitskräfte mit einer Fachschul- beziehungsweise Fach-, Technik- oder Meisterausbildung von 9% auf 13% gestiegen. Das sind zweifellos angebotsseitige Reaktionen auf die veränderten Nachfragestrukturen. Sie sind nur quantitativ unzureichend, wie die Persistenz von struktureller Arbeitslosigkeit zeigt.
Die starke Spreizung in der Lohnstruktur, die sich in den USA in den vergangenen zwei Jahrzehnten vollzogen hat, ist das Ergebnis einer unzureichenden Anpassung auf der Angebotsseite. Deutschland und Europa haben mit ihren differenzierten Ausbildungssystemen grundsätzlich die besseren Voraussetzungen für eine adäquate angebotsseitige Reaktion. Allerdings muß dafür auch das europäische Aus- und Weiterbildungssystem grundlegend überholt werden.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß zweifellos der Strukturwandel getrieben durch Globalisierung und technischen Fortschritt die Struktur der Arbeitsnachfrage erheblich verändert. Geringqualifizierte sind eindeutig die Verlierer, Hochqualifizierte die Gewinner. Da Globalisierung und technischer Fortschritt zu einer Wissensintensivierung der Produktionsprozesse in den Industrieländern führen, ist eine Verstärkung der Bildungsanstrengungen die wichtigste wirtschaftspolitische Option, um den Strukturwandel auf mittlere Sicht meistern zu können.
LUTZ HOFFMANN
Lutz Hoffmann: „Die westlichen Industrieländer können ihr relativ hohes Lohnniveau nur dann halten, wenn Sie ihren Bestand an Humankapital ständig erhöhen.“

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